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BSG Urteil vom 28.02.1964 - 2 RU 149/63

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Leitsatz (redaktionell)

Versicherungsschutz für einen Verkehrsunfall, wenn eine rechtlich wesentliche Unterbrechung des mit einem Kraftwagen ausgeführten Betriebsweges noch nicht eingetreten ist.

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. Mai 1963 und des Sozialgerichts Hannover vom 19. Juli 1962 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 1961 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin wegen des-tödlichen Arbeitsunfalls des Ehemannes Friedrich Klenke vom 9. Mai 1961 die gesetzliche Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist die Witwe des Chemiearbeiters Friedrich K (K.), der in einem bei der Beklagten versicherten Unternehmen in Emmerthal beschäftigt war. Am Nachmittag des 9. Mai 1961 befand sich K. als Beifahrer des Lastkraftwagens (LKW) seiner Firma auf dem Wege zum Bahnhof Emmerthal, wo Frachtgut abzuholen war. Unterwegs hielt der Fahrer B (B.) auf die Bitte des K. am rechten Straßenrand an; K. wollte sich nämlich in einem auf der anderen Straßenseite gelegenen Tabakgeschäft Zigarillos kaufen. Auch B. suchte dieses Geschäft auf. Während er bereits vor der Ladentür stand, wurde K., der nach rechts ausgestiegen und vorn um den LKW herumgegangen war, von einem vorbeifahrenden Kraftwagen erfaßt und so schwer verletzt, daß er am 13. Mai 1961 verstarb.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 24. Oktober 1961 die Gewährung von Sterbegeld und Hinterbliebenenrente an die Klägerin ab mit der Begründung, nach der Rechtsprechung handele es sich beim Besorgen von Tabakwaren grundsätzlich um eine rein private Angelegenheit des Arbeitnehmers, die mit seiner betrieblichen Tätigkeit nicht zusammenhänge. Besondere Umstände, die ausnahmsweise einen Zusammenhang zwischen dem beabsichtigten Zigarillokauf und der betrieblichen Tätigkeit begründen könnten, lägen hier nicht vor.

Das Sozialgericht Hannover hat durch Urteil vom 19. Juli 1962 die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Urteil vom 30. Mai 1963 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: K. sei verunglückt, während er seinen Betriebsweg aus rein privaten Gründen unterbrochen habe. Die Besorgung von Tabakwaren habe im vorliegenden Fall - bei Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Grundsätze (BSG 12, 254) - nicht unter Versicherungsschutz gestanden. Der von K. beabsichtigte Zigarillokauf hätte zwar nur eine verhältnismäßig geringe örtliche und zeitliche Unterbrechung des Betriebswegs zur Folge gehabt; solche geringfügigen Unterbrechungen habe das BSG bei den in § 543 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF geregelten Wegen nach und von der Arbeitsstätte noch dem versicherten Weg zugerechnet (SozR RVO § 543 aF Bl. Aa 21 Nr. 28). Zwischen jenen Wegen und den Betriebswegen bestünden jedoch wesentliche Unterschiede. Während in den Fällen des § 543 RVO aF der Versicherte sich bei der Wahl des Verkehrsmittels völlig und bei der Wahl des Weges im gewissen Umfang frei entscheiden könne, sei er bei Betriebswegen allgemein an ein bestimmtes Verkehrsmittel gebunden, so im vorliegenden Fall auch K. an den LKW seiner Firma. Verlasse er dieses Verkehrsmittel aus betriebsfremden Gründen, so unterliege er für die Zeit der Unterbrechung nicht dem Versicherungsschutz. Bei Unterbrechung seines Betriebsweges sei der Versicherte nicht anders zu behandeln als Beschäftigte auf der Arbeitsstätte, die aus rein privaten Gründen die Arbeitsstätte kurzfristig verlassen; in diesen Fällen sei der Versicherungsschutz als unterbrochen anzusehen, was auch der Auffassung des BSG entspreche (SozR RVO § 542 aF Bl. Aa 32 Nr. 39). - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 27. Juni 1963 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. Juli 1963 Revision eingelegt und sie - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 27. September 1963 - am 24. September 1963 begründet. Sie beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Urteile nach dem Klagantrag zu erkennen, hilfsweise Zurückverweisung der Sache an das LSG. Sie tritt der Rechtsauffassung des LSG entgegen und meint u. a., die Unterscheidung zwischen Wegen im Sinne des § 543 RVO aF und Betriebswegen sei rechtsirrtümlich.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie pflichtet dem Berufungsurteil bei.

II

Die zulässige Revision hatte Erfolg.

Kurz bevor es zu dem Unfall kam, hatte K. den nach § 542 RVO aF versicherten Betriebsweg dadurch unterbrochen, daß er den auf seine Bitte angehaltenen LKW verließ und anfing, die Straße zu überqueren, um sich in dem gegenüber befindlichen Geschäft Zigarillos für seinen persönlichen Bedarf zu kaufen. Noch bevor er das Geschäft erreicht hatte, erlitt K. den zu seinem Tode führenden Unfall. Der Unfall geschah während einer örtlich, zeitlich und der Zweckbestimmung nach dem Betriebsweg abgrenzbaren Verrichtung.

Ob während dieser Verrichtung der Versicherungsschutz für das Zurücklegen des Betriebswegs noch fortbestand, hängt in erster Linie davon ab, ob darin eine rechtlich wesentliche Unterbrechung des Betriebswegs zu erblicken ist. Dies hat der erkennende Senat im Gegensatz zum LSG verneint.

Es hätte sich - bei Verwirklichung der von K. gehegten Absicht - nur um eine verhältnismäßig geringfügige Unterbrechung gehandelt. Im Unterschied zu dem vom Senat früher entschiedenen Fall (SozR RVO § 543 aF Bl. Aa 21 Nr. 28) sollte freilich hier der Einkauf nicht an einem auf der Straße befindlichen Automaten, sondern in einem Ladengeschäft erfolgen. K. ist jedoch nicht in diesem Geschäft, sondern bereits beim Überschreiten der Straße verunglückt. Diesen Umstand sieht der erkennende Senat - wie in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 28. Februar 1964 (2 RU 185/61) des Näheren dargelegt wird - als versicherungsrechtlich bedeutsam an; solange der aus dem Kraftfahrzeug ausgestiegene Versicherte den örtlichen Bereich der Straße nicht verläßt, bleibt demnach während einer geringfügigen Fahrtunterbrechung der Versicherungsschutz in der Regel erhalten.

Es handelt sich freilich in diesem Rechtsstreit nicht - wie in der letztgenannten Entscheidung - um einen Heimweg von der Arbeitsstätte, sondern um einen Betriebsweg. Dies erfordert indessen keine grundlegend verschiedene Beurteilung. Die vom LSG angeführten Gesichtspunkte reichen nach Meinung des Senats nicht aus, um geringfügige Fahrtunterbrechungen der hier in Betracht kommenden Art bei Betriebswegen außerhalb des Versicherungsschutzes zu stellen.

Auf Grund des unstreitigen Sachverhalts erweist sich hiernach der Klaganspruch als gerechtfertigt, ohne daß noch zu prüfen war, ob auch das Revisionsvorbringen zur Frage der Betriebsbedingtheit des Besorgens von Tabakwaren zutrifft. Auf die begründete Revision war daher wie geschehen zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374870

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