§ 12 Abs. 2 UStG-Tatbestände sind Ausnahmeregelungen: Das Umsatzsteuergesetz unterscheidet hinsichtlich des anzuwendenden Steuersatzes zwischen dem Regelsteuersatz i.H.v. 19 % nach § 12 Abs. 1 UStG und dem ermäßigten Steuersatz i.H.v. 7 % nach § 12 Abs. 2 UStG. Dabei sind die in § 12 Abs. 2 UStG normierten Tatbestände als Ausnahmeregelungen zu verstehen, die eng auszulegen sind.[2] Nur wenn keiner der in § 12 Abs. 2 UStG genannten Regelungen für die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes vorliegt, ist der Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG anzuwenden.[3]

Noch ungeklärte Fragestellung bei Online-Seminar: Für das Abhalten von Vorträgen im Rahmen eines Online-Seminars ist der anwendbare Steuersatz im Verhältnis zwischen dem Vortragendem als Leistungserbringer und dem Seminaranbieter als Leistungsempfänger bislang ungeklärt. In Betracht für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes kommt der Tatbestand des § 12 Abs. 2 Nr. 7c UStG. Hiernach ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für die Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Rechten, die sich aus dem Urheberrechtsgesetz ergeben.

[2] Vgl. st. Rspr. des EuGH, z.B. EuGH-Urt. v. 6.5.2010 – C-94/09 – Rs. Kommission/Frankreich, DStR 2010, 977; Heidner in Bunjes, 20. Aufl. 2021, § 12 UStG Rz. 6.
[3] Vgl. Heidner in Bunjes, 20. Aufl. 2021, § 12 UStG Rz. 6.

1. Verhältnis zum Europarecht

Bei der Anwendung des nationalen Umsatzsteuergesetzes sind stets die europarechtlichen Vorgaben der MwStSystRL zu beachten. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 7c UStG findet ihre europarechtliche Grundlage in Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Nr. 9 MwStSystRL.[4] Nach Anhang III Nr. 9 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten eine Steuersatzermäßigung auf Dienstleistungen von Schriftstellern, Komponisten und ausübenden Künstlern sowie diesen geschuldeten urheberrechtlichen Vergütungen anwenden.

Keine Anwendung d. ermäßigten Steuersätze auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen: Art. 98 Abs. 3 MwStSystRL legt jedoch allgemein für die unter Anhang III zur MwStSystRL aufgeführten Dienstleistungen fest, dass die ermäßigten Steuersätze nicht auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen anwendbar sind. Nach der Rechtsprechung des BFH kann daher in unionsrechtskonformer Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 7c UStG der ermäßigte Steuersatz für die Einräumung von Nutzungsrechten im Rahmen von elektronisch erbrachten Dienstleistungen i.S.d. Art. 98 Abs. 3 MwStSystRL keine Anwendung finden.[5] Würde die gegenüber dem Seminaranbieter erbrachte Referententätigkeit bei Online-Seminaren also eine elektronisch erbrachte Dienstleistung i.S.d. Art. 98 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL darstellen, fände schon aus diesem Grund die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 7c UStG keine Anwendung.

Qualifikation als elektronische Dienstleistung: Die Kriterien für die Qualifikation als elektronische Dienstleistungen lassen sich Art. 7 MwSt-DVO entnehmen.[6] Nach Art. 7 Abs. 1 MwSt-DVO liegt eine elektronisch erbrachte Dienstleistung vor, wenn sie (i) über das Internet oder ein ähnliches elektronisches Netz erbracht werden, (ii) ihre Erbringung aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt und wenn (iii) die Erbringung ohne Informationstechnologie nicht möglich wäre.

Geeignetes Abgrenzungskriterium: Insbesondere die Voraussetzung der "automatisierten Leistungserbringung mit nur minimaler menschlicher Beteiligung" eignet sich als Abgrenzungskriterium von Online-Seminaren gegenüber anderen (Präsenz-)Veranstaltungen. Handelt es sich um voraufgezeichnete Seminare, die ohne Möglichkeit der Interaktion mit dem Referenten zum Abruf bereitgestellt werden, liegt keine menschliche Beteiligung und damit eine elektronisch erbrachte Dienstleistung vor.[7] Das Abhalten von Online-Seminaren in Echtzeit, bei dem das elektronische Netz bloß als Kommunikationsmittel dient, stellt dagegen keine elektronisch erbrachte Dienstleistung dar.[8] Für die – üblicherweise – per Livestream angebotenen Webinare, bei denen eine Interaktion mit dem Referenten möglich ist, muss der § 12 Abs. 2 Nr. 7c UStG daher nicht einschränkend ausgelegt werden und kann bei Vorliegen der Voraussetzungen anwendbar sein.

 

Beispiel 1:

Ein Unternehmen bietet über seine Internetseite den On-Demand-Abruf von voraufgezeichneten Videos an, die der Referent ohne Beteiligung von Zuhörern für das Unternehmen erstellt hat. Die Leistung des Referenten für die Erstellung der Vortragsvideos unterliegt dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG, da wegen der fehlenden menschlichen Beteiligung eine elektronisch erbrachte Dienstleistung i.S.d. Art. 7 MwSt-DVO vorliegt. Auf die Einräumung von etwaigen Urheberrechten i.S.v. § 12 Abs. 2 Nr. 7c UStG kommt es nicht (mehr) an.

 

Beispiel 2:

Der von dem Veranstalter gebuchte Referent hält seinen Vortrag per Livestream gegenüber den Teilnehmern. Allerdings sind Rückfragen der Teilnehmer bei dem Referenten weder durch Einschalten des Mikrofons noch durch eine Chatfunktion möglich. Vergleichbar zu Beispiel 1 ist hier k...

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