Rz. 131

Die Anforderungen an den Einsatz von Risikomanagementverfahren im Steuervollzug wurden als Ausfluss und Ergebnis der langjährig geführten Debatten und Ergebnisse gesetzlich verankert.[1] Die gesetzliche Ermächtigung zum Einsatz von Risikomanagementsystemen (RMS) und die dazu vom Gesetzgeber gesetzten Vorgaben verhindern, dass deren Einsatz mit dem Amtsermittlungsgrundsatz kollidiert[2] und regeln diesen ergänzend. Die Regelungsvorgaben des Abs. 5 des § 88 AO genügen auch dem Bestimmtheitsgrundsatz und vermindern das Risiko eines durch die automatisierten Vorgaben drohenden Vollzugsdefizits.[3]

 

Rz. 132

RMS zur Unterstützung des behördlichen Ermessens zur Untersuchungstiefe eines Steuerfalls sind schon seit einiger Zeit bei den Finanzbehörden der Länder im Einsatz. Hierbei handelt es sich um die Einrichtung programmgesteuerter Filter, der im Wesentlichen anhand von Wertgrenzen bestimmt, ob der Fall durch Beschäftigte der FÄ persönlich zu prüfen ist.[4] Im Mittelpunkt steht die maschinelle Risikobewertung, die eine Trennung in risikoarme und risikobehaftete Fälle vornimmt.[5] Grundlage der Risikobetrachtung sind demgemäß (nicht abschließend):

  • Elektronische Steuererklärungen (ggf. nebst Anlagen),
  • Papiergebundene Steuererklärungen (nach personeller Eingabe oder Scan),
  • Von mitteilungspflichtigen Stellen nach Maßgabe des § 93c AO übermittelte Daten,
  • Daten aus Grundlagenbescheiden[6],
  • Elektronische Angaben zu Steuerabzugsmerkmalen (KapESt, LSt etc.),
  • Daten von Meldebehörden und Kirchen.
 

Rz. 133

Dass der Ablauf und die Kriterien der Risikobewertung nicht transparent gemacht werden, wird heftig kritisiert.[7] Zum einen seien die Grundsätze der Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen nicht gewahrt und der Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht hinreichend gewährleistet, wenn die Grundzüge des RMS einer gerichtlichen Kontrolle entzogen seien.[8] Zum anderen seien die Grundzüge des Grundrechtseingriffs, hier die Ermittlungstiefe im Steuerfall, durch den Gesetzgeber selbst zu regeln. Der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts fordere, dass derart weitreichende Regelungen im Gesetz selbst zu regeln seien.[9] Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass bei einer ermessensleitenden Entscheidung des Gesetzgebers das Ermittlungsermessen der Finanzbehörden empfindlich beschnitten würde. Dies aber würde zu einer erheblichen Beschneidung des Amtsermittlungsgrundsatzes führen, was der Gesetzgeber ausweislich seiner einleitenden Äußerungen gerade nicht wollte.[10]

 

Rz. 134

Optimierendes Ziel des Einsatzes einer automatischen Risikobewertung ist die durchgängig vollautomatische Steuerfestsetzung. Zu diesem Zweck ist durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens[11] der § 155 Abs. 4 AO eingefügt worden, nach dem Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen ausschließlich automationsgestützt – also ohne Zutun eines Amtsträgers – erlassen, berichtigt und geändert werden können.[12] Neben den normativen Festlegungen in § 88 Abs. 5 und § 155 Abs. 4 AO sind weitere verfahrensrechtliche Regelungen für vollständig automationsgestützt bearbeitete Steuerfälle nicht erforderlich; auch in diesen Fällen bleibt die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit unverändert.[13] Diese wird nur auf andere Weise, ohne direktes Eingreifen eines Amtsträgers, erfüllt.

Ohne Medienbruch ist dann die elektronische Bekanntgabe nach Maßgabe der ebenfalls mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens[14] neu in das steuerliche Verfahrensrecht eingefügten §§ 157 Abs. 1 und 122a AO möglich. Die Beifügung eines Verspätungszuschlags ist indes nur in den tatbestandlich festgelegten Fällen des § 152 Abs. 2 AO, nicht aber in ermessensabhängigen Konstellationen des § 152 Abs. 1 AO möglich. Der Erlass eines ausschließlich automationsgestützten Erlasses eines Steuerbescheids kommt in Fällen in Betracht[15], in denen

  • der Stpfl. plausible Angaben gemacht hat,
  • der Abgleich mit anderen zur Verifikation beigestellten Besteuerungsgrundlagen (Vorjahresdaten, eDaten, Grundlagenbescheide etc.) nicht zu einem erhöhten Risiko führt,
  • eine Aussteuerung des Steuerfalls durch einen Risikofilter und einen anderen Prüfmechanismus oder durch die Zufallsauswahl unterbleibt,
  • der Steuerfall nicht zur personellen Prüfung ausgewählt wurde,
  • keine Angaben in einem qualifizierten Freitextfeld gemacht wurden und
  • in der Steuererklärung keine von den der Finanzbehörde übermittelten eDaten abweichenden Angaben enthalten sind.

Rz. 135 einstweilen frei

[1] Drüen, in HHSp, AO/FGO, § 88 AO Rz. 399.
[2] Klein/Rätke, AO, 17. Aufl. 2023, § 88 Rz. 90.
[3] Klein/Rätke, AO, 17. Aufl. 2023, § 88 Rz. 92.
[4] BRH, Bericht v. 17.1.2012, 5, Tz. 0.5 (recherchierbar unter www.bundesrechnungshof.de).
[5] Marx, Die Unternehmensbesteuerung 2016, 358, 361.
[7] Baldauf, DStR 2016, 834, 836; Marx, Die Unternehmensbesteuerung 2016, 358, 361.
[8] Marx, Die Unternehmensbesteuerung 2016, 358, 361.
[9] Baldauf, DStR 2016, S. 834, 836.
[10] BT-Drs. 18/74...

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