Rz. 3

Die Rspr. hat die Befugnis zu Aussperrungsmaßnahmen wie folgt entwickelt. Zuerst wurde 1955 die lösende Aussperrung dem Streik gleichgestellt (BAG v. 28.1.1955, AuR 1955, 218). Dies wurde mit dem Gedanken der formellen Parität gerechtfertigt. 1971 erkannte dann die Rspr. die sog. suspendierende Aussperrung als Regel an (BAG v. 21.4.1971, AuR 1971, 353). Schließlich wurde sodann 1980 die suspendierende Aussperrung als Reaktion auf Schwerpunktstreiks und im Umfang begrenzt zugelassen (BAG v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, DB 1980, 1266; DB 1980, 1277; DB 1980, 1355; DB 1980, 2040). Mittlerweile hat das BVerfG die begrenzte Zulassung der Aussperrung, wie sie in den Urteilen des BAG im Jahr 1980 festgelegt wurden, gebilligt (BVerfG v. 26.6.1991, AuR 1992, 29).

 

Rz. 4

Damit existieren für Aussperrungsmaßnahmen des Arbeitgebers folgende Begrenzungen: Die Aussperrung darf nur als Reaktion auf einen Streik erfolgen und nur dann, wenn durch den Streik die Solidarität der Arbeitgeberseite bedroht wäre. Zudem ist sie im Umfang begrenzt und nicht erforderlich, wenn bereits etwa 50 % der Arbeitnehmer des Tarifgebietes zum Streik aufgerufen wurden. Nunmehr rechtfertigt das BAG die Aussperrung mit einer verhandlungsbezogenen Parität und begrenzt sie durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es bleibt dabei, dass das BAG festhält, dass die Gewerkschaften wegen der strukturellen Unterlegenheit auf das Streikrecht angewiesen sind. Das Streikrecht wäre wirkungslos und das mit diesem Instrument angestrebte Verhandlungsgleichgewicht wäre gestört, wenn die Arbeitgeber über so wirksame Abwehrkampfmittel verfügten, dass die Ausübung des Streikrechtes mit einem untragbaren Risiko belastet wäre und dessen kompensatorische Kraft damit zunichtegemacht würde. Das BAG berücksichtigt nur solche Paritätsgesichtspunkte, die für die Verhandlungsstärke maßgebend sind. Es würde sich eine wesentliche Verschiebung des Kräftegleichgewichtes zugunsten der Gewerkschaft ergeben, wenn sich Teilstreiks als wirksamer Angriff auf die Solidarität der Arbeitgeber darstellen könnten. Diese Möglichkeit ergibt sich aus der Konkurrenzsituation der Arbeitgeber und ist bei eng begrenzten Arbeitskämpfen nachteilig anzunehmen. Die bestreikten Arbeitgeber müssten nämlich stellvertretend für den Verband kämpfen, die anderen könnten die Gunst der Stunde nutzen und sich Marktanteile aneignen.

 

Rz. 5

Die Begrenzung der Aussperrung wird von der Rspr. wie folgt vorgenommen: Streiken weniger als 25 % der Arbeitnehmer des Tarifgebietes, kann der Aussperrungsbeschluss bis zu 25 % der Arbeitnehmer des Tarifgebiets erfassen. Streiken mehr als 25 % kann die Aussperrung den Kampfrahmen bis auf 50 % der Arbeitnehmer des Tarifgebietes erweitern. Sind durch den Streik mehr als 50 % betroffen, bedarf es keiner Aussperrung (hierzu ErfK/Linsenmaier, GG, Art. 9 Rn 239; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 52 Rn 70 ff.).

 

Hinweis

Für die Berechnung der Aussperrungsquote ist der Aussperrungsbeschluss des Arbeitgeberverbandes maßgeblich. Nicht entscheidend ist hingegen seine tatsächliche Befolgung durch die Arbeitgeber. Bzgl. des Streiks dagegen kommt es auf die tatsächlich Streikenden an (BAG v. 7.6.1988, AuR 1989, 219).

 

Rz. 6

In seiner späteren Rspr. benennt das BAG die Aussperrungsquoten als Indizwirkung und meint, dass auch andere Ursachen die Kampfparität gefährden könnten (BAG v. 12.3.1985, DB 1985, 1894; BAG v. 7.6.1988, AuR 1989, 219; BAG v. 11.8.1992, AiB 1993, 244). Festzuhalten gilt in diesem Zusammenhang, dass die Aussperrungsquoten grds. zu beachten sind, es kann sich aber eine Aussperrungsmaßnahme auch aus anderen Gründen als unverhältnismäßig und damit unzulässig erweisen (ErfK/Linsenmaier, GG Art. 9 Rn 239). Auf der Grundlage dieser Rspr. ist die Aussperrung als Kampfmittel der Arbeitgeberseite anerkannt, allerdings wird sie nur auf die Abwehr von Streikmaßnahmen bezogen (BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, AuR 1992, 29). Diesen Gedanken führt das BVerfG in der Weise weiter, dass es eine Bedrohung der Kampfparität darin sieht, dass es den Arbeitgebern möglich sei, durch gezielte Aussperrungsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass es zu massiven "kalten Aussperrungen" kommt (BVerfG v. 4.7.1995, AuR 1996, 33). Daraus folgt, dass nur die Abwehr-Aussperrung, also die Aussperrung nach Beginn eines Streiks, mit suspendierender Wirkung zulässig ist. Eine sog. Angriffs-Aussperrung, also die Kampferöffnung durch den Arbeitgeber mit eigenem Regelungsziel, scheidet danach aus (ErfK/Linsenmaier, GG, Art. 9 Rn 246). Dies hätte auch zu gelten, wenn die Arbeitgeberverbände gewerkschaftliche Ziele mit eigenen oder aber kompensatorischen Forderungen beantworten. Eine sog. kampfgebietsausweiternde Aussperrung, d.h. eine Aussperrung in einem Tarifgebiet, nachdem der Streik in einem anderen Tarifgebiet begonnen hat, ist für das andere Tarifgebiet eine Angriffs-Aussperrung und damit rechtswidrig. Auch die sog. Selektiv-Aussperrung, d.h. die gezielte Aussperrung nur der Gewerkschaftsmitglieder, ist als Angriff ...

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