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BFH Urteil vom 19.12.1960 - VI 92/60 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei einer Nettolohnvereinbarung ist Schuldner der Lohnsteuer nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer.

Ist Lohnsteuer zu Unrecht einbehalten und abgeführt worden, so steht ein etwaiger Erstattungsanspruch in aller Regel dem Arbeitnehmer zu.

Sind dem Lohnsteuerabzug unterliegende Einkünfte in eine Veranlagung einbezogen worden, so kann die Frage, ob der Grund für die Versteuerung dieser Einkünfte nachträglich weggefallen ist, nur im Hinblick auf die Veranlagung geprüft werden. Für die Geltendmachung eines Lohnsteuer-Erstattungsanspruchs ist kein Raum.

 

Normenkette

EStG § 38 Abs. 3; AO § 152 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Strittig ist, ob der Bfin. ein Anspruch auf Erstattung von Lohnsteuer zusteht, die sie für einen Arbeitnehmer gezahlt hat. Der Arbeitnehmer ist im Jahre 1954 ausgeschieden. Die Bfin. hat ihm eine Abfindung von netto 10.000 DM gewährt und hierauf 7.765,20 DM Lohnsteuer abgeführt. Der Arbeitnehmer ist veranlagt worden. Die Bfin. hat die der Abfindung zugrunde liegende Vereinbarung wegen arglistiger Täuschung angefochten. Der Arbeitnehmer ist im Mai 1955 vom Amtsgericht verurteilt worden, 8.174 DM an die Bfin. zurückzuzahlen. Er hat 4.200 DM zurückgezahlt; der Rest ist ihm gestundet worden.

Die Bfin. beantragte unter dem 17. Mai 1956 die Rückzahlung der von ihr abgeführten Lohnsteuer, soweit diese über die Lohnsteuer hinausgeht, die auf den dem Arbeitnehmer verbliebenen Nettobetrag von (10.000 - 8.174 =) 1.826 DM entfällt. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Mit ihrer Rb. wehrt sich die Bfin. gegen die Ablehnung des Erstattungsantrags. Sie macht geltend: Soweit die Abfindung wegen der Anfechtung zurückgezahlt werden müsse, sei die von ihr abgeführte Lohnsteuer zu Unrecht abgeführt worden. Der Erstattungsanspruch stehe nicht etwa dem Arbeitnehmer, sondern ihr zu; denn die Abfindung sei als Nettoabfindung gewährt, die Lohnsteuer also allein von ihr getragen worden. Im übrigen aber habe der Arbeitnehmer ihr seinen etwaigen Erstattungsanspruch abgetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Die von der Bfin. auf die Abfindung abgeführte Lohnsteuer ist - davon gehen die Beteiligten zutreffend aus - zunächst zu Recht gezahlt worden. Die Abfindung war Teil des Arbeitslohns und unterlag als solcher der Lohnsteuer.

Wenn die Bfin. wegen Wegfalls des Rechtsgrundes der Lohnsteuer einen Erstattungsanspruch zu haben behauptet, so ist demgegenüber, wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, festzustellen, daß nach der ständigen Rechtsprechung schon des Reichsfinanzhofs und dann auch des Bundesfinanzhofs (vgl. besonders das Urteil II 189/56 U vom 9. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 180, Slg. Bd. 70 S. 480) ein Erstattungsanspruch grundsätzlich nur dem Steuerpflichtigen selbst zusteht, nicht aber demjenigen, der die Steuer an Stelle des Steuerpflichtigen bezahlt hat, und daß hier die Bfin., die auf die Abfindung abgeführte Lohnsteuer nicht als eigene Schuld, sondern als Schuld des Arbeitnehmers gezahlt hat. Die Bfin. hat zwar, weil die Abfindung als Nettozahlung vereinbart worden ist, die auf die Abfindung entfallende Lohnsteuer als eigene Schuld übernommen. Diese Schuldübernahme ist zivilrechtlicher Art; sie führt zwischen den Beteiligten, nämlich der Bfin. und ihrem Arbeitnehmer, zu nach bürgerlichem Recht zu beurteilenden Rechten und Pflichten (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 174/53 U vom 18. Februar 1954, BStBl 1954 III S. 130, Slg. Bd. 58 S. 577). Sie ändert aber nichts daran, daß im Verhältnis zum Steuergläubiger hinsichtlich der auf die Abfindung zu entrichtenden Lohnsteuer nicht die Bfin., sondern der Arbeitnehmer Steuerschuldner ist (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Wie im Fall der Einbehaltung, so wird auch im Fall der übernahme die Lohnsteuer - abgesehen von den hier nicht interessierenden Ausnahmefällen pauschaler Abgeltung - für den Arbeitnehmer abgeführt und, wenn dieser unter Einbeziehung der dem Lohnsteuerabzug unterworfenen Einkünfte veranlagt wird, auf dessen Einkommensteuer angerechnet. Wenn überhaupt, so kann in Fällen dieser Art ein Erstattungsanspruch regelmäßig nur in der Person des Arbeitnehmers als des Steuerschuldners entstehen. Der Erstattungsanspruch ist eine Art umgekehrter Steueranspruch. Wer hier Verpflichteter ist, ist dort Berechtigter. Ob die Steuer von dem Steuerschuldner selbst oder für diesen von einem anderen gezahlt worden ist, ist für die Erstattungsberechtigung gegenüber dem Steuergläubiger unerheblich. Ob und wieweit der erstattungsberechtigte Steuerschuldner seinerseits zum Ausgleich gegenüber demjenigen verpflichtet ist, der die Steuer für ihn gezahlt hat, ist eine bürgerlich-rechtliche Frage.

Wenn die Bfin. darauf hinweist, daß sie als Arbeitgeberin für die Abführung der Lohnsteuer gehaftet und insofern die gleiche Stellung gehabt hat wie der Steuerschuldner, so ist zwar richtig, daß auch der Arbeitgeber als Haftender in einem öffentlich- rechtlichen Schuldverhältnis zum Steuergläubiger steht (§ 7 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Auch in diesem Verhältnis kann sich als Umkehr des Haftungsanspruchs ein Erstattungsanspruch ergeben. Dies setzt aber voraus, daß das Haftungsverhältnis als solches zu beurteilen ist. So wäre der Arbeitgeber nach § 151 AO erstattungsberechtigt, wenn sich seine Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid als ungerechtfertigt erweist und der Haftungsbescheid aufgehoben wird. Unter Umständen kann sich, auch ohne daß das Haftungsverhältnis als solches streitig ist, ein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers ergeben, so zum Beispiel dann, wenn sich eine vom Arbeitgeber entrichtete Pauschalabgeltung der Lohnsteuer als ungerechtfertigt erweist. Ob es, selbst wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer auf den Lohn eines Arbeitnehmers einbehalten und für dessen Rechnung abgeführt hat, zu einem Erstattungsanspruch des Arbeitgebers kommen kann, braucht hier nicht untersucht zu werden. Denn jedenfalls steht, wie oben dargelegt, der Erstattungsanspruch in Fällen dieser Art grundsätzlich dem Arbeitnehmer zu; es ist für eine Ausnahme kein Raum, wenn der Arbeitnehmer dem Finanzamt wie im Streitfall bekannt ist.

Wenn die Bfin. sich hilfsweise auch auf die Abtretung des dem Arbeitnehmer zustehenden Erstattungsanspruchs beruft, so vermag auch dies ihr Begehren nicht zu rechtfertigen. Wie schon das Finanzgericht ausgeführt hat, steht dem Arbeitnehmer, solange die die Abfindung umfassende Einkommensteuerveranlagung 1954 nicht berichtigt worden ist, kein Erstattungsanspruch zu. Im Streitfall kann nicht daran vorbeigegangen werden, daß der Arbeitnehmer für das Jahre 1954 unter Einbeziehung der Abfindung zur Einkommensteuer veranlagt worden ist. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine zunächst zu Recht gezahlte Lohnsteuer nachträglich als zu Unrecht gezahlt und der Arbeitgeber, der diese Lohnsteuer gezahlt hat, als Erstattungsberechtigter angesehen werden muß. Sind der Lohnsteuer unterliegende und unterworfene Einkünfte in die Veranlagung des Steuerpflichtigen einbezogen worden, so kann die Frage, ob die Grundlage für die Heranziehung zur Lohnsteuer nachträglich weggefallen ist, nicht anders als die Frage, ob die Grundlage für die Heranziehung zur Einkommensteuer nachträglich weggefallen ist, nur im Hinblick auf die durchgeführte Einkommensteuerveranlagung beantwortet werden. Die Einkommensteuerveranlagung hat in einem solchen Fall den Vorrang vor der lohnsteuerlichen Erfassung. Wie immer man die Berichtigung der Einkommensteuerveranlagung auch begründen mag, erst wenn diese durchgeführt worden ist, ist nach § 151 AO ein Erstattungsanspruch gegeben. Die Frage, ob die Berichtigung durchgeführt werden muß, ist aber, wie das Finanzgericht ebenfalls bereits ausgeführt hat, nicht im vorliegenden Verfahren zu prüfen. Man wird zwar, wenn der Steuerschuldner selbst sofort den Erstattungsanspruch geltend macht, statt zunächst die Berichtigung zu verlangen, die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs in aller Regel in den Antrag auf Berichtigung umdeuten können und müssen. Eine solche Umdeutung ist aber ausgeschlossen, wenn nicht der Steuerschuldner selbst, sondern der Zessionar des Erstattungsanspruchs Erstattung beantragt. In der Abtretung des Erstattungsanspruchs liegt nicht auch die Abtretung des Rechts, eine Berichtigungsveranlagung zu beantragen. Dieses ist zudem mit dem Veranlagungsverfahren und dem Steuerschuldverhältnis so eng verbunden, daß es nicht abgetreten werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424165

BStBl III 1961, 170

BFHE 1961, 465

BFHE 72, 465

StRK, AO:152 R 9

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