Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerabzug ohne ordnungsgemäße Rechnung. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: XI R 17/22)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Unternehmer kann den Vorsteuerabzug grundsätzlich erst geltend machen, wenn er in Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist.

2. Ausnahmsweise kann das Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer verlangen, den Vorsteuerabzug zu gewähren, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat.

3. Im Streitfall war der Vorsteuerabzug ohne ordnungsgemäße Rechnung ausnahmsweise zu gewähren, weil er anderenfalls wegen Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen endgültig versagt bliebe, obwohl die mit Umsatzsteuer belastete Eingangsleistung für die Erbringung einer steuerbaren und steuerpflichtigen Ausgangsleistung verwendet worden ist.

4. Wird zunächst eine Rechnung ausgestellt, die den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG nicht entspricht, und wird diese Rechnung später berichtigt, ist das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund der berichtigten Rechnung für den Besteuerungszeitraum auszuüben, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde.

 

Normenkette

UStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 4; EGRL 112/2006 Art. 167

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 1. November 2021 verpflichtet, die Umsatzsteuerfestsetzung für 2018 dahingehend zu ändern, dass Vorsteuern i.H.v. 912.082,07 EUR berücksichtigt werden.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2018 dergestalt hat, dass ihr ein Anspruch auf Vorsteuererstattung in Höhe von 912.082,07 EUR zusteht.

Die Klägerin ist eine am 19. Oktober 2009 in I… gegründete und dort ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Ltd.), deren Zweck der globale Handel mit Rohstoffprodukten und dazugehörigen Transportleistungen sowie das globale Marketing ist.

Nachdem die Klägerin zunächst überwiegend im asiatischen Raum tätig gewesen war, kam es im Jahr 2018 erstmals zu einem in Deutschland steuerbaren Geschäft. Im April/Juni 2018 schloss die Klägerin mit der Lieferantin B… Ltd. und mit der Abnehmerin C… (mittlerweile unter D… firmierend) jeweils einen Rahmenvertrag über den (globalen) Verkauf von Liquified Petroleum Gas (im Folgenden: LPG).

Auf der Grundlage des Rahmenvertrags kaufte die Klägerin am 14. September 2018 20.275,92 Metric Tonnes (im Folgenden: MT) LPG von B… Ltd.. Gleichzeitig verkaufte sie das LPG an D…. Das LPG wurde mit dem Tanker „E…” von F… (Großbritannien) im September 2018 nach G… (Deutschland, 8.925,00 MT) und H… (Frankreich, 11.350,92 MT) geliefert. Weitere Inlandsumsätze erzielte die Klägerin weder im Streitjahr 2018 noch in den Folgejahren.

Die Klägerin stellte D… ihre Lieferung von 8.925,00 MT in G… am 11. Oktober 2018 mit Umsatzsteuer in Höhe von 1.037.841,30 US$ (entspricht 896.933,19 EUR) in Rechnung.

B… Ltd. rechnete die Gesamtlieferung von 20.275,92 MT an die Klägerin – ohne zwischen der Lieferung nach G… und nach H… zu differenzieren – mit einer Gesamtrechnung vom 12. Dezember 2018 ab. Diese Rechnung wies lediglich den Nettobetrag der Lieferung (12.449.921,78 US$) und somit keine Umsatzsteuer aus. Dies beruhte nach Auskunft der Klägerin darauf, dass beide Vertragsparteien irrtümlich zunächst davon ausgegangen waren, dass die Lieferung der Umsatzsteuerlagerregelung unterfallen würde.

Am 27. Dezember 2018 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Registrierung als umsatzsteuerliche Unternehmerin. Sie teilte dem Beklagten mit, es sei 2018 erstmalig zu einer in Deutschland für umsatzsteuerliche Zwecke relevanten Transaktion gekommen. Im September 2018 habe sie von einem Lieferanten Propangas erworben und anschließend an einen Kunden weiterveräußert. Während des An- und Verkaufs habe sich das LPG in Deutschland befunden, sodass es sich jeweils um Inlandslieferungen handele. Die Bemessungsgrundlage der Lieferung an D… belaufe sich auf 4.685.070,01 EUR und die Umsatzsteuer auf 890.163,30 EUR. Die Bemessungsgrundlage des Eingangsumsatzes von B… Ltd. betrage 4.700.380,08 EUR und die Vorsteuer 893.072,21 EUR. Daraus ergebe sich ein Erstattungsbetrag von 2.908,91 EUR. Es liege jedoch noch keine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung von B… Ltd. vor. Den Gesamtumsatz für das Folgejahr 2019 schätzte die Klägerin mit 0,– EUR.

Der Beklagte erteilte der Klägerin am 22. Januar 2019 mit Wirkung zum 1. September 2018 eine Umsatzsteuernummer.

Am 23. Januar 2019 – ergänzt am 25. Januar 2019 – erstellte B… Ltd. eine korrigierte Rechnung an die Klägerin, die sich nur auf die in G… geliefe...

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