Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenersatz für Brillensonderanfertigung. Verursacherprinzip. Kausalität bei Heilbehandlung
Orientierungssatz
1. Die Versorgungsverwaltung hat der KK Mehrkosten, die bei Beschaffung von Brillen wegen schädigungsunabhängiger Gesundheitsstörungen für schädigungsbedingte Sonderanfertigungen angefallen sind, zu ersetzen.
2. Für den verwaltungsinternen Lasten- und Kostenausgleich ist das "Verursacherprinzip" maßgebend. Dieses Prinzip kann einen Ersatzausgleich zwischen den beteiligten Verwaltungsträgern erforderlich machen.
Mit dem Hinweis auf die "Verursacher"-Haftung ist jedoch nicht eine versorgungsrechtliche Kausalitätsbetrachtung gleichzusetzen oder zu verwechseln. Es ist iVm einer Heilbehandlung nicht ein für allemal der Grundsatz maßgebend, daß zur Beurteilung der wehrdienstbedingten Schädigungsfolgen nur auf diejenigen Gegebenheiten abzustellen sei, welche bei Eintritt des schädigenden Ereignisses bestanden und entstanden. Deshalb ist im gegenwärtigen Zusammenhang auch nicht wie bei der versorgungsrechtlichen Ursachenlehre anzunehmen, mit dem Ende des schädigenden Vorgangs sei die versorgungsrechtlich beachtliche Ursachenkette abgeschlossen (vgl BSG vom 1975-12-10 9 RV 112/75 = BSGE 41, 70 = SozR 3100 § 30 Nr 11 mN). Für die Heilbehandlung steht der Zweck im Vordergrund. Diesem Zweck könnte der angeführte Kausalitätsgedanken zuwiderlaufen. Die Heilbehandlung wird ua gewährt, "um die Gesundheitsstörungen zu beseitigen oder zu bessern und die Folgen der Schädigung zu erleichtern" (BVG § 10 Abs 1 S 1). Diesem Ziel würde eine Rechtsanwendung nicht gerecht, welche die Heilbehandlung solcher Schädigungsfolgen ausschlösse, welche zwar schädigungsbedingt sind, aber nur im Zusammenhang mit später hinzutretenden schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen in Erscheinung treten oder sich in besonderer Weise auswirken ("Nachschaden"). So wie der Anspruch auf Heilbehandlung sich auch auf diese Leidenszustände erstrecken kann, ist auch der Ersatzanspruch nach BVG § 19 Abs 1 entsprechend auszudehnen.
Normenkette
BVG § 19 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1964-02-21, S. 2 Fassung: 1964-12-21, § 10 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Fassung: 1974-08-07; RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 1974-08-07
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die klagende Ersatzkasse verlangt von dem beklagten Land die Erstattung von 114,- DM, die sie als Mehraufwendungen für Sonderanfertigungen von Brillen der bei ihr versicherten Beschädigten N. und P. aufgebracht hat. Die Sehhilfen als solche wurden 1971 aus schädigungsunabhängigen Gründen notwendig, lediglich die Sonderanfertigungen dieser Sehhilfen sollten die Folgen der Schädigung erleichtern. Das Versorgungsamt lehnte die geltend gemachte Erstattung ab. Der Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Beiladung der Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 13. Februar 1976 stattgegeben. Es hat ausgeführt: § 19 Abs 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sehe vor, daß den Krankenkassen, wenn sie nicht nur nach den Vorschriften des BVG zur Gewährung von Heilbehandlung verpflichtet seien. Aufwendungen ua für kleine Heilmittel ersetzt würden, sofern diese durch Behandlung anerkannter Schädigungsfolgen entstanden seien. Zu den kleinen Heilmitteln gehörten auch Brillen, die nicht als Sachleistung von der Versorgungsbehörde, sondern von der Krankenkasse zu gewähren seien. Wegen anerkannten Schädigungsfolgen seien ein leichtes Brillengestell mit Kunststoffgläsern und eine Brille nach Maß notwendig gewesen. Die dadurch entstandenen Mehrkosten seien gemäß § 19 Abs 1 BVG zu erstatten. Diese Rechtsfolge sei in der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. April 1974 (SozR 3100 § 19 Nr 1) ausgesprochen. Danach seien die Kosten für den äußerlich und finanziell abgrenzbaren Teil einer schädigungsbedingten Sonderanfertigung eines Heilmittels von der Versorgungsbehörde zu tragen. Die Sonderanfertigungen seien mindestens gleichwertig neben der schädigungsunabhängigen Sehstörung durch die Schädigungsfolgen verursacht, weil die Beschädigten eine normale Brille nicht tragen könnten. - Das SG hat die Revision auf Antrag des beklagten Landes im Einverständnis mit der klagenden Ersatzkasse durch Beschluß vom 13. September 1976 wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Das beklagte Land hat die Revision eingelegt und ausgeführt: Grundlage des Erstattungsanspruchs sei allein § 19 Abs 1 BVG. Diese Vorschrift sehe allein einen vollen Aufwendungsersatz oder eine pauschalierte Abgeltung von Aufwendungen vor. Ein voller Ersatz komme nach § 19 Abs 1 BVG aber nur für Krankenhauspflege und kleinere Heilmittel in Frage. Aus dem Umstand, daß Brillen nach § 182 Abs 1 Ziff 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (vgl VerwVG Nr 2 zu § 19 BVG) als kleinere Heilmittel anzusehen seien, folge jedoch nicht, daß dies auch für ihre einzelnen Bestandteile oder eine besondere Beschaffenheit gelte. Bestandteile oder Besonderheiten eines "Heilmittels" könnten für sich allein dem Zweck des Heilmittels nicht dienen, sondern erst im Zusammenwirken ihre Funktion erfüllen. § 19 Abs 1 Satz 1 BVG verlange, daß der Beschädigte einen Anspruch auf die gewährte Heilbehandlung habe. Dieser Anspruch könne sich nach § 11 Abs 1 Ziff 2 BVG nur auf das Heilmittel, nicht aber auf Teile davon oder auf eine spezielle Beschaffenheit richten. Die den schädigungsbedingten körperlichen Gegebenheiten angepaßte Sonderausführung der Brillen habe neben dem Grund dafür, daß Brillen benötigt würden, nur untergeordnete Bedeutung, selbst wenn man von Kausalitätserwägungen (SozR 3610 § 4 Nr 1) ausgehe. Denn die nach § 10 Abs 1 Satz 1 BVG rechtserhebliche Kausalkette ende im Zustand der Behandlungsbedürftigkeit, der in dem Ausgleich einer Sehminderung bestehe. Hierfür spiele es aber keine Rolle, ob eine Brille in Normal- oder nur in Sonderausführung getragen werden könne.
Das beklagte Land und die Beigeladene beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1976 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene Revision des beklagten Landes ist unbegründet.
Die Klägerin hat einen Ersatzanspruch aus § 19 Abs 1 BVG id 1971 gültigen Fassung. Wie das BSG in dem von den Beteiligten wiederholt zitierten Urteil vom 5. April 1974 aaO ausgeführt hat, sind Brillen als Heilmittel anzusehen (kleinere Heilmittel im Sinne von § 182 Abs 1 Nr 1 RVO). Es oblag der Klägerin, die Sehhilfen zu gewähren, die zum Ausgleich der Sehminderung notwendig und zweckmäßig waren. Darin erschöpfte sich ihre Leistungspflicht aber auch. Deshalb erhebt sich die Frage, ob die Mehraufwendungen, die dadurch entstanden sind, daß aus Schädigungsgründen die Brillen in Sonderanfertigungen geliefert werden mußten, nach § 19 Abs 1 Sätze 1 und 2 BVG zwischen der Krankenkasse und der Versorgungsverwaltung auszugleichen sind. Die Beschädigten N. und P. konnten Sehhilfen in Normalausfertigung nicht tragen. Sie waren durch die bei ihnen bestehenden anerkannten Gesundheitsstörungen gezwungen, eine besonders leichte Brille bzw eine Brille nach Maß zu benutzen. Die Sonderanfertigungen dienten mithin dazu, "die Folgen der Schädigung zu erleichtern" (§ 10 Abs 1 Satz 1 BVG; vgl hierzu SozR 3610 § 4 Nr 1). Auch sind die Teilleistungen durch Kostengegenüberstellung von Normalbrillen und Sonderanfertigungen finanziell abgrenzbar. Der Aufwendungsersatz hierfür ist ohne Schwierigkeiten zu ermitteln. Dem steht nicht entgegen, daß es sich nur um Brillenbestandteile oder eine besondere Beschaffenheit der Sehhilfen handelt (ebenso BSG, Urteil vom 24. März 1977 - 10 RV 71/76). Ohne sie könnte der Zweck der Heilbehandlung nicht erreicht werden. Der Umstand, daß in § 19 Abs 1 BVG Bestandteile kleinerer Heilmittel oder die besondere Beschaffenheit solcher Heilmittel ebensowenig genannt sind wie in § 11 Abs 1 Nr 3 BVG, nimmt den entsprechenden Leistungen nicht ihre Funktion als "Heilbehandlung" im Sinne von § 10 Abs 1 BVG. Von diesem Tatbestand muß folgerichtig, wenn schon ein Mehr gewährt wird, auch bei einem Weniger als Teil dieses Mehr ausgegangen werden. Das von der Beigeladenen gegen diese Auffassung angeführte Prinzip der unteilbaren Sachleistung betrifft, wie in dem Urteil des BSG vom 24. März 1977 - 10 RV 71/76 - näher dargelegt worden ist, das Leistungsverhältnis zum Beschädigten (vgl § 18 c BVG). Ihm gegenüber sollen Maßnahmen der Heilbehandlung nicht durch Zuständigkeitskonflikte mehrerer Verwaltungsträger erschwert oder verzögert werden. Damit ist aber nicht zugleich und in gleicher Weise eine Regelung über den verwaltungsinternen Lasten- und Kostenausgleich getroffen. Dafür ist vielmehr das "Verursacherprinzip" maßgebend (vgl § 10 BVG). Dieses Prinzip kann einen Ersatzausgleich zwischen den beteiligten Verwaltungsträgern erforderlich machen.
Mit dem Hinweis auf die "Verursacher"-Haftung ist jedoch nicht eine versorgungsrechtliche Kausalitätsbetrachtung gleichzusetzen oder zu verwechseln. Es ist in Verbindung mit einer Heilbehandlung nicht ein für allemal der Grundsatz maßgebend, daß zur Beurteilung der wehrdienstbedingten Schädigungsfolgen nur auf diejenigen Gegebenheiten abzustellen sei, welche bei Eintritt des schädigenden Ereignisses bestanden und entstanden. Deshalb ist im gegenwärtigen Zusammenhang auch nicht wie bei der versorgungsrechtlichen Ursachenlehre anzunehmen, mit dem Ende des schädigenden Vorgangs sei die versorgungsrechtlich beachtliche Ursachenkette abgeschlossen (dazu BSGE 41, 70 = SozR 3100 § 30 Nr 11 mN). Für die Heilbehandlung steht der Zweck im Vordergrund. Diesem Zweck könnte der angeführte Kausalitätsgedanke zuwiderlaufen. Die Heilbehandlung wird gewährt, "um die Gesundheitsstörungen ... zu beseitigen oder zu bessern, ... die Folgen der Schädigung zu erleichtern" (§ 10 Abs 1 Satz 1 BVG). Diesem Ziel würde eine Rechtsanwendung nicht gerecht, welche die Heilbehandlung solcher Schädigungsfolgen ausschlösse, welche zwar schädigungsbedingt sind, aber nur im Zusammenhang mit später hinzutretenden schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörungen in Erscheinung treten oder sich in besonderer Weise auswirken ("Nachschäden"). So wie der Anspruch auf Heilbehandlung sich auch auf diese Leidenszustände erstrecken kann, ist auch der Ersatzanspruch nach § 19 Abs 1 BVG entsprechend auszudehnen.
Im übrigen ist es sachangemessen, daß der Gedanke der einheitlichen unteilbaren Sachleistung in einem Falle wie diesem nicht rigoros durchgehalten wird. Brillen werden nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung aus geschichtlichen Gründen zu den "Heilmitteln" (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO; ebenso § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 2 BVG) gezählt, wiewohl sie der Sache nach nicht therapeutischen Aufgaben dienen, sondern körperliche Defekte ausgleichen sollen und demnach den "Hilfsmitteln", also nicht den Heilmitteln, zuzurechnen wären (BSGE 33, 263, 264 f; 36, 146, 148). Folgerichtig werden dann auch besondere Brillen in § 1 Satz 1 Nr 11 VO zu § 11 Abs 3 und §§ 13 und 15 BVG vom 19. Januar 1971 unter den "Hilfsmitteln" der orthopädischen Versorgung aufgeführt. Für solche Hilfsmittel ist die gesonderte Behandlung einzelner Teile und damit das Abweichen vom Prinzip der einheitlichen Sachleistung nicht ungewöhnlich (zB § 6 iVm § 1 Satz 1 Nrn 6 und 19 VO; ähnlich für Ersatzleistungen: § 2 Satz 1 Nrn 3, 4, 9 und 10, § 5 Absätze 3, 4, 9 und 10 aaO). Die Kostenauftrennung wegen Sachangemessenheit ist sogar in bezug auf die Heilbehandlung selbst bei der Versorgung mit Zahnersatz und bei einer Krankenhausbehandlung vorgesehen (§ 18 Abs 4 und 5 BVG). In ähnlicher Weise erscheint eine natürliche funktionelle Rechtsauslegung auch hier für eine Aufspaltung der finanziellen Lasten angebracht.
Hiernach ist § 19 Abs 1 Satz 2 BVG so zu verstehen, daß der Versorgungsträger die Mehrkosten, die bei Beschaffung von Brillen wegen schädigungsunabhängiger Gesundheitsstörungen für schädigungsbedingte Sonderanfertigungen anfallen, zu ersetzen hat. Das angefochtene Urteil ist also im Ergebnis richtig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen