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BFH Urteil vom 29.07.1960 - VI 265/58 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Witwenbezüge (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit), die der Witwe vor ihrem Ableben weder gutgeschrieben noch sonst ihr als zugeflossen anzusehen sind, sind ihrem Erben als eigene Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen und nach den in seiner Person gegebenen Besteuerungsmerkmalen zu besteuern.

 

Normenkette

EStG § 11 Abs. 1, §§ 19, 24 Ziff. 2

 

Tatbestand

I. Bescheid Der Bf. ist Erbe der am 19. Februar 1954 verstorbenen Frau A. Als solcher hat er von der B.-Bank im Jahre 1955 eine Zahlung von 3.454,44 DM erhalten. Bei diesem Betrag handelt es sich um Witwengeld, das der Erblasserin für die Zeit vom 1. September 1953 bis 28. Februar 1954 - monatlich 575,74 DM - zugestanden hat. Die B.-Bank hat sich von dem Bf., der in dem Jahre 1955 als Arbeitnehmer bereits eine Lohnsteuerkarte gehabt hat, eine zweite Lohnsteuerkarte vorlegen lassen. Den Merkmalen dieser Lohnsteuerkarte entsprechend hat sie auf die vorerwähnte Zahlung von 3.454,44 DM 210 DM Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt.

Das Finanzamt veranlagte den Bf. zur Einkommensteuer für das Jahr 1955, indem es auch die Zahlung von 3.454,44 DM als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigte. Auf die festgesetzte Einkommensteuer rechnete es neben anderen - hier nicht interessierenden - Beträgen auch die auf die Zahlung einbehaltene Lohnsteuer von 210 DM an. Auf den Einspruch des Bf. berichtigte das Finanzamt die Einkommensteuerveranlagung durch Bescheid vom 2. Mai 1957, indem es die Zahlung außer Ansatz ließ. Es rechnete nun aber auch auf die festgesetzte Einkommensteuer nicht mehr die vorerwähnten 210 DM an. Mit Schreiben vom 5. Mai 1957 beantragte der Bf. Anrechnung auch dieser 210 DM. Das Finanzamt sah hierin einen Einspruch gegen die berichtigte Einkommensteuerveranlagung. Mit der Einspruchsentscheidung setzte es die Einkommensteuer wieder wie ursprünglich fest. Es berücksichtigte die Zahlung von 3.454,44 DM als Einkünfte des Bf. aus nichtselbständiger Arbeit. Auf die festgesetzte Einkommensteuer rechnete es wie ursprünglich die auf die Zahlung einbehaltenen 210 DM an. Die Berufung des Bf. blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Wenn die Vorinstanz die Zahlung von 3.454,44 DM als Einkünfte des Bf. aus nichtselbständiger Arbeit angesehen hat, so ist das nicht zu beanstanden. Die Einkünfte haben zwar der Erblasserin zugestanden. Sie sind aber nicht ihr, sondern erst dem Bf. als dem Erben zugeflossen. Dadurch, daß sie erst dem Erben zufließen, wird der Charakter der Einkünfte nicht geändert. Sie bleiben auch in der Hand des Erben Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (vgl. § 24 Ziff. 2 EStG). Für die einkommensteuerliche Erfassung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist der Zeitpunkt des Zufließens entscheidend (vgl. § 2 Abs. 4 Ziff. 2 und § 11 Abs. 1 EStG). Die Einkünfte müssen also, wenn sie erst dem Erben zufließen, diesem zugerechnet werden. Dem entspricht, daß, soweit Lohnsteuer einzubehalten ist, der Berechnung der Lohnsteuer die Verhältnisse des Erben zugrunde zu legen sind. Wenn im Streitfall die Lohnsteuer auf die an den Bf. geleistete Zahlung von 3.454,44 DM nach den Merkmalen der (zweiten) Lohnsteuerkarte des Bf. einbehalten worden ist, so ist das also nicht zu beanstanden. Weil es, wie dargestellt, allein auf den Zeitpunkt des Zufließens ankommt, ist es unerheblich, ob die Erblasserin lohnsteuerfrei gewesen wäre (wie es umgekehrt, wenn der Erbe lohnsteuerfrei ist, auch unerheblich ist, ob bei Zahlung an die Erblasserin hätte Lohnsteuer einbehalten werden müssen). Wie sich die Einbehaltung der Lohnsteuer auf die dem Erben zufließenden Einkünfte auf die Festsetzung der Erbschaftsteuer auswirkt, ob der dieser zugrunde zu legende Erwerb um die einbehaltene oder einzubehaltende Lohnsteuer zu kürzen ist oder nicht, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens; doch sei darauf hingewiesen, daß es sich bei der hier einbehaltenen oder einzubehaltenden Lohnsteuer nicht um eine Steuer des Erblassers, sondern des Erben handelt, die vorerwähnte Frage also nicht bloß bei (ererbten) lohnsteuerpflichtigen, sondern bei allen erst in der Person des Erben zur Einkommensteuer heranzuziehenden (ererbten) Einkünften auftaucht.

II. Urteil Wegen des Sachverhalts wird auf den Bescheid vom 6. Mai 1960 Bezug genommen. Der Bf., der Antrag auf Anberaumung der mündlichen Verhandlung gestellt hat, in dem Verhandlungstermin aber nicht erschienen ist, wendet sich schriftsätzlich nach wie vor dagegen, daß sein Schreiben vom 5. Mai 1957 als Einspruch aufgefaßt werden könne und daß die ihm als Rechtsnachfolger zugeflossenen Bezüge (Witwengelder) der Erblasserin als seine Einkünfte anzusehen seien. Wie bereits in dem Bescheid dargelegt, kann der Bf. mit seinen Einwendungen nicht durchdringen. Hieran vermag auch das neuerliche Vorbringen des Bf. nichts zu ändern.

Wenn der Bf. auf § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG hinweist und aus dieser Vorschrift folgert, daß der Arbeitnehmer Steuerschuldner ist, so ist das richtig, besagt aber in dem hier zu erörternden Zusammenhang nichts. Die Witwenbezüge der von dem Bf. beerbten Erblasserin - geht man zur Vereinfachung einmal davon aus, daß sie noch der Erblasserin selbst zugeflossen sind - sind unzweifelhaft im Sinne des Einkommensteuerrechts als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit anzusehen, auch wenn die Erblasserin die Bezüge nicht auf Grund eigener Arbeitsleistung, sondern auf Grund der Arbeitsleistung ihres Mannes erhalten hat (vgl. § 19 Abs. 1 Ziff. 2 EStG und § 2 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV). Diese Bezüge sind Einkünfte der Erblasserin (Witwe), nicht etwa Einkünfte ihres verstorbenen Mannes; die Erblasserin (Witwe), nicht der verstorbene Ehemann ist Schuldner der Einkommensteuer im Sinne des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG. Der Charakter der Einkünfte ändert sich nicht, wenn die Einkünfte nicht mehr dem ursprünglich Bezugsberechtigten, sondern erst dessen Erben zufließen. Es ist gleichgültig, ob es sich - wie bei rückständigem Arbeitslohn eines noch tätigen Arbeitnehmers oder bei rückständigen Ruhegehaltsbezügen eines bereits im Ruhestand befindlichen Arbeitnehmers - um auf der Arbeitsleistung des Bezugsberechtigten selbst beruhende Einkünfte oder aber - wie bei rückständigen Versorgungsbezügen der Witwe eines Arbeitnehmers - um Einkünfte handelt, die nicht auf der Arbeitsleistung des verstorbenen Bezugsberechtigten selbst, sondern auf der eines anderen beruhen (vgl. § 24 Ziff. 2 EStG). Weil es für die Entstehung der Steuerschuld bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit allein auf den Zeitpunkt des Zufließens ankommt (vgl. § 3 Abs. 5 Ziff. 1 Buchst. a des Steueranpassungsgesetzes, § 11 EStG), sind die - erst nach dem Tode des ursprünglich Bezugsberechtigten - dem Erben zugeflossenen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als dessen Einkünfte anzusehen und nach dessen Besteuerungsmerkmalen zu besteuern. Der Erbe ist hier also, weil die Steuerschuld in seiner Person entstanden ist, selbst Steuerschuldner und nicht, wie der Bf. meint, lediglich "Haftender im Sinne des § 1967 BGB" für eine bereits in der Person des Erblassers entstandene Steuerschuld. Nur dann läge es anders, wenn es sich um Bezüge handelte, die zwar erst an den Erben ausgezahlt wurden, aber im Sinne des § 11 EStG bereits dem Erblasser zugeflossen waren, z. B. weil sie diesem gutgeschrieben und von ihm nur noch nicht abgehoben worden waren. Wenn der Bf. in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß das Gesetz nicht zwischen Einzelrechtsnachfolger und Gesamtrechtsnachfolger unterscheide, und z. B. die Pfändung einer Gehaltsforderung nicht etwa zu einer Besteuerung des Gehalts in der Person des Pfandgläubigers führe, so ist dies richtig. Nicht richtig ist aber der von dem Bf. gezogene Schluß, daß für den Erben einer Lohnforderung nichts anderes gelte. Es handelt sich hierbei um einen Sachverhalt, der ganz anders liegt als der Fall des Pfandgläubigers. Wird das Gehalt eines Arbeitnehmers gepfändet, so verlieren die gepfändeten Bezüge nicht ihren Charakter als Arbeitslohn. Der Arbeitgeber muß, sobald er die Bezüge auszahlt, die Lohnsteuer auch insoweit einbehalten, als der gepfändete Teil in Betracht kommt. Der Pfandgläubiger muß die Einbehaltung der Lohnsteuer dulden, weil sein Pfändungspfandrecht ihm nicht mehr Rechte gibt, als dem Gläubiger der gepfändeten Forderungen zustehen. Ebenso hätte, wenn ein Arbeitnehmer einen Teil seines Gehalts abtritt, der Arbeitgeber die auch auf den abgetretenen Teil entfallende Lohnsteuer einzubehalten. Der neue Gläubiger (Einzelrechtsnachfolger) müßte die Einbehaltung dulden. Hier wie dort sind aber die nicht an den Arbeitnehmer, sondern an den Pfandgläubiger oder Rechtsnachfolger ausgezahlten Beträge, wenngleich sie ihren Charakter als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht verloren haben, anders als im Falle des Erben dem Arbeitnehmer zuzurechnen; sie sind nach § 11 EStG - von dem in diesem Zusammenhang nicht interessierenden Sonderfall der entgeltlichen Abtretung abgesehen - in dem Zeitpunkt ihrer Zahlung als dem Arbeitnehmer zugeflossen anzusehen. Wirtschaftlich betrachtet liegen Fälle dieser Art nicht anders, als habe der Arbeitnehmer sein Gehalt in vollem Umfange empfangen und dann den gepfändeten oder abgetretenen Teil an den Pfandgläubiger oder Einzelrechtsnachfolger abgeführt. Ist aber der Arbeitnehmer gestorben und hat erst sein Erbe das nach dem Tode fällig gewordene Gehalt ausbezahlt erhalten, so kann von einem Zufließen an den Arbeitnehmer und damit von einer steuerlichen Erfassung in der Person des Arbeitnehmers selbst nicht die Rede sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409777

BStBl III 1960, 404

BFHE 1961, 414

BFHE 71, 414

StRK, EStG:19/1/1 R 166

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