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BFH Urteil vom 03.11.1972 - VI R 270/69

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Leitsatz (amtlich)

Hat das FA die Pauschalbesteuerung der Bezüge kurzfristig beschäftigter Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen des § 42a Abs. 2 letzter Satz EStG zugelassen, so können die Arbeitnehmer die Erstattung der vom Arbeitgeber gezahlten Lohnsteuer im Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht verlangen, wenn sie dem Arbeitgeber keine Lohnsteuerkarte vorgelegt und die vereinbarten und ohne Abzug ausgezahlten Bezüge entgegengenommen haben.

 

Normenkette

EStG § 42a Abs. 2 Nr. 3; LStDV § 35b Abs. 1 Nr. 1b; JAV i.d.F. vom 31. Januar 1966 § 6 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) war von Mai bis Juli 1965 als Werkstudent an 11 nicht aufeinanderfolgenden Tagen bei einer Stadtgemeinde im Rahmen einer Verkehrszählung beschäftigt. Für seine Tätigkeit erhielt er insgesamt 435 DM (je Stunde 3 DM). Antragsgemäß hatte das FA dem Arbeitgeber im April 1964 bis auf weiteres genehmigt, die Lohn- und Kirchensteuer nach besonderen Pauschsteuersätzen zu erheben, wenn Arbeitslohn an kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer zu zahlen und deren sofortiger Einsatz zu einem unvorhergesehenen Zeitpunkt für eine Tätigkeit erforderlich sei, die über 10 zusammenhängende Arbeitstage nicht hinausgehe. Als Pauschsteuersatz für die Lohnsteuer wurden 12 v. H. des Arbeitslohns, für die Kirchensteuer 8 v. H. der abzuführenden Lohnsteuer festgesetzt. Das FA entband den Arbeitgeber von der Verpflichtung, sich von den Arbeitnehmern Lohnsteuerkarten vorlegen zu lassen. Der Arbeitgeber wurde verpflichtet, die Lohn- und Kirchensteuer zu übernehmen.

Der Arbeitgeber des Klägers errechnete die auf den Lohn des Klägers entfallende Lohnsteuer der Verfügung entsprechend auf 52,20 DM, die Kirchensteuer auf 4,18 DM und führte diese Beträge an das FA ab. Auf Wunsch des Klägers bescheinigte der Arbeitgeber am 1. April 1966 dem Kläger auf dem Vordruck "Lohnsteuerüberweisungsblatt", daß dessen "Bruttoarbeitslohn" für die Zeit vom 26. Mai bis 15. Juli 1965 435 DM betragen habe und daß hiervon 52,20 DM Lohnsteuer und 4,18 DM Kirchensteuer einbehalten worden seien. Daraufhin beantragte der Kläger beim Beklagten und Revisionskläger (FA) die Erstattung der Lohn- und Kirchensteuer im Lohnsteuer-Jahresausgleich. Das FA lehnte den Antrag ab und veranlaßte den Arbeitgeber das Lohnsteuerüberweisungsblatt dem Inhalt nach zu widerrufen. Den Einspruch wies das FA wegen der Lohnsteuer als unbegründet zurück.

Das FG gab der Klage mit dem in den EFG 1969, 451 veröffentlichen Urteil statt und wies das FA an, außer der Lohnsteuer auch 2,79 DM römisch-katholische und 1,39 DM evangelische Kirchensteuer zu erstatten. Es führte aus, Abschn. 52c Abs. 2 Sätze 5 und 6 LStR enthielten hielten eine unzulässige Einschränkung des den FÄ durch § 42a Abs. 2 letzter Satz des EStG und § 35b Abs. 2 Sätze 1 und 2 LStDV eingeräumten Ermessens. § 42a EStG lasse als Vereinfachungsregelung eine Pauschalbesteuerung nur zu, wenn diese nicht mit schwerwiegenden Nachteilen für die betreffenden Arbeitnehmer verbunden sei. Beabsichtige ein Arbeitgeber Studenten zu beschäftigen, so sei für das FA ersichtlich, daß die wegen des geringen Arbeitslohns etwa einbehaltene Lohnsteuer ganz oder doch zum größten Teil im Lohnsteuer-Jahresausgleich erstattet werden müsse. Es sei ein Ermessensmißbrauch, solchen Arbeitnehmern die Erstattungsansprüche im Lohnsteuer-Jahresausgleich abzuschneiden.

Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Das FA rügt mit der Revision Verletzung von Bundesrecht und Verstöße gegen allgemeine Denkgesetze. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 JAV i. d. F. vom 31. Januar 1966 i. V. mit §§ 42a EStG und 35b Abs. 2 LStDV seien bei der Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs solche Bezüge nicht anzusetzen, für die die Pauschalbesteuerung davon abhängig gemacht sei, daß Arbeitslohn und darauf entfallende Lohnsteuer nicht im Lohnsteuer-Jahresausgleich berücksichtigt würden. Bei kurzfristig und in geringem Umfang oder gegen geringes Entgelt beschäftigten Arbeitnehmern könne auf die Vorlage der Lohnsteuerkarten verzichtet werden. Daraus folge aber zwingend, daß Arbeitslohn und Lohnsteuer in diesen Fällen beim Lohnsteuer-Jahresausgleich außer Betracht bleiben müßten. Sinn und Zweck des Lohnsteuer-Jahresausgleiches sei es, den gesamten im Kalenderjahr erzielten Arbeitslohn zusammenzufassen und nach der Jahrestabelle zu versteuern. Das FA habe aber, wenn die pauschal versteuerten Bezüge in den Lohnsteuer-Jahresausgleich einbezogen werden sollen, keine Möglichkeit, den gesamten - einschließlich den auf Aushilfstätigkeiten des Steuerpflichtigen entfallenden - Arbeitslohn zu ermitteln. Es bliebe in das Belieben des Steuerpflichtigen gestellt, Aushilfstätigkeiten anzugeben oder zu verschweigen. Das FG habe nicht klar begründet, worin es die einen Ermessensmißbrauch des FA voraussetzende Benachteiligung des Klägers gesehen habe. Der Kläger habe infolge Übernahme der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber den ihm zugesagten Lohn ohne irgendeinen Steuerabzug erhalten. Eine Netto-Lohnvereinbarung, bei der der Arbeitnehmer Steuerschuldner bleibe und diesem grundsätzlich ein Erstattungsanspruch im Lohnsteuer-Jahresausgleich zustehe, liege im Streitfall nicht vor. Anders als bei einer Netto-Lohnvereinbarung, bei der auch die vom Arbeitgeber gezahlte Lohnsteuer zum vereinbarten Entgelt gehöre, sei die bei voller Auszahlung des vereinbarten Entgelts vom Arbeitgeber übernommene pauschale Abgeltung der Lohnsteuer kein Lohnbestandteil und könne demzufolge auch durch den Arbeitnehmer nicht zurückgefordert werden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach den tatsächlichen und von den Beteiligten nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanz hat im Streitfall eine Netto-Lohnvereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Kläger nicht vorgelegen. Bei einer Netto-Lohnvereinbarung sind die auf den jeweiligen Arbeitslohn entfallenden und gesondert zu berechnenden Lohnabzugsbeträge (Lohn-, Kirchensteuer, Sozialversicherungsbeiträge usw.) Lohnbestandteile. Der Arbeitgeber erfüllt mit der Abführung der Lohn- und Kirchensteuer eine Schuld des Arbeitnehmers. Im Streitfall hat der Arbeitgeber den vereinbarten Arbeitslohn an die kurzfristig beschäftigten Arbeitnehmer voll ausbezahlt, die nach Pauschsteuersätzen bemessene Lohnsteuer gemäß § 42a Abs. 2 EStG übernommen und wie eine eigene Steuerschuld behandelt.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist der Arbeitslohn des Klägers zu Recht pauschal besteuert worden. Das FA hat im Streitfall die Pauschalbesteuerung des Arbeitslohns gemäß § 42a Abs. 2 Nr. 3 EStG, § 35b Abs. 1 Nr. 1b LStDV 1965 durch Verfügung vom 30. April 1964 bis auf weiteres zugelassen. Diese Verfügung galt nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz auch noch für die im Jahre 1965 beschäftigten Aushilfskräfte. Dem Inhalt des mit diesen Feststellungen nicht in vollem Einklang stehenden Schreibens des FA an den Arbeitgeber vom 30. Oktober 1966 läßt sich nicht mit Sicherheit entnehmen, daß die Verfügung vom 30. April 1964 widerrufen wurde. Ein Verstoß der Vorinstanz gegen den klaren Inhalt der Akten scheidet danach aus.

Es war nicht ermessensmißbräuchlich, daß das FA die Pauschalbesteuerung für sämtliche kurzfristig beschäftigten Arbeitnehmer zugelassen und davon abhängig gemacht hat, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer der Aushilfskräfte übernimmt und der Arbeitslohn und die hierauf einbehaltene Lohnsteuer beim Lohnsteuer-Jahresausgleich außer Betracht bleiben. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Die Verfügung, mit der das FA die Pauschbesteuerung zuläßt, ist an den Arbeitgeber gerichtet und regelt die Rechtsbeziehungen zwischen FA und Arbeitgeber. Die Zulassung der Pauschalbesteuerung stellt den Arbeitgeber im Interesse der Vereinfachung der Lohnsteuererhebung in den Fällen des § 42a EStG weitgehend von den Pflichten der §§ 38 f. EStG frei und kann insoweit als begünstigender Verwaltungsakt angesehen werden (Nissen, DB 1963, 184). Der Arbeitgeber wird von der Verpflichtung entbunden, sich von kurzfristig oder in geringem Umfang oder gegen geringen Arbeitslohn beschäftigten Arbeitnehmern die Lohnsteuerkarte vorlegen zu lassen und die Lohnsteuer bei jeder Lohnzahlung an den Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen. Die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung der Pauschalbesteuerung wird vom Gesetz wegen der Besonderheit der Beschäftigung nicht gefordert.

Macht das FA - wie im Streitfall - die Pauschalbesteuerung davon abhängig, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer übernimmt, so liegt in der Zulassung der Pauschalbesteuerung gleichzeitig ein den Arbeitgeber belastender Verwaltungsakt. Die nach Pauschalsätzen bemessene Lohnsteuer wird vom Arbeitgeber zusätzlich und die Steuerfälle abschließend erbracht. Bei der zu Lasten des Arbeitgebers gehenden pauschalen Lohnsteuererhebung handelt es sich um ein Besteuerungsverfahren eigener Art, in das der Arbeitnehmer nicht weiter eingeschaltet ist (Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Aufl., § 2 Bl. 49, 1 Anm. 30 letzter Absatz). Dem entspricht es, daß die pauschal versteuerten Bezüge und die für sie gezahlte Lohnsteuer bei einer Veranlagung und beim Lohnsteuer-Jahresausgleich der Arbeitnehmer außer Betracht bleiben (§ 42a Abs. 2 letzter Satz EStG; § 6 Abs. 2 Nr. 1 JAV i. d. F. vom 31. Januar 1966). Da die Bezüge der in die Pauschbesteuerung einbezogenen Arbeitnehmer um die Pauschsteuerbeträge nicht gekürzt werden, kann die Zulassung der Pauschalbesteuerung - entgegen der Auffassung des FG - unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu schwerwiegenden Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer führen. Dies gilt auch für solche Arbeitnehmer, deren Einkünfte die Besteuerungsgrenze nicht erreichen würden.

Im übrigen setzt die Besteuerung nach Pauschsätzen eine einheitliche Behandlung aller betroffenen Arbeitnehmer voraus. Denn der Festlegung des Pauschsteuersatzes - im Streitfall aus 12 v. H. des Arbeitslohns sämtlicher kurzfristig beschäftigten Arbeitnehmer - liegt die Erfahrungstatsache zugrunde, daß zu den Aushilfskräften neben den Studenten - deren Einkommen möglicherweise unter der Besteuerungsgrenze bleibt - auch Arbeitnehmer mit höherem Einkommen gehören, bei denen die steuerliche Belastung bei 19 v. H. und höher liegt. Würden indes alle Arbeitnehmer, deren Einnahmen unter der Besteuerungsgrenze liegen, aus der Pauschalbesteuerung herausgenommen, würde der Pauschsteuersatz nicht mehr zutreffen und das Steueraufkommen aus den Arbeitslöhnen der Aushilfskräfte in ungerechtfertigter Weise gekürzt werden.

Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Der Kläger kann aufgrund der gesetzlichen Regelung die Erstattung der nach Pauschsätzen bemessenen und vom Arbeitgeber gezahlten Lohnsteuer im Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht verlangen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70267

BStBl II 1973, 128

BFHE 1973, 381

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