Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Trotz bestehender Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der §§ 139a und 139b AO gelangt das FG Köln nicht zu der vollen Überzeugung, dass der Eingriff insgesamt unverhältnismäßig wäre. Denn der Staat ist zur Gewährleistung der rechtlichen und faktischen Besteuerungsgleichheit verfassungsrechtlich verpflichtet.
Sachverhalt
Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) teilte der Klägerin mit Schreiben v. 31.7.2008 ihre persönliche Identifikationsnummer (Steuer-ID) zu. In dem Schreiben heißt es, dass die Steuer-ID für steuerliche Zwecke verwendet wird und lebenslang gültig ist.
Mit der hiergegen erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, dass die Vergabe der Steuer-ID aufgrund § 139b AO rechtswidrig sei und sie - die Klägerin - in ihrem aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletze. Das Gericht solle das BZSt daher verpflichten, die Steuer-ID nach § 139a Abs. 1 AO sowie die dazu nach § 139b Abs. 3 AO und - soweit vorhanden - nach anderen Vorschriften bei ihm gespeicherten Daten zu löschen, hilfsweise, ihr eine Befreiung von der Steuer-ID zu erteilen, soweit dies gesetzlich oder verfassungsrechtlich möglich sei.
Entscheidung
Das FG hat die Klage abgewiesen. Es hat zwar erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Steuer-ID geäußert, weil durch die Steuer-ID alle in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Bürger zentral durch den Staat erfasst würden. Damit bestehe die Möglichkeit, durch entsprechende Erweiterungen der zu speichernden Daten bzw. durch die Vernetzung verschiedener Datenpools einen großen zentralen Datenbestand zu schaffen. Hieraus könnte sich künftig auch die Gefahr der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen ergeben.
Diese Zweifel führten aber nicht zu einer Vorlage an das BVerfG, weil eine Anrufung des BVerfG nur möglich sei, wenn ein Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer Norm völlig überzeugt sei. Es habe in Bezug auf die Vergabe der Steuer-ID nicht die Überzeugung gewinnen können, dass das Recht des einzelnen Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung das Interesse der Allgemeinheit an einer gleichmäßigen Besteuerung überwiegt.
Hinweis
Die Rezensionsentscheidung ist in einem von mehreren Musterverfahren ergangen. Hinter den Musterverfahren standen über 170 Klagen von Bürgern, die sich vor dem in Deutschland allein zuständigen FG Köln auf die Verfassungswidrigkeit der Vergabe der Steuer-ID beriefen.
Zwischenzeitlich hat der BFH in mehreren Entscheidungen (vgl. etwa Urteil v. 18.1.2012, II R 49/10, BStBl 2012 II S. 168) die Auffassung des FG Köln bestätigt und entschieden, dass die Zuteilung der Steuer-ID und die dazu erfolgte Datenspeicherung mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und sonstigem Verfassungsrecht vereinbar sind.
Zwischenzeitlich hat das BMF am 22.7.2013 anhängige Einsprüche gegen die Zuteilung der steuerlichen Identifikationsnummer (§ 139b AO) oder die Speicherung der Daten i. S. d. § 139b Abs. 3 AO mit Allgemeinverfügung nach § 367 Abs. 2b AO zurückgewiesen (BMF, Schreiben v. 22.7.2013, IV A 3 - S 0625/13/10002).
Link zur Entscheidung
FG Köln, Urteil vom 07.07.2010, 2 K 3093/08