Schadensersatz wegen fehlerhafter künstlicher Hüftgelenke

In einer Freiburger Klinik – aber nicht nur dort - wurden massenhaft fehlerhafte Hüftgelenke implantiert. Die Schweizer Herstellerfirma muss nun haften. Das LG Freiburg hat in einem von über 100 anhängigen Verfahren der ersten Patientin u.a. 25.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Der Fall wirft auch Fragen hinsichtlich der Zertifizierungspraxis für Medizinprodukte auf.

In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2009 musste die Leitung des Freiburger Lorettokrankenhauses einen schweren Gang antreten. Die Klinikleitung sah sich zu der Bekanntgabe veranlasst, in den vergangenen Jahren einer großen Zahl von Patienten Hüftprothesen implantiert zu haben, die nicht dem Stand der Medizintechnik entsprachen. Bereits zum Bekanntgabezeitpunkt war die Prothese bei über 150 Patienten in einer Nachoperation ausgetauscht worden.

Knochenfraß infolge Materialfehlers

Die Patienten hatten einige Zeit nach Durchführung der Implantation über zum Teil heftige Schmerzen und Bewegungsbeschwerden geklagt.

Die Untersuchung der Patienten förderte eine erhebliche Lochbildung im Knochengerüst der Patienten rund um das Implantat zu Tage. Die weiteren Untersuchungen ergaben, dass bei dem Implantat ein kontinuierlicher Metallabrieb zu verzeichnen war, der zu deutlich sichtbaren Knochenfraß führte. Für die Patienten war dies spürbar in teilweise unerträglichen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen.

Hersteller machte die Operateure für die Leiden der Patienten verantwortlich

Trotz dieses schon damals ziemlich eindeutigen Befundes war die Schweizer Herstellerfirma Zimmer zunächst nicht bereit, die Verantwortung für die entstandenen Schäden zu übernehmen.

Das Unternehmen schob die Verantwortung für die entstandenen Folgen auf die operierenden Ärzte und eine angebliche Nichtbeachtung der zusammen mit den Hüftgelenken gelieferten „Bedienungsanleitung“ ab.

Hersteller haften für Produktfehler

In der Folge zogen mehr als 100 Patienten vor Gericht und klagten gegen den Schweizer Hersteller, der dem Freiburger Krankenhausträger den Streit verkündete.

Sämtliche Versuche des Gerichts, die Parteien zu einem Vergleich zu bewegen, scheiterten.

Da es sich bei einem Hüftgelenk um ein Medizinprodukt handelt, haftet der Hersteller nach dem Produkthaftungsrecht grundsätzlich für jeden Fehler des Produkts.

Die Problematik eines Prozesses liegt für den Patienten allerdings darin, dass er die volle Beweislast

  • für den behaupteten Produktfehler,
  • für die Kausalität des Fehlers für negative medizinische Folgen
  • einschließlich der erlittenen Schmerzen

trägt. 

Haftung für materielle und immaterielle Schäden

Gelingt dem Patienten der Beweis, so haftet der Hersteller

  • für sämtliche Nachbehandlungskosten,
  • für sonstige materielle Schäden (Fahrtkosten, Haushaltshilfe),
  • für möglichen Verdienstausfall
  • sowie für Schmerzensgeld.

Geeignete Gutachter sind Mangelware

Die Problematik des Nachweises war ein besonderes Thema des vom LG Freiburg entschiedenen Rechtsstreits.

Ein besonderes Problem bestand darin, einen geeigneten Gutachter zu finden, da sämtliche verfügbaren Sachverständigen in der Regel vorbelastet sind. Entweder sie haben bereits Gutachten für medizinische Unternehmen erstellt, in der Regel also für die Konkurrenz des verklagten Unternehmens und werden deshalb von diesem als parteilich abgelehnt oder sie haben im ungünstigsten Fall bereits für das beklagte Unternehmen selbst gearbeitet und werden deshalb von den Patienten abgelehnt.

LG kommt zu klarem Ergebnis

Trotz dieser Schwierigkeiten ist es den Freiburger Richtern schließlich gelungen, geeignete Gutachter zu finden. Mithilfe der Sachverständigen gelangte das LG schließlich zu dem Ergebnis, dass

  • das von dem Schweizer Hersteller verwendete Material ungeeignet für die Herstellung der Hüftgelenke war,
  • die Ungeeignetheit aufgrund der in der medizinischen Wissenschaft bereits seit dem Jahre 2003 breit diskutierter Bedenken zum Zeitpunkt der Lieferung ab dem Jahre 2005 für das Unternehmen ohne weiteres erkennbar war und
  • die mangelnde Eignung des Materials zu dem schleichenden Metallabrieb geführt und
  • damit die medizinisch schädlichen Folgen bei den Patienten verursacht hatte.

Verschulden des Operateurs auszuschließen

Darüber hinaus gelangte das Gericht mit Hilfe der Sachverständigen zu der Erkenntnis, dass ein Verschulden des Operateurs im entschiedenen Fall auszuschließen war.

Auf dieser Grundlage sei das Gericht das Herstellerunternehmen als allein verantwortlich für die medizinischen Folgen an und erkannte der Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro zu.

Darüber hinaus machte das Gericht die Herstellerfirma auch für entstandene und entstehende materielle Folgeschäden verantwortlich. Mit diesem Urteil dürfte es für die Firma Zimmer wohl zappenduster aussehen. rechtskräftig ist es allerdings noch nicht. Ob das Unternehmen Berufung einlegt, bleibt abzuwarten. Für die anderen ca. 100 Patienten, die ebenfalls gerichtliche Verfahren angestrengt haben, bedeutet das Urteil eine große Hoffnung auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.

(LG Freiburg, Urteil v. 24.2.2017, 6 O 359/10)

Zweifel an Zertifizierungsverfahren sind angebracht

Interessant in diesem Zusammenhang sind die Erkenntnisse der vom SWR produzierten Wissenschaftssendung „Odysso“, die am 19.1.2017 ausgestrahlt wurde. Dort wurde ein betroffener Patient, dem eine Durom-Metasul-LDH-Prothese der Firma Zimmer implantiert worden war, vorgestellt.

Das Reporterteam untersuchte vor diesem Hintergrund die Zulassungspraxis für medizinische Produkte.

Hierbei trat Erstaunliches zu Tage:

  • In Europa existieren ca. 80 Unternehmen, die das gesetzlich erforderliche CE-Zertifizierungsverfahren durchführen.
  • Das Zertifizierungsverfahren wird vom Produkthersteller selbst in Auftrag gegeben, dieser ist also auch der zahlende Kunde des prüfenden Unternehmens.
  • Die mit der Zertifizierung befassten Unternehmen haben nach den Feststellungen des Fernsehteams kein großes Interesse daran, die Zertifizierung gegenüber ihren zahlenden Kunden abzulehnen.
  • Nach Erteilung der Zertifizierung dürfen Ärzte die Produkte ihren Patienten implantieren.

Fazit: Das Zertifizierungsverfahren erscheint im Ergebnis als ein marktwirtschaftlich geprägtes System, dessen Ausgestaltung im Hinblick auf die Schwere der möglichen Schäden bei Menschen äußerst fragwürdig ist. Die Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese der Firma Zimmer wurde weltweit und in Deutschland in den Jahren 2003-2008 an verschiedenen Kliniken implantiert, allein im Loretto-Krankenhaus in Freiburg bei nahezu 1.000 Patienten. Auch Patienten, die bisher beschwerdefrei sind, können nicht sicher sein, ob auch bei ihnen schleichender Metallabrieb früher oder später zu schweren Gesundheitsschäden führt.


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