Rz. 19

Im Gegensatz zu Urteilen über ethische Werte sind ökonomische Werte keine Wert-, sondern Seinsurteile, d.h. zu beobachtende Feststellungen über den Tauschwert von Wirtschaftsgütern. Nach der modernen Werttheorie ergibt sich der Tauschwert aus dem Verhältnis von relativer Seltenheit (Knappheit) und subjektivem Gebrauchswert, also aus Angebot und Nachfrage, und kann somit durch seinen Marktpreis beziffert werden. Darin ist der einzige objektiv ermittelbare Wert zu sehen.[18]

Die Marktwertermittlung ist dem Prinzip der Objektivität, nicht der Rationalität verpflichtet. Eine Objektivierung wird grundsätzlich durch Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit erreicht. Märkte können Vermögensgegenstände wie Immobilien durchaus "über- oder unterbewerten". Der Marktwert sollte jedoch in dem Sinne objektiviert sein, dass entsprechende Preise im Markt zu beobachten sind, wenn Transaktionen stattfinden. "Objektiv" bedeutet also nicht etwa "sachverständig angemessen", sondern "wie im Markt zu beobachten" – auch wenn dem Sachverständigen das Marktgeschehen am Bewertungsstichtag irrational erscheinen mag.[19]

 

Rz. 20

Die Legaldefinition des Verkehrswertes (Marktwertes) ergibt sich aus § 194 BauGB:

Zitat

Der Verkehrswert (Marktwert) wird durch

den Preis bestimmt, der
in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht,
im gewöhnlichen Geschäftsverkehr
nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstückes oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung
ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse

zu erzielen wäre.

Verkehrswert und Marktwert sind Synonyme, wie durch das EAG Bau klargestellt wurde, und dem "wahren", "inneren", "wirklichen" oder schlicht "Wert" des Grundstücks gleichzusetzen.[20] Nach h.M. ist dieser Wertbegriff materiell identisch mit dem "vollen Wert" i.S.d. Bundes- und Landeshaushaltsordnungen sowie international gebräuchlichen Definitionen sowohl des "Market Value" nach dem EU-Recht und diversen zivilrechtlichen Organisationen als auch des "Fair Value" gemäß International Financial Reporting Standards (IFRS).[21]

 

Rz. 21

Auch zwischen Verkehrswert (Marktwert) und gemeinem Wert besteht trotz unterschiedlichen Wortlauts in § 9 Abs. 2 BewG zunächst Bedeutungsgleichheit:

Zitat

Der gemeine Wert wird durch

den Preis bestimmt, der
im gewöhnlichen Geschäftsverkehr
nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes
bei einer Veräußerung

zu erzielen wäre. Dabei sind

alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen.
Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen.
 

Rz. 22

Nach § 177 Abs. 1 BewG ist den erbschaftsteuerlichen Bewertungen von Grundbesitz zunächst der gemeine Wert i.S.d. § 9 BewG zugrunde zu legen, wobei möglichst Marktdaten, die vom lokalen Gutachterausschuss i.S.d. §§ 192 ff. BauGB für Verkehrswertermittlungen aus der Kaufpreissammlung abgeleitet werden, anzuwenden sind.

Der Grundbesitzwert (§ 157 BewG) lässt allerdings abweichend von der Definition des gemeinen Wertes ("alle Umstände, die den Preis beeinflussen") Besonderheiten, "insbesondere" die den Wert beeinflussenden Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art unberücksichtigt (§ 177 Abs. 4 BewG).

Er ist letztlich nur ein Verfahrenswert nach den typisierenden Bewertungsregeln unter "C. Grundvermögen" des sechsten Abschnitts im Zweiten Teil des Bewertungsgesetzes für Zwecke einer möglichst gleichheitsgerechten Ermittlung einer Besteuerungsgrundlage für die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Bei vereinfachten, typisierten Verfahren ist es letztlich unvermeidlich, dass das Bewertungsziel, namentlich der Marktwert (Verkehrswert bzw. gemeiner Wert), über- oder unterschritten werden kann.

 

Rz. 23

Die seit längerem in vielen Rechtsgebieten zu beobachtende Annäherung zum Marktwertbegriff setzt sich also grundsätzlich auch im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer fort. Gleichwohl bleibt der grundsätzliche Zielkonflikt zwischen objektivierter Marktwertermittlung anhand zahlreicher wertrelevanter Kriterien und objektspezifischer Besonderheiten auf Grundlage eines detaillierten Tatsachenbefundes des Einzelfalls mit Blick auf die Wertverhältnisse im mehr oder weniger dynamischen relevanten Teilmarkt einerseits und andererseits gleichheitsgerechten Vereinfachungen durch Typisierungen und Pauschalierungen im Rahmen eines praktikablen Steuererhebungsverfahrens ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen, Einsichtnahme in das Grundbuch und Ortstermin bestehen. Die eingangs dargelegte Komplexität von Immobilien und Immobilienmärkten steht Vereinfachungen in der Immobilienbewertung wesensimmanent im Wege. Daher kommt der Öffnungsklausel des § 198 BewG für den Steuerpflichtigen eine verfassungsrechtliche Schlüsselrolle zu.

 

Rz. 24

 

Praxishinweis

Zu einer steuerlichen Überschätzung des gemeinen Wertes in Gestalt des Grundbesitzwertes nach dem BewG kann es vor allem in folgenden Fällen kommen:[22]

größerer zeitlicher A...

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