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BFH Urteil vom 15.07.2003 - VIII R 92/01 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Kindergeld während einer Übergangszeit von mehr als vier Monaten

 

Leitsatz (NV)

Für ein Kind, das sich in einer Übergangszeit vom mehr als vier Monaten zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines anderen Dienstes im Ausland gemäß § 14b des Zivildienstgesetzes befindet, besteht während dieser Zeit kein Anspruch auf Kindergeld. Das Kind ist dabei auch nicht während der ersten vier Monate der Übergangszeit für das Kindergeld zu berücksichtigen.

 

Normenkette

EStG 1997 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b, c

 

Verfahrensgang

FG Berlin (Urteil vom 01.06.2001; Aktenzeichen 10 K 10095/00; EFG 2001, 1304)

 

Tatbestand

I. Der 1979 geborene S, der Sohn des Klägers und Revisionsklägers (Kläger), beendete im Juli 1999 seine Schulausbildung mit dem Abitur. In der Folge bemühte S sich darum, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden und einen als Zivildienstersatz nach § 14b des Zivildienstgesetzes (ZDG) anerkannten "anderen Dienst im Ausland" in einer internationalen Jugendbegegnungsstätte aufzunehmen. Er war bereits seit September 1999 freiwillig in der Jugendbegegnungsstätte tätig; offiziell als Zivildienstleistender zugewiesen wurde er jedoch erst zum 1. Januar 2000.

Mit Bescheid vom … hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) unter Berufung auf § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Festsetzung des Kindergeldes für S ab August 1999 auf und forderte danach zuviel gezahltes Kindergeld in Höhe von 1 000 DM für den Zeitraum von August bis November 1999 zurück. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1304 veröffentlichten Gründen ab.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG.

Er beantragt, die Vorentscheidung sowie den Aufhebungsbescheid des Beklagten aufzuheben, hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Die Vorinstanz hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass dem Kläger für die Monate August bis November 1999 kein Kindergeld für S zustand.

Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wurde im Streitjahr 1999 für das Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wurde (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) oder ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr ableistete (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG). S erfüllte im streitigen Zeitraum keinen dieser Berücksichtigungstatbestände.

a) S befand sich in der Zeit von August bis November 1999 nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in einer Berufsausbildung. Ebenso wenig absolvierte er während dieser Zeit ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG.

b) S war auch nicht deshalb gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, weil er darauf wartete, einen Platz für einen anderen Dienst im Ausland gemäß § 14b ZDG antreten zu können. Die Ableistung eines solchen anderen Dienstes im Ausland ist nämlich grundsätzlich keine Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mit der Folge, dass das Warten auf den Beginn des Dienstes regelmäßig auch nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG begünstigt ist.

In Berufsausbildung befindet sich derjenige, der sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, 92, BStBl II 1999, 701, 703). Der Vorbereitung dienen hierbei alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, m.w.N.).

Die Ableistung des Zivildienstes oder eines dem Zivildienst gleichgestellten anderen Dienstes im Ausland ist danach grundsätzlich keine Berufsausbildung, denn sie dient nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf. Die Zivildienstleistenden erfüllen vielmehr gemäß § 1 ZDG Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen, vorrangig im sozialen Bereich. Dienstleistende eines "anderen Dienstes im Ausland" gemäß § 14b ZDG versehen einen Dienst, der das friedliche Zusammenleben der Völker fördern will.

Dies schließt allerdings nicht aus, dass in Einzelfällen die Ableistung des Zivildienstes oder eines anderen Dienstes im Ausland i.S. des § 14b ZDG der Vorbereitung auf ein konkretes Berufsziel dient. So kann z.B. die Tätigkeit als Rettungssanitäter auch Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für einen angestrebten Beruf im medizinischen Bereich und die Tätigkeit in einem Altenheim solche für den Beruf des Altenpflegers vermitteln. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen sind im Streitfall jedoch keine Umstände ersichtlich, die dafür sprächen, dass die Tätigkeit des S in der internationalen Jugendbegegnungsstätte der Vorbereitung auf einen von ihm angestrebten Beruf gedient hätte.

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist auch nicht sinngemäß auf den Fall anzuwenden, dass ein Kind auf eine Stelle zur Ableistung des Zivildienstes oder eines anderen Dienstes im Ausland i.S. des § 14b ZDG warten muss. Eine Gesetzeslücke besteht insoweit nicht. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ist die Ableistung des Zivildienstes oder eines diesem gleichgestellten anderen Dienstes im Ausland nicht als Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG anzusehen.

c) S befand sich auch nicht in einer Übergangszeit i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung.

aa) Hierbei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift in der vor der Einführung des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I, 2074) geltenden Fassung die Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des Zivildienstes oder eines anderen Dienstes im Ausland i.S. des § 14b ZDG überhaupt erfasst (so Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes ―DA-FamEStG― 63.3.3 Abs. 3, BStBl I 1998, 386, 389, 417; Hessisches FG, Urteil vom 25. Juni 1997 2 K 626/97, EFG 1998, 104; FG München, Urteil vom 28. Juli 1999 1 K 251/99, EFG 1999, 1186, 1187; Jachmann in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rdnr. C 22; a.A. Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Rz. 82 a).

Selbst wenn § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG auch in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung auf eine solche Übergangszeit anzuwenden sein sollte, würde die Vorschrift im Streitfall nicht eingreifen, weil sie nur eine Übergangszeit von höchstens vier Monaten begünstigt; dieser Zeitraum ist hier überschritten.

Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kommt bei Überschreiten der Übergangszeit eine Begünstigung auch nicht für die ersten vier Monate in Betracht. Die Gesetzesentwicklung bestätigt diese Auslegung. Durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 22. Dezember 1981 (BGBl I, 1566) hat der Gesetzgeber eine § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG vergleichbare Regelung ―§ 2 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG)― eingeführt.

In der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass ein Kind, welches Übergangs- und Wartezeiten von mehr als vier Monaten zu überbrücken hat, sich darauf einstellen kann und muss, während dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (BTDrucks 9/842, S. 54).

bb) Gegen diese Beschränkung der Begünstigung bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Kind nicht mit einem Überschreiten der Übergangszeit von vier Monaten rechnen musste.

Dass der Gesetzgeber einen Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat, ist anerkannt (vgl. z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts ― BVerfG― vom 20. Dezember 1966 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12, 27, und BVerfG-Beschluss vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, m.w.N.). Er darf atypische Fälle unberücksichtigt lassen, wenn eine Einbeziehung nur unter Schwierigkeiten zu bewältigen wäre und hiervon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist (ständige Rechtsprechung des BVerfG, BVerfG-Urteil vom 28. April 1999 1 BvL 22, 34/95, BVerfGE 100, 59, 90, m.w.N.).

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist in erster Linie zugeschnitten auf Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten. Wird in einem solchen Fall die Viermonatsfrist überschritten, dann greift § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als Auffangtatbestand (so zutreffend Korn/Greite, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rz. 50), wenn die Fristüberschreitung darauf beruht, dass das Kind sich zwar rechtzeitig und ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat, eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes aber nicht beginnen oder fortsetzen kann.

Wie der Senat im Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 77/00 (BStBl II 2003, 845) entschieden hat, hat nämlich § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG keinen restriktiven Einfluss auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG in dem Sinn, dass auch im Rahmen der zuletzt genannten Vorschrift die Viermonatsfrist zu beachten ist.

Soweit wie im vorliegenden Streitfall § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht eingreift (siehe oben bei b) und daher § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht ergänzt, bestehen hiergegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber durfte bei typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass es regelmäßig möglich ist, innerhalb der Viermonatsfrist eine Stelle zur Ableistung des Zivildienstes oder eines anderen Dienstes im Ausland i.S. des § 14b ZDG anzutreten. Den Ausnahmefall, in dem dies nicht möglich ist, durfte er vernachlässigen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in einem solchen Fall, sofern die Fristüberschreitung für das Kind nicht absehbar ist und es deshalb nicht auf seine Erwerbsobliegenheit verwiesen werden kann, eine steuerliche Entlastung der Eltern im Rahmen von § 33a Abs. 1 EStG möglich ist.

2. Der Beklagte war daher berechtigt, die Kindergeldfestsetzung mit dem hier angefochtenen Bescheid rückwirkend für die Monate August bis November 1999 aufzuheben. Dies folgt aus dem Regelungszusammenhang des Gesetzes. Einerseits ist nach § 31 Satz 3 und § 71 EStG das Kindergeld laufend (monatlich) zu zahlen. Andererseits wird ein Kind, das sich in einer Übergangszeit gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG befindet und nicht gleichzeitig einen Ausbildungsplatz sucht, während dieser Zeit nur dann berücksichtigt, wenn die Übergangszeit nicht mehr als vier volle Monate dauert. Ob der Viermonatszeitraum überschritten wird, entscheidet sich in diesen Fällen erst im fünften Monat nach Beendigung des letzten Ausbildungsabschnittes. Die Situation ist insoweit derjenigen vergleichbar, in der die Familienkasse am Beginn eines Jahres eine Prognose darüber treffen muss, ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten werden und der Anspruch auf Kindergeld deshalb zu versagen sein wird. Für diesen Fall hat der BFH entschieden, dass die rückwirkende Änderung der Kindergeldfestsetzung zulässig ist, wobei er offen gelassen hat, ob die Änderung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 allein oder i.V.m. § 175 Abs. 2 AO 1977 oder auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen ist (BFH-Urteil vom 26. Juli 2001 VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86). Ebenso ist es in Fällen wie dem vorliegenden. Die Kindergeldfestsetzung ist daher rückwirkend ab dem ersten Monat der Übergangszeit aufzuheben, wenn sich herausstellt, dass diese den Zeitraum von vier Monaten überschreitet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1083316

BFH/NV 2004, 173

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