Rz. 86

Während sich die abstrakt angemessenen Aufwendungen nach wohnungsmarktbezogenen (abstrakten) Umständen (Referenzmiete, Wohnraumgröße, Vergleichsraum und abstrakt angemessener Wohnstandard) bestimmen (s. o.), kommt es im Rahmen der konkreten Angemessenheit der Bedarfe für Unterkunft (und Heizung) auf personenbezogene (konkrete) Umstände im Einzelfall an (vgl. zur dogmatischen Einordnung personenbezogener Umstände bei der konkreten Angemessenheit BSG, Urteil v. 11.12.2012, B 4 AS 44/12 R Rz. 14). Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist insofern Abs. 3 Satz 1, nach dem die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe als Bedarf zu berücksichtigen sind, wenn sie den "der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang" übersteigen.

 

Rz. 87

Gegen die konkrete Angemessenheit eines niedrigeren, abstrakt angemessenen Unterkunftsbedarfs können – ebenso wie gegen die Zumutbarkeit eines Umzugs als Kostensenkungsmaßnahme (dazu weiter unten) – Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Rücksichtnahme auf schulpflichtige Kinder oder Alleinerziehung sprechen (BSG, Urteil v. 16.4.2013, B 14 AS 28/12 R Rz. 37). Allerdings ist insofern stets zu prüfen, ob diese Umstände zum Schutz der kostenunangemessenen Wohnung als solcher führen – also mietpreisbildende Faktoren betreffen (s. o.) – oder lediglich im Rahmen erforderlicher Kostensenkungsmaßnahmen (dazu weiter unten) die Obliegenheit der Leistungsempfänger bei der Suche nach einer anderen Unterkunft auf das nähere örtliche Umfeld einschränken (vgl. BSG, Urteil v. 22.8.2012, B 14 AS 13/12 R Rz. 30 ff. zum Schulweg eines Kindes). Denn zu berücksichtigen sind im Rahmen der konkreten Angemessenheit lediglich solche – personenbezogenen – Umstände, welche zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten heranzuziehen sind, also vor allem den Wohnflächenbedarf und den Wohnungsstandard betreffen. Eine Behinderung kann daher nur dann die konkrete Angemessenheit der Aufwendungen begründen, wenn sie (beispielsweise wegen der Angewiesenheit auf einen Rollstuhl) einen höheren Wohnflächenbedarf erfordert. Allein das Alter einer leistungsberechtigten Person kann hingegen nicht zu dauerhaftem Schutz der Wohnung, sondern lediglich zu einer eingeschränkten Obliegenheit der Kostensenkung führen (vgl. BSG, Urteil v. 2.9.2021, B 8 SO 13/19 R Rz. 26).

 

Rz. 88

Auch individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt können dazu führen, dass die Aufwendungen für die bisherige Unterkunft trotz abstrakt unangemessener Aufwendungen konkret angemessen sind. So ist der Zugang zum Wohnungsmarkt für Menschen mit geistigen, psychischen oder seelischen Behinderungen, etwa aufgrund von Vorbehalten von Vermietern gegenüber diesem Personenkreis, generell erschwert. Erkennbare Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten können die Chancen auf angemessenen Wohnraum daher mindern (vgl. im Einzelnen BSG, Urteil v. 6.10.2022, B 8 SO 7/21 R Rz. 25 ff.). Führen die Beeinträchtigungen – nach den ggf. anzustrengenden Ermittlungen der Tatsachengerichte – zu einer erheblichen Einschränkung oder sogar Verschlossenheit des Wohnungsmarkts, ist regelmäßig eine individuelle Hilfestellung des Leistungsträgers geboten, um eine Wohnung zu finden. Kommt der Leistungsträger dieser Obliegenheit nicht nach, ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen. Konkrete Suchaktivitäten müssen die Betroffenen dann nicht nachweisen (BSG, a. a. O., Rz. 28).

 

Rz. 89

Besteht bei einem umgangsberechtigten Elternteil eines minderjährigen Kindes wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts ein zusätzlicher Wohnraumbedarf, kann dieser im Rahmen der konkreten Angemessenheit der Unterkunftsbedarfe (und Heizungsbedarfe) zu berücksichtigen sein, wenn das Kind seinen Lebensmittelpunkt bei dem anderen Elternteil hat (BSG, Urteil v. 17.2.2016, B 4 AS 2/15 R Rz. 21). Maßgeblich sind dabei die konkreten Umstände des Einzelfalls, etwa die Anzahl der betreuten Kinder, die Häufigkeit und Zeitdauer des Umgangs, das Lebensalter sowie die Lebenssituation des Kindes und des umgangsberechtigten Elternteils, soweit diese Auswirkungen auf den konkreten Wohnbedarf haben (vgl. im Einzelnen BSG, Urteil v. 29.8.2019, B 14 AS 43/18 R Rz. 32 f.; BSG, Urteil v. 21.7.2021, B 14 AS 31/20 R Rz. 39).

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