Leitsatz

1. Die von Deutschland abgeschlossenen DBA stehen grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils autonom und unabhängig voneinander auszulegen, so dass sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen kann, die ihm eines dieser Abkommen gewährt.

2. Die Verpflichtung Deutschlands zur Freistellung bestimmter Einkünfte aufgrund eines DBA (hier: DBA-Schweiz 1971/2010) wird daher in einer Dreieckskonstellation nicht dadurch beeinträchtigt, dass nach dem mit einem weiteren Staat bestehenden DBA (hier: DBA-Frankreich 1959/2001) das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte (als sog. Drittstaateneinkünfte) Deutschland zugewiesen wird.

 

Normenkette

Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b, Art. 13, Art. 18 DBA-Frankreich 1959/2001, Art. 15 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010, § 50d Abs. 8 und 9 EStG

 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten in einem abkommensrechtlichen Dreieckssachverhalt über das Besteuerungsrecht Deutschlands.

Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Jahren 2012 und 2013 (Streitjahre) zusammen zur ESt veranlagt. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen befand sich in ihrer gemeinsamen Wohnung in Deutschland.

Der Kläger war seit dem 1.9.2012 in X (Schweiz) als Altenpfleger tätig und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Anlässlich der Aufnahme dieser Tätigkeit bezog er eine Zweitwohnung in Frankreich, von der aus er arbeitstäglich zu seiner wenige Kilometer entfernten Arbeitsstätte in der Schweiz pendelte. Den Arbeitslohn versteuerte der Kläger in Frankreich. Die Schweiz erhob hierauf keine Steuern.

In ihren ESt--Erklärungen für die Streitjahre setzten die Kläger den Arbeitslohn des Klägers auf Grundlage des DBA-Schweiz 1971/2010 als steuerfreie Einkünfte an.

Das FA folgte dem nicht und unterwarf diese Einkünfte in den ESt--Bescheiden für 2012 und 2013 der inländischen Besteuerung. Die Einsprüche der Kläger blieben erfolglos.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt (FG Münster, Urteil vom 13.7.2018, 1 K 42/18 E, Haufe-Index 12067395, EFG 2018, 1663).

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA ab und bestätigte die Rechtsauffassung des FG.

 

Hinweis

1. Mit der Besprechungsentscheidung ist der BFH der Rechtsauffassung des FA und des BMF bei der Anwendung der abkommensrechtlichen Steuerfreistellung in sog. Dreieckskonstellationen rechtsgrundsätzlich entgegengetreten.

2. Was ist eigentlich eine abkommensrechtliche Dreieckskonstellation? Der Besprechungsfall ist ein Musterbeispiel dafür: Der Kläger hat seinen Lebensmittelpunkt in NRW. Er arbeitet unter der Woche als Altenpfleger in der Schweiz und wohnt in dieser Zeit kostengünstig im nahegelegenen Frankreich in einer Zweitwohnung. Zwischen Deutschland, der Schweiz und Frankreich entsteht dadurch ein Dreieck mit drei einschlägigen DBA (Deutschland-Schweiz, Schweiz-Frankreich, Frankreich-Deutschland).

3. Die drei DBA sahen im Wesentlichen Folgendes vor:

  1. Nach dem DBA-Schweiz stand dem Tätigkeitsstaat Schweiz im Verhältnis zu Deutschland das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Arbeitslohns zu. Deutschland war nach dem Methodenartikel zur Freistellung unter Progressionsvorbehalt verpflichtet.
  2. Nach dem DBA-Schweiz-Frankreich stand Frankreich das Besteuerungsrecht zu, weil der Kläger nach den Regelungen dieses Abkommens aufgrund seines grenznahen (Zweit-)Wohnsitzes in Frankreich und seiner Arbeitsausübung in der Schweiz "französischer" Grenzpendler war. Die Schweiz verzichtete insoweit auf ihr Besteuerungsrecht gegenüber Frankreich und vom Ergebnis her betrachtet auch gegenüber Deutschland (siehe oben unter 3. a).
  3. Aus der Perspektive des DBA-Deutschland-Frankreich handelte es sich beim Schweizer Arbeitslohn um Drittstaateneinkünfte. Diesbezüglich gebührte Deutschland Frankreich gegenüber das Besteuerungsrecht, weil der Kläger seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen ("Hauptwohnsitz") in NRW hatte und Deutschland als Ansässigkeitsstaat zu qualifizieren war.

4. Lässt man die drei vorgestellten DBA-Regelungen der Reihe nach Revue passieren, dann kann ein FA durchaus auf den Gedanken kommen, dass letztendlich doch Deutschland als "Hauptansässigkeitsstaat" das im Ergebnis "bessere" Besteuerungsrecht habe als die anderen Länder. Auch das im Revisionsverfahren beteiligte FA und das beigetretene BMF vertraten im Kern diese Meinung.

5. Der BFH ist dem allerdings nicht gefolgt. Er nimmt streng die Perspektive des Steuerpflichtigen ein: Aus Sicht des Klägers als in Deutschland ansässige Person, die in der Schweiz arbeitet, steht ihm nach dem DBA-Schweiz unzweifelhaft eine Steuerbefreiung für seinen Arbeitslohn zu. Einschränkungen sieht dieses Abkommen nicht vor. Dass die Schweiz wiederum mit einem anderen Staat (hier: Frankreich) vereinbart hat, diesem Staat gegenüber auf sein Besteuerungsrecht zu verzichten, ändert daran nichts. Und an diesem Befund (DBA-Schweiz gewährt gesetzliche Steuerbefreiung) ändert sich letztendlich auch dann nichts, wenn man das DBA-Frankreich neben das DBA Schweiz stel...

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