Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung

Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die dem Steuerpflichtigen erstattet worden sind, sind auch dann gemäß § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG mit den dort genannten Aufwendungen zu verrechnen und gemäß § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen, wenn die Erstattung darauf beruht, dass ein Sozialversicherungsverhältnis rückabgewickelt oder rückwirkend umgestellt worden ist. Die Verrechnung und die Hinzurechnung sind unabhängig davon vorzunehmen, ob im Erstattungsjahr noch eine Änderung der Bescheide der Zahlungsjahre möglich ist.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Wenn bei den Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 3a EStG die im Veranlagungszeitraum erstatteten Aufwendungen die geleisteten Aufwendungen übersteigen (Erstattungsüberhang), ist der Erstattungsüberhang nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG mit anderen im Rahmen der jeweiligen Nummer anzusetzenden Aufwendungen zu verrechnen. Ein verbleibender Betrag des sich bei den Aufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG ergebenden Erstattungsüberhangs ist gemäß § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen.

In den sachlichen Anwendungsbereich der Verrechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG und der Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG fallen grundsätzlich alle Zahlungen, die der Steuerpflichtige als Rückfluss von Aufwendungen erhält, die er im Zusammenhang mit den dort jeweils genannten Sonderausgaben getätigt hat. Auf den Grund für den Rückfluss der Aufwendungen kommt es nicht an.

Sachverhalt: Nach Obsiegen im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren erfolgt größere Erstattung

Die Kläger sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2017 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war Empfänger von Versorgungsbezügen; die Klägerin erhielt eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Klägerin erhielt im Jahr 2017 von der X-Krankenkasse eine Erstattung von Beiträgen zur Basis-Krankenversicherung und zur Basis-Pflegeversicherung der Jahre 2003 bis 2016 in Höhe von 39.509,40 EUR. Der Erstattung war ein sozialgerichtliches Verfahren vorausgegangen, in dessen Rahmen festgestellt worden war, dass die Klägerin für den genannten Zeitraum zu Unrecht zur freiwilligen Krankenversicherung herangezogen worden sei; tatsächlich habe sie die Voraussetzungen der Pflichtversicherung erfüllt. Das Versicherungsverhältnis wurde in der Folge rückwirkend umgestellt.

Das Finanzamt erfasste die Zahlung der Krankenkasse als erstattete Aufwendungen i. S. von § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG und verrechnete diese zunächst mit den Vorsorgeaufwendungen der Kläger gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Den verbleibenden Betrag von 37.719 EUR rechnete das FA gemäß § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzu.

Entscheidung: BFH gibt dem Finanzamt Recht

Die gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Der BFH hat sich der Rechtsauffassung der Vorinstanz ebenfalls angeschlossen und die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

Begriff „erstattete Aufwendungen“ ist weit auszulegen

Aufwendungen sind grundsätzlich alle Ausgaben, die in Geld oder Geldeswert bestehen und aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen abfließen. Erstattet i.S. von § 10 Abs. 4b Sätze 2 und 3 EStG sind diejenigen Aufwendungen aus dem jeweiligen sachlichen Anwendungsbereich der genannten Regelungen, die dem Steuerpflichtigen in einer Umkehrung der Ausgaben in Geld oder Geldeswert nach Abfluss wieder zufließen. Eine Einschränkung im Hinblick auf den tatsächlichen oder rechtlichen Grund für diesen Rückfluss enthalten die genannten Regelungen ihrem Wortlaut nach nicht. Auch der Regelungssystematik des § 10 EStG lässt sich eine solche Einschränkung nicht entnehmen.

Das spricht dafür, dass im Fall des § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG grundsätzlich alles, was bei dem Steuerpflichtigen als Aufwendungen i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 3a EStG abgeflossen ist, im Falle des späteren Rückflusses im Wege der Verrechnung erfasst werden soll und dass gleichermaßen im Fall des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG grundsätzlich alles, was bei dem Steuerpflichtigen als Aufwendungen i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG abgeflossen und nicht im Rahmen des § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG verrechnet worden ist, im Falle des späteren Rückflusses im Wege der Hinzurechnung erfasst werden soll.

Insbesondere lassen sich somit aus Wortlaut und Systematik der genannten Regelungen keine Anhaltspunkte dafür herleiten, dass eine Verrechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG und/oder eine Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG nur im Fall von Beitragsrückerstattungen im Rahmen eines bestehenden bzw. fortbestehenden Versicherungsverhältnisses vorgenommen werden sollen und dass Erstattungen aufgrund einer nachträglichen Änderung des Versicherungsstatus hiervon ausgenommen wären.

Keine Änderung der Zahlungsjahre nach §§ 173 ff. AO

Bis zur Einfügung des § 10 Abs. 4b EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 (StVereinfG 2011) vom 1.11.2011 und Inkrafttreten der Vorschrift am 1.1.2012 hatte die Rechtsprechung in Bezug auf Aufwendungen, die zunächst als Sonderausgaben abgeflossen und in einem späteren Veranlagungszeitraum erstattet worden waren, entschieden, dass der Erstattungsbetrag aus Gründen der Praktikabilität vorrangig im Jahr der Erstattung mit gleichartigen Sonderausgaben zu verrechnen sei; die abziehbaren Sonderausgaben des Erstattungsjahres wurden dadurch entsprechend gemindert. Soweit eine solche Verrechnung mit gleichartigen Aufwendungen im Jahr der Erstattung nicht möglich war, wurde der Sonderausgabenabzug des Jahres der Verausgabung (Zahlungsjahr) um die nachträgliche Erstattung gemindert. Bereits bestandkräftige Bescheide waren zu ändern.

Die Neuregelung des StVereinfG 2011 dient dem Zweck, eine Wiederaufrollung der Steuerfestsetzungen von Vorjahren weitgehend zu vermeiden.

Die Verrechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 2 EStG und die Hinzurechnung nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG stehen ihrem Wortlaut nach nicht unter dem tatbestandlichen Vorbehalt, dass im Erstattungsjahr hinsichtlich der Zahlungsjahre noch eine Änderungsmöglichkeit nach den §§ 173 ff. AO gegeben sein muss. Ein solches Verständnis widerspräche dem Sinn und Zweck der Regelung des § 10 Abs. 4b EStG, da andernfalls die Möglichkeit einer „Wiederaufrollung der Steuerfestsetzungen von Vorjahren“ zumindest hypothetisch geprüft werden müsste. Dies liefe dem angestrebten Vereinfachungszweck zuwider.

Hinweis: Kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot

Da § 10 Abs. 4b Sätze 2 und 3 EStG am 1.1.2012 in Kraft getreten sind, gelten sie für alle Erstattungen, die dem Steuerpflichtigen nach dem 31.12.2011 gemäß § 11 EStG zugeflossen sind bzw. zufließen. Erstattungen werden demnach auch dann im Rahmen der Verrechnung und/oder der Hinzurechnung erfasst, wenn sie auf Aufwendungen beruhen, die der Steuerpflichtige vor diesem Zeitpunkt in einem früheren Veranlagungszeitraum getätigt hat.

Soweit sich daraus eine unechte Rückwirkung ergeben sollte, wäre diese nach Ansicht des BFH jedenfalls zulässig. Sie wäre mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar, weil sie zur Förderung des Gesetzeszwecks der vereinfachten Rückabwicklung des Sonderausgabenabzugs geeignet und erforderlich ist und weil bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.

BFH, Urteil v. 22.3.2023, X R 27/21; veröffentlicht am 20.7.2023

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