Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Einpersonenhaushalt in Nordrhein-Westfalen. Angemessenheitsprüfung. Wohnflächengrenze. Nichtanerkennung eines erhöhten Raumbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts mit getrennt lebenden Kind. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

Bei der Angemessenheitsprüfung gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 kann ein erhöhter Raum- bzw Wohnflächenbedarf wegen der Ausübung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind nicht anerkannt werden, wenn die vierjährige Tochter den Vater im Wesentlichen nur an zwei Wochenenden je Monat besucht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.08.2019; Aktenzeichen B 14 AS 43/18 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 24.03.2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt höhere Unterkunftskosten vom 31.07.2015 bis zum 31.10.2015.

Der am 00.00.1982 geborene Kläger bezog von 2012 bis 2017 von dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte berücksichtigte zunächst die vollen Unterkunfts- und Heizbedarfe für die vom Kläger bei Antragstellung bewohnten Unterkunft in der I-straße 00 in E. Mit Schreiben vom 22.11.2012 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Umzugszusicherung für eine Mietwohnung in der C-straße 00, E. Es handelt sich um eine 70 m² große Wohnung, für die insgesamt 500 EUR zu zahlen sind (320 EUR Grundmiete, 105 EUR Betriebskostenvorschuss, 75 EUR Heizkostenabschlag). Dies lehnte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 10.12.2012 ab, weil der Umzug nicht erforderlich und die Kosten für die neue Wohnung für eine alleinstehende Person unangemessen seien. Im Falle eines Umzugs ohne Zusicherung könnten nur die bis dahin gewährten Unterkunftskosten berücksichtigt werden.

Der Kläger mietete die Wohnung zum 01.12.2012 dennoch an. Weil der Kläger seine bis dahin bei der Mutter lebende, am 00.00.2011 geborene Tochter ab dem 01.01.2013 bei sich aufnahm, erkannte der Beklagte unter dem 23.01.2013 nachträglich die Notwendigkeit des Umzugs an. In der Folgezeit übernahm der Beklagte die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten für die Wohnung.

Ab November 2013 lebte die Tochter wieder bei ihrer Mutter (Entfernung zur Wohnung des Klägers rund 1,8 km). Der Kläger betreut seine Tochter seitdem im Rahmen des mit der Mutter vereinbarten Umgangsrechts im Wesentlichen an jedem zweiten Wochenende und unregelmäßig in den Ferien und an Feiertagen. Die Tochter bezog im streitigen Zeitraum in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter ebenfalls Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Mit Schreiben vom 24.02.2014 forderte der Beklagte den Kläger auf, seine Unterkunftskosten bis zum 31.08.2014 zu reduzieren. Diese seien nach den kommunalen Mietobergrenzen für Grundsicherungsempfänger um 96 EUR zu hoch. Nach dieser Frist könnten nur noch Bruttokaltmietkosten von 329 EUR (6,58 EUR x 50 m²) nebst Heizkosten von 75 EUR, insgesamt 404 EUR, übernommen werden. Ab dem 01.09.2014 berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger nur noch Unterkunfts- und Heizbedarfe in Höhe von monatlich 404 EUR. Mit Bescheid vom 14.10.2014 und Änderungsbescheid vom 01.12.2014 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 01.11.2014 bis 31.10.2015 weiterhin Unterkunfts- und Heizbedarfe in Höhe von monatlich 404 EUR.

Mit Schreiben vom 22.07.2015, dem Beklagten am 12.10.2015 zugegangen, beantragte der Kläger die Übernahme der tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten. Der Beklagte habe bei dem Wohnflächenbedarf nicht berücksichtigt, dass seine Tochter regelmäßig an den Wochenenden und in den Ferien bei ihm sei. Da er für seine Tochter Wohnraum vorhalte, sei der Wohnflächenbedarf für einen Zweipersonenhaushalt, jedenfalls aber der für 1,5 Personen zu berücksichtigen.

Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 27.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2016 ab. Die Angemessenheit der Wohnfläche bestimme sich nach der Zahl der tatsächlich dauerhaft in der Unterkunft wohnenden Personen. Zusätzlicher Wohnbedarf im Rahmen des Umgangsrechts für ein Kind könne nur berücksichtigt werden, wenn das Kind sich mindestens zur Hälfte in dieser Wohnung aufhält.

Hiergegen hat der Kläger am 11.03.2016 bei dem Sozialgericht Duisburg Klage erhoben. Der räumliche Mehrbedarf aufgrund des Umgangsrechts mit einem Kind sei in der Rechtsprechung bereits anerkannt und auch vom Gesetzgeber in Form des § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB nachvollzogen worden. Die Berücksichtigung eines höheren Wohnflächenbedarfs sei auch verfassungsrechtlich im Lichte von Art. 6 GG geboten.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 27.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2016 zu verpflichten, ihm für den Zeitraum 01.07.2015 bis 31.10.2015 um 96 EUR monatlich höhere Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat ge...

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