Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfungsumfang der Behörde bei Stellung eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB 10

 

Orientierungssatz

1. Ergibt sich im Rahmen eines auf Erlass eines Zugunstenbescheides gestellten Antrags nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, so darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides berufen.

2. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu bescheiden. Lediglich eine andere Beweiswürdigung ist für die Erteilung eines neuen Bescheides nach § 44 SGB 10 nicht ausreichend.

3. Auch wenn der Versicherte schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB 10 gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen, sondern muss entsprechend dem Vorbringen des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten.

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 10.08.2009 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der Kläger beansprucht Versorgungsleistungen wegen eines Impfschadens in einem Verfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X.)

Der am 00.00.1971 geborene Kläger wurde am 06.04.1972 mit dem Impfstoff "Quatro-Virelon" (Behring) gegen Tetanus, Diphterie, Polio und Pertussis geimpft. Der Vierfachtotimpfstoff wurde durch eine intramuskuläre Injektion verabreicht. In den ersten Tagen nach der Impfung war der Kläger zunächst unauffällig. Nach Angaben der Eltern traten am 12.04.1972 verstärkte Unruhe und schrilles Schreien auf. Demgegenüber wurden diese Auffälligkeiten in einem an den Kinderarzt Dr. C gerichteten Bericht der Universitätsklinik C erstmals unter dem 16.04.1972 beschrieben. Am 17.04.1972 verschlechterte sich der Allgemeinzustand des Klägers stark, er bekam Durchfall. Am 18.04.1972 wurde er, nachdem die Eltern ihn morgens bewusstlos aufgefunden hatten, wegen perakuter Encephalotoxikose stationär ins Krankenhaus aufgenommen. Am 19.04.1972 setzte eine Krampfneigung ein, die sich im weiteren Verlauf verstärkte. Am 21.04.1972 wurde der Kläger von Dr. C wegen einer Enteritis und nicht auszugleichender Elektrolytbilanz in die Universitätsklinik verlegt, wo er bis zum 11.08.1972 blieb. Im Entlassungsbericht lauten die Diagnosen: Dyspepsie, Exsikkose mit Verdacht auf Hirnödem und Schockniere, Ostitis li. Femur mit Spontanfraktur, Cerebralparese.

Nach Einholung eines Gutachtens des Neurologen Dr. O lehnte das damals beklagte Land mit Bescheid vom 05.05.1997, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 16.09.1997 den Antrag auf Versorgung ab. In der Begründung heißt es ua, ein Impfschaden lasse sich dann vermuten, soweit sich innerhalb von 72 Stunden nach der Impfung zusätzliche Nebenwirkungen entwickelten. Selten träten Komplikationen in der Zeit vom dritten bis siebten Tag nach der Impfung auf. Nach dem siebten Tag seien noch keine Komplikationen beobachtet worden. Die beigezogenen Unterlagen hätten ergeben, dass erst zehn bis elf Tage nach der Impfung die Auffälligkeiten aufgetreten seien.

Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Dortmund (S 19 (32, 41) VJ 421/97). Dieses holte ein Sachverständigengutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. F, Arzt für Neurologie, Direktor der Klinik für Epileptologie der Universität L vom 01.07.1999 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 29.11.2000 und 20.02.2001 ein. Prof. Dr. F hielt im Ergebnis einen Zusammenhang mit der Impfung für sehr unwahrscheinlich. Die Hirnerkrankung sei höchstwahrscheinlich auf dem Boden einer impfunabhängigen Durchfallerkrankung mit Kreislauf- und Elektrolytstörung entstanden. Unabhängig von der Impfung sei wohl eine viral durch Rotaviren verursachte Enteritis aufgetreten, die zu der hypertonen Dehydratation mit der Folge der Cerebralparese geführt habe.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte das SG Prof. Dr. L, ehemaliger Direktor der Landeskinderklinik O mit der Erstellung eines Gutachtens. Mit Gutachten vom 23.02.2000 und ergänzenden Stellungnahmen vom 02.05.2003 und 19.08.2003 verneinte dieser Sachverständige das Vorliegen eines Impfschadens. Eine Enzephalopathie sei ausgeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass sich der Kläger mit Rota-Viren infiziert habe, die die Enteritis und nachfolgend die damals noch nicht adäquat behandelbare hypertone Dehydratation ausgelöst hätten, als deren Folge die Cerebralparese eingetreten sei. Eine Abwehrschwäche infolge von Impfungen werde in der Wissenschaft nicht mehr ernsthaft diskutiert. Eine Kannversorgung sei abzulehnen, weil über die Ursache des hier mit Sicherheit festgestellten Leidens keine Ungewissheit bestehe.

Auf weiteren Antrag des Klägers gem. § 109 SGG erstellte sodann Prof. Dr. F ein Gutachten vom 08.02.2002 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 04.05.2002 und 24.03.2003. Dieser Sachverständige bejahte ...

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