Vollständigkeitsgebot: Im Rahmen der aktuellen Fassung des § 371 AO steht das sog. Vollständigkeitsgebot mit im Vordergrund. Nach § 371 Abs. 1 S. 2 AO müssen die korrigierenden Angaben "zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen".

Geschieht dies, greift nach § 371 Abs. 2 AO gleichwohl keine Straffreiheit ein, wenn

  • dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i.S.d. § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung, oder
  • dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder
  • ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung, oder
  • ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
  • ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat oder
  • eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste, die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25 000 EUR je Tat übersteigt, oder
  • ein in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 6 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt.

Beachten Sie: Satz 2 der Vorschrift des § 371 Abs. 2 AO bestimmt, dass der Ausschluss der Straffreiheit nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a und c nicht die Abgabe einer Berichtigung nach Abs. 1 für die nicht unter Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und c fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart hindert.

Die Vorschrift ist damit für den Rechtsanwender zu einer "Komposition an Stolpersteinen" geworden: Derjenige, der als Berater (Steuerberater, Rechtsanwalt) eine Selbstanzeige vorzubereiten und ggf. zu erstatten hat[4], steht vielfach unter Zeitdruck und wird gerade vor dem Hintergrund des erwähnten Vollständigkeitsgebotes in § 371 Abs. 1 S. 2 AO zu aufwendigen Nachforschungen gezwungen, da die Frage einer unbeabsichtigt unvollständigen Nacherklärung ohne Bedeutung ist. Auch wenn bei der Nacherklärung über den geforderten Zeitraum von zehn Jahren ein (strafrechtlich relevanter) Sachverhalt nicht nacherklärt wird, beeinträchtigt dies die Wirksamkeit der Selbstanzeige.

Beraterhinweis Im Zweifel hilft nur die Vornahme einer Schätzung, die durchaus offengelegt werden kann (und regelmäßig auch sollte). Bei einer bewusst hohen Schätzung darf nicht außer Acht gelassen werden, dass diese in der Folge zwar (steuerlich) angegriffen werden kann, dass man aber von der Schätzungshöhe nur mit harten Fakten wieder herunterkommt.

Generell muss der Anzeiger gewärtigen, dass eine Selbstanzeige nicht per se für sich spricht, sondern dass sie vor der Korrektur der unrichtigen Bescheide diverse Aktivitäten der Finanzbehörde auslösen kann.

[4] Hier ist auch eine Stellvertretung zulässig; vgl. BGH v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373.

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