Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen umfassend steuerbar zwingende Verrechnungsreihenfolge für die Verrechnung von erstatteten Sonderausgaben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus § 10 Abs. 4b Satz 2 und Satz 3 EStG folgt eine einfachrechtlich zwingende Verrechnungsreihenfolge für die Verrechnung von erstatteten Sonderausgaben.

2. Für die Annahme eines Erstattungsüberhangs im Sinne des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG ist nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum der Erstattung zugleich eine entsprechende Zahlung erbracht hat.

3. § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG ist nicht teleologisch zu reduzieren.

4. Dass auch Beträge aus der Erstattung solcher Sonderausgaben, die vor Inkrafttreten des § 10 Abs. 4b EStG zum 01.01.2012 geleistet wurden, zum Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen sind, verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

 

Normenkette

AO § 175 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 10 Abs. 1 Nrn. 3, 3a, 4b

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 22.03.2023; Aktenzeichen X R 27/21)

 

Tatbestand

Strittig ist die Erhöhung des Einkommens der Kläger aufgrund der Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin im Streitjahr 2017, die diese für die Jahre 2003 bis 2016 gezahlt hatte.

Die Klägerin war in den Jahren 2003 bis 2016 bei der B Ersatzkrankenkasse (nachfolgend: B) krankenversichert. Im Zuge eines sozialgerichtlichen Rechtsstreits (vgl. Bl. 76 Einkommensteuerakten) wurde geklärt, dass die Klägerin von 2003 bis 2016 zu Unrecht zur freiwilligen Krankenversicherung herangezogen wurde, obwohl tatsächlich eine Pflichtversicherung durchzuführen war (Bl. 81 ff. der Einkommensteuerakte).

Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Neben unstreitigen Versorgungsbezügen sowie Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, aus einer Rente der Klägerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem 1. Juli 2007, aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung wurden der Klägerin im Streitjahr Beiträge für Basisleistungen für die Jahre 2003 bis 2016 in Höhe von insgesamt 39.509,40 Euro erstattet (Bl. 46, 73 f. und 84 Einkommensteuerakte).

Im Streitjahr leisteten die Kläger Beiträge zur Basis-Krankenversicherung in Höhe von 1.903 Euro und zur Basis-Pflegeversicherung in Höhe von 497 Euro (vgl. Bl. 86 Einkommensteuerakten). Die B übermittelte zudem Daten über eine Betragserstattung an die Klägerin in Höhe von 39.509 Euro in elektronischer Form an den Beklagten (Bl. 46 Rückseite und 47 ff. Einkommensteuerakten).

Mit Einkommensteuererklärung für das Streitjahr vom 13. bzw. 14 September 2018 (Bl. 26 und 45 Einkommensteuerakten) teilten die Kläger dem Beklagten mit, dass sie die von B erstatteten und nicht mit Aufwendungen der Klägerin verrechenbaren Beiträge zur Basiskranken- und -pflegeversicherung in Höhe von 39.509,40 Euro als nicht der Einkommensteuer unterliegende Zahlungen behandelt hätten, da es sich insoweit nicht um einen Erstattungsfall im Sinne des § 10 Abs. 4b EStG handele und weil für die Bescheide der Vergangenheit keine Änderungsmöglichkeiten bestünden (Bl. 45 Einkommensteuerakten). Weiter führten die Kläger aus (Bl. 70 f. Einkommensteuerakten), dass sich aus den vorgelegten Unterlagen der B, die den sozialversicherungsrechtlichen Streit zusammenfassten, erkennen lasse, dass es sich vorliegend um eine Beitragserstattung aufgrund der Änderung des Versicherungsstatus gehandelt habe. Auf solche Erstattungsfälle sei aber § 10 Abs. 4b EStG, der sich auf Beitragsrückerstattungen nach Nichtinanspruchnahme von Versicherungsleistungen, Bonuszahlungen etc. erstrecke und nicht den "Charakter" der streitgegenständlichen Erstattung treffe, nicht anwendbar.

Mit Einkommensteuerbescheid vom 8. Januar 2019 (Bl. 85 ff. Einkommensteuerakten) ging der Beklagte von Beiträgen der Kläger zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 2.400 Euro aus und zog hiervon die Beitragserstattung in Höhe von 39.603 Euro sowie sonstige steuerfreie Zuschüsse in Höhe von 516 Euro ab, sodass sich ein Erstattungsüberhang in Höhe von 37.719 Euro errechnete. In der Folge setze er für die Kläger als Sonderausgaben abziehbare Vorsorgeaufwendungen in Höhe von lediglich 0 Euro an und rechnete den Erstattungsüberhang in Höhe von 37.719 Euro dem Gesamtbetrag der Einkünfte der Kläger hinzu.

Mit Einspruchsschreiben vom 1. Februar 2019 (Bl. 88 Einkommensteuerakten) und nachfolgendem Begründungsschreiben vom 7. Februar 2019 (Bl. 92 ff. Einkommensteuerakten) wandten sich die Kläger gegen die Hinzurechnung der Erstattung in Höhe von 39.603 Euro. Im Fall der Klägerin sei nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. März 2000, in dem die Heranziehung freiwillig Versicherter zur gesetzlichen Krankenversicherung als verfassungswidrig eingestuft worden sei, der Status der Klägerin als Versicherte in einem Verfahren mit der Deutschen Rentenversicherung neu geordnet worden. Im Rahmen der Neustrukturierung sei die Rente in ei...

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