Rz. 35

Nach dem Wortlaut des § 183a Abs. 2 S. 1 AO kann die Finanzbehörde an den Empfangsbevollmächtigten nach § 183a Abs. 1 AO bekannt geben, solange sie die Gründe, die dies verbieten, nicht positiv kennt. Erforderlich ist positive Kenntnis; Kennenmüssen reicht nicht aus. Hat die Finanzbehörde positive Kenntnis erlangt, ist es ohne Bedeutung, auf welche Weise diese Kenntnis erlangt wurde. Diese Regelung ist gerechtfertigt, da es jeder Feststellungsbeteiligte in der Hand hat, der Finanzbehörde von dem Eintritt eines der Tatbestände des § 183a Abs. 2 S. 1 oder 2 AO Kenntnis zu geben und dadurch die Bekanntgabe an sich zu erreichen. Die Information der Finanzbehörde ist daher grundsätzlich eine Obliegenheit der Feststellungsbeteiligten. Maßgebend ist die Kenntnis der für die Bekanntgabe des konkreten Verwaltungsakts oder der konkreten Mitteilung zuständigen Stelle, d. h. des Feststellungsfinanzamts. Kenntnis des Wohnsitzfinanzamts ist weder erforderlich noch ausreichend.[1] Maßgebender Zeitpunkt für die Kenntnis ist derjenige Zeitpunkt, zu dem der bekannt zu gebende Verwaltungsakt oder die Mitteilung den Herrschaftsbereich der Finanzbehörde verlässt. Dies ist der letzte Zeitpunkt, zu dem die Finanzbehörde aufgrund ihrer Kenntnis den Bekanntgabevorgang noch beeinflussen kann.

 

Rz. 36

Die Vorschrift bedarf jedoch einer Einschränkung, da sie sonst dem Grundsatz des § 88 AO widersprechen würde. Die Finanzbehörde muss daher in zumutbarem Umfang eigene Ermittlungen anstellen, wenn sie ernste Zweifel an der Zulässigkeit der Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten hat, etwa wenn sie Anzeichen von ernsthaften Meinungsverschiedenheiten zwischen den Feststellungsbeteiligten bemerkt.[2] Die gleichen Grundsätze gelten, wenn die Finanzbehörde im Zweifel darüber ist, ob die Meinungsverschiedenheiten "ernstlich" sind. Da bei der Bekanntgabe an einen Bevollmächtigten immer das Risiko besteht, dass ein Feststellungsbeteiligter den Rechtsschutz verliert, ist in Zweifelsfällen an alle Feststellungsbeteiligten bekanntzugeben. Die Rechtsprechung fordert jedoch "positive Kenntnis" der Finanzbehörde, um die Bekanntgabe nach § 183a Abs. 1 AO auszuschließen.[3]

 

Rz. 37

Soweit die Finanzbehörde ohne Verstoß gegen ihre Ermittlungspflicht von einem der in Abs. 2 genannten Tatbestände nichts gewusst hat, und der betroffene Feststellungsbeteiligte unverschuldet nicht in der Lage war, der Behörde das Vorliegen eines der Tatbestände mitzuteilen, kann bei Versäumung einer Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 110 AO, in Betracht kommen.

[2] Im Ergebnis ebenso Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 183 AO Rz. 121; a. A. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 183 AO Rz. 22; FG Düsseldorf v. 17.10.1984, VIII/II 163/79 F, EFG 1985, 218.

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