Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine körperschaftsteuerliche Organschaft bei Vereinbarung eines Ergebnisabführungsvertrags und zusätzlich einer atypisch stillen Gesellschaft zwischen einer Mutterkapitalgesellschaft und ihrer Tochter-GmbH. Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO bei gerichtlicher Änderung eines Grundlagenbescheids. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: I R 33/22)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine GmbH hat nicht ihren „ganzen Gewinn” im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG an ihre Alleingesellschafterin abgeführt – und es kann daher keine körperschaftsteuerliche Organschaft bestehen –, wenn neben dem Ergebnisabführungsvertrag zusätzlich noch eine atypisch stille Gesellschaft mit der Alleingesellschafterin vereinbart und die GmbH daher verpflichtet ist, einen Teil ihres Gewinnes an die Alleingesellschafterin in ihrer Eigenschaft als stille Gesellschafterin zu entrichten (Anschluss an Finanzgericht Hamburg, Urteil v. 26.10.2010, 2 K 312/09; BMF, Schreiben v. 20.8.2015, IV C 2 – S 2770/12/10001).

2. Die steuerrechtlichen Tatbestandsmerkmale, insbesondere die für die Anerkennung der Organschaft unabdingbare vereinbarungsgemäße und tatsächlich durchgeführte Abführung des ganzen Gewinns, sind eigenständig anhand der steuerrechtlichen Regelungszwecke und Sachgesetzlichkeiten auszulegen und anzuwenden (vgl. BFH-Rechtsprechung).

3. Liegen die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft nicht vor, sind gleichwohl durchgeführte Ergebnisabführungen als verdeckte Gewinnausschüttungen zu behandeln.

4. Wird ein Grundlagenbescheid auf Anfechtungsklage von einem Gericht geändert, so beginnt die zweijährige Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO erst mit Rechtskraft des Urteils (vgl. BFH, Beschluss v. 14.1.2003, VIII B 108/01, BStBl 2003 II S. 335). Der Umstand, dass für den Grundlagenbescheid bereits Feststellungsverjährung eingetreten war, ist insoweit unerheblich.

 

Normenkette

KStG § 8 Abs. 3 S. 2, § 14 Abs. 1 S. 1, § 17; EStG § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2; AktG § 291 Abs. 1 S. 1, § 292 Abs. 1 Nr. 2, § 301 S. 1; HGB §§ 230, 277 Abs. 3 S. 2; AO § 171 Abs. 10

 

Tenor

1. Der Bescheid für 2004 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom 13.02.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.10.2014 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 70 v. H. und der Beklagte zu 30 v. H.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine körperschaftsteuerliche Organschaft besteht.

Die Klägerin ist eine in Liquidation befindliche GmbH. Sie wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 30.09.1991 mit Sitz in A gegründet (Blatt 30 ff. Dauerbelegakte). Alleingesellschafterin war die Ostseebad A GmbH & Co. KG ebenfalls mit Sitz in A (eingetragen unter HRA 143, Amtsgericht F). Zum alleinvertretungsberechtigten, von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiten Geschäftsführer der Klägerin wurde Herr B bestellt. Dieser war zugleich alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Ostseebad A GmbH, die ihrerseits Geschäftsführerin und Komplementärin der Ostseebad A GmbH & Co. KG war. Geschäftsgegenstand der Klägerin waren Serviceleistungen und Vermittlungsgeschäfte jeglicher Art. Mit Vertrag vom 16.10.1991 firmierte die Klägerin um in „C GmbH”. Mit Gesellschafterbeschluss vom 10.12.1991 verlegte sie ihren Sitz von A nach C und war seit dem 20.02.1992 beim Handelsregister des Amtsgerichts D unter HRB 2524 eingetragen.

Am 19.12.1991 schlossen die Klägerin und die Ostseebad A GmbH & Co. KG einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag (Blatt 40 Dauerbelegakte; im Folgenden: EAV). Danach unterstellte sich die Geschäftsführung der Klägerin der insoweit weisungsberechtigten Ostseebad A GmbH & Co. KG. Die Klägerin verpflichtete sich, ihr gesamtes, nach den maßgeblichen handelsrechtlichen Vorschriften ermittelte Ergebnis an die Ostseebad A GmbH & Co. KG abzuführen. Der Vertrag begann mit der Gründung der Klägerin und lief zunächst unkündbar bis zum 31.12.1996. Danach verlängerte er sich jeweils um 2 Jahre, wenn keine Kündigung erfolgte. Die Kündigungsfrist betrug 1 Jahr.

Am 01.01.1992 schlossen die Klägerin und die Ostseebad A GmbH & Co. KG einen Vertrag über die Errichtung einer atypisch stillen Gesellschaft (Blatt 51 ff. Dauerbelegakte; im Folgenden: „GmbH & atypisch Still”). Danach beteiligte sich die Ostseebad A GmbH & Co. KG mit Wirkung vom 02.01.1992 mit einer Einlage von 100.000,00 DM an dem Handelsgewerbe der Klägerin als stille Gesellschafterin. Die Führung der Geschäfte des Handelsgewerbes stand allein der Hauptgesellschafterin zu (§ 3...

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