Leitsatz

1. Für die Feststellung der dauernden Berufsunfähigkeit i.S. des § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG gelten die allgemeinen Beweisregeln. Daher darf das Gericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung auch nichtamtliche Unterlagen, z.B. Gutachten und andere Äußerungen von Fachärzten und sonstigen Medizinern, heranziehen.

2. Eine dauernde Berufsunfähigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist gegeben, wenn zum einen die Voraussetzungen des § 240 Abs. 2 SGB VI erfüllt sind und dieser Zustand zum anderen nicht nur in einem geringeren Ausmaß zeitlich befristet ist. Dieses bedarf einer Einzelfallprüfung.

 

Normenkette

§ 16 Abs. 4 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 33 Abs. 3 und 4, § 33b EStG, § 64 Abs. 1, § 65 EStDV, § 240 Abs. 2 SGB VI, § 96 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Friseurin. Ihr Betrieb umfasste eine Hauptniederlassung in A und eine Zweigstelle in B. Sie verkaufte ihre Filiale in B, die unstreitig als Teilbetrieb anzusehen ist, im Streitjahr 2012 und beantragte die Berücksichtigung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG, den sie bislang noch nicht in Anspruch genommen hatte. Die Klägerin führte zum Nachweis ihrer dauernden Berufsunfähigkeit an, dass in einem Gutachten zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung aus dem Jahr 2010 festgestellt worden sei, sie könne in ihrem bisherigen Beruf als Friseurmeisterin nur in einem zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden tätig sein. Ebenfalls 2010 hatte das Versorgungsamt unbefristet bei ihr einen dauerhaften Grad der Behinderung gemäß § 33b EStG von 30 festgestellt und die DRV-Leistungen für eine Umschulung bewilligt. Nach einer Hüftoperation im Jahr 2013 wurde die Klägerin erfolgreich zur Sozialversicherungsfachangestellten umgeschult. Im Jahr 2014 übertrug sie den Hauptbetrieb unentgeltlich auf ihren Ehemann.

Das FA lehnt die Gewährung des Freibetrags ab; das FG gab der Klage demgegenüber statt. Da das EStG keine formalisierten Nachweisanforderungen vorsehe, könne im Wege der freien Beweiswürdigung über das Vorliegen der dauernden Berufsunfähigkeit entschieden werden. Die dauernde Berufsunfähigkeit der Klägerin sei zu bejahen (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29.4.2021, 2 K 426/15, Haufe-Index 14670429, EFG 2021, 1534).

 

Entscheidung

Die Revision des FA war begründet. Das FG hatte seine Annahme der dauernden Berufsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Teilbetriebsveräußerung nicht auf ausreichende Tatsachenfeststellungen gestützt, sodass die Sache zurückzuverweisen war.

 

Hinweis

Gemäß § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG wird der sich bei einer (Teil-)Betriebsveräußerung ergebende Gewinn nur zur ESt herangezogen, soweit er 45.000 EUR übersteigt. Dieser Freibetrag ermäßigt sich um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn 136.000 EUR übersteigt (§ 16 Abs. 4 Satz 3 EStG).

Seit der Neufassung des § 16 Abs. 4 EStG durch das JStG 1996 ist Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige im sozialversicherungsrechtlichen Sinn dauernd berufsunfähig ist. In diesem Urteil werden nicht nur einzelne Aspekte im Zusammenhang mit einer dauernden Berufsunfähigkeit (unter 1.–3.), sondern auch prozessuale Fragen wie Feststellungslast und Nachweispflichten (unter 4.–7.) beleuchtet.

1.§ 16 Abs. 4 Satz 1 EStG verweist zwar grundsätzlich auf § 240 Abs. 2 SGB VI, der den Rentenanspruch wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit regelt. Soweit es um die Zumutbarkeit der Tätigkeit in einem Verweisungsberuf geht, muss die Anwendbarkeit des Sozialversicherungsrechts allerdings modifiziert werden. Während nämlich nach § 240 Abs. 2 Satz 3 SGB VI eine Tätigkeit stets zumutbar ist, für die die Versicherten mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind, kann eine Tätigkeit in einem Verweisungsberuf im Rahmen des § 16 Abs. 4 EStG nur dann berücksichtigt werden, wenn sie in dem veräußerten bzw. aufgegebenen Betrieb ohne größere Schwierigkeiten ausgeübt werden könnte.

2. Dem SGB VI fehlt zudem eine Aussage, wann eine dauernde Berufsunfähigkeit gegeben ist, da § 240 Abs. 2 SGB VI zur Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit schweigt. Aufgrund des Zusammenspiels mit der Vorschrift des § 101 Abs. 1 SGB VI ist allerdings davon auszugehen, dass die verminderte Erwerbsfähigkeit mehr als sechs Monate andauern muss. Beachtet man weiter, dass der Freibetrag regelmäßig im Zusammenhang mit der Beendigung einer gewerblichen Betätigung zum Tragen kommt, ist mehr als nur eine zeitlich befristete Erwerbsminderung von wenigen Monaten zu verlangen.

3. Die dauernde Berufsunfähigkeit muss zwar zum Zeitpunkt der (Teil-)Betriebsveräußerung bereits vorliegen. § 16 Abs. 4 Satz 1 EStG verlangt jedoch nicht, dass "wegen" einer dauernden Berufsunfähigkeit die Veräußerung erfolgt; sie muss daher nicht den Entschluss zur Veräußerung beeinflusst haben.

4. Der Steuerpflichtige, der die Anwendung des § 16 Abs. 4 EStG begehrt, trägt die Feststellungslast für die Erfüllung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen einschließlich des Erfordernisses, "im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd beru...

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