rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Änderung eines nichtigen Steuerbescheids. Mittelpunkt der Lebensinteressen. keine Bindung von FA und FG an Bescheinigung des Arbeitgebers über beruflich bedingte Nichtrückkehrtage. keine Schätzug von Nichtrückkehrtagen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Steuerbescheid ist wegen fehlender hinreichender Bestimmtheit nichtig, wenn er für einen Veranlagungszeitraum ergeht, für den bereits ein – wirksamer – Steuerbescheid gegenüber demselben Adressaten erlassen wurde, ohne dass sich nach dem Wortlaut des Bescheids oder im Wege der Auslegung ergibt, in welchem Verhältnis der zuletzt ergangene zu dem zuvor ergangenen Bescheid steht.

2. Für die Frage der Nichtigkeit eines Steuerbescheids kommt es auf den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe an.

3. Die Rechtswidrigkeit, die zur Nichtigkeit eines Steuerbescheids führt, schließt seine Änderung aus, da ein nichtiger Steuerbescheid keinerlei Rechtwirkungen entfaltet und nicht in Bestandskraft erwächst.

4. Die Erhebung einer Anfechtungsklage trotz etwaiger Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist zulässig, weil durch die vom FG ggf. auszusprechende Aufhebung der Rechtsschein einer wirksamen Verwaltungsentscheidung beseitigt werden kann.

5. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist auf der Grundlage einer zusammenfassenden Wertung sowohl der persönlichen als auch der wirtschaftlichen Beziehungen im konkreten Fall zu ermitteln. Dabei sind die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen der Person, ihre berufliche, politische, kulturelle und sonstige Tätigkeit, der Ort ihrer Geschäftstätigkeit, der Ort, von wo aus sie ihr Vermögen verwaltet, und ähnliches zu berücksichtigen.

6. Die Bescheinigung des schweizer Arbeitgebers über die Anzahl der Tage, an denen sein Arbeitnehmer aufgrund der Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz in Deutschland zurückgekehrt ist, schließt eine eigenständige Nachprüfung durch die Finanzbehörden des Ansässigkeitsstaates nicht aus; sie ist mithin weder für das FA noch für das FG bindend.

7. Eine Schätzung von Nichtrückkehrtagen an den Wohnsitz des Arbeitnehmers im Inland ist rechtlich nicht zulässig.

 

Normenkette

AO § 125 Abs. 1, §§ 119, 8, 162 Abs. 1, § 90 Abs. 2; FGO § 40 Abs. 1, § 76 Abs. 1 S. 4; BGB § 133; DBA CHE Art. 4 Abs. 1-2; DBA CHE 1971/2010 Art. 15a Abs. 2 S. 2

 

Tenor

1. Die Einkommensteuerbescheide für 2005, 2006, 2007 (2006 und 2007 jeweils zuletzt geändert durch Bescheid vom 6. Mai 2016) und 2008, jeweils vom 25. Oktober 2012, in Form der Einspruchsentscheidung werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden zu 53 % dem Beklagten und zu 47 % dem Kläger auferlegt.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit geleistet hat.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Einkommensteueränderungsbescheide für 2005 bis 2008, jeweils vom 25. Oktober 2012, nichtig sind. Streitig ist ferner, ob der Kläger unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war und wie hoch die Anzahl seiner Nichtrückkehrtage ist.

Der Kläger ist ledig. Er hat ein 2010 geborenes Kind, das von seiner am xx.xx. 2015 verstorbenen früheren Lebensgefährtin L) stammt. Der Kläger arbeitete seit 1992 als Bauarbeiter bei der S-AG in A, Schweiz. Im Jahr 1995 meldete der Kläger seinen inländischen Wohnsitz in der … straße × in B/Deutschland ab. Als neuen Wohnsitz gab er „… weg xx in C, Schweiz,” an. Mit Kaufvertrag vom xx.xx. 1998 erwarb der Kläger für xxx.xxx DM eine Eigentumswohnung in der U-straße × in B/Deutschland, die sich ca. 30 km von A entfernt befindet.

Für die Streitjahre gab der Kläger keine Einkommensteuererklärungen ab. Der Beklagte ging von einer beschränkten Steuerpflicht des Klägers aus und erließ für die Jahre 2004 bis 2009 folgende Einkommensteuerbescheide, in denen er die Besteuerungsgrundlagen wegen angenommener Vermietungseinkünfte aus der U-straße schätzte:

  • Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 19. Oktober 2005
  • Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 20. Februar 2007
  • Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 11. März 2008
  • Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 26. Oktober 2009
  • Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 27. Juli 2010
  • Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 14. März 2011

Für die Jahre 2004 bis 2007 und 2009 setzte er die Einkommensteuer jeweils auf 0 EUR, für das Jahr 2008 auf x.xxx EUR fest. Sämtliche Bescheide ergingen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Mit Bescheid vom 26. Juli 2010 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid für 2005, indem er die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um x.xxx EUR erhöhte und den Vorbeh...

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