Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Grundsicherungsleistungen bei ungeklärter Unterhaltszahlung durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

Kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei summarischer Prüfung des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nicht geklärt werden, ob vom Unterhaltsverpflichteten tatsächlich Unterhalt gezahlt wird, so sind bei glaubhaft gemachter Notlage des Antragstellers Grundsicherungsleistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu erbringen, gfs. unter Anrechnung von gezahltem Kindergeld.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 14.08.2012 bis zum 13.10.2012 Arbeitslosengeld II allein unter Anrechnung des für den Antragsteller zu 3) gezahlten Kindergeldes in Höhe von monatlich 184,00 Euro nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin U, L, bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin zu 1) und deren leibliche Kinder, die Antragsteller zu 2) - 4) sind bulgarische Staatsangehörige. Die Antragsteller zu 1) - 3) reisten im Juni 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein, die Antragstellerin zu 4) ist dort am 00.00.2012 geboren. Am 05.03.2012 beantragten sie die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuches (SGB II), der mit Bescheid vom 03.05.2012 abgelehnt wurde. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.2012 als unzulässig zurückgewiesen. Der Antragsgegner wertete den Widerspruch jedoch als Antrag auf Überprüfung nach Maßgabe des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X); dieser Antrag ist noch nicht beschieden.

Die Antragstellerin zu 1) ist im Besitz einer unbefristeten Freizügigkeitsbescheinigung und einer Arbeitserlaubnis EU mit Blick auf die E Dienstleistungen GmbH, für die sie vom 27.08.2011 - 17.11.2011 als Reinigungskraft arbeitete. Die Kündigung (durch den Arbeitgeber) erfolgte - so die Antragstellerin zu 1) -, weil sie aus familiären Gründen ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Arbeitsort in C wieder nach L zurück verlegte und deshalb in C nicht mehr eingesetzt werden konnte. Die Wiederaufnahme der Beziehung zu ihrem Ehemann in L sei fehlgeschlagen, der Mann sei ausgezogen, sein jetziger Aufenthalt sei unbekannt. Eine neue Arbeitsstelle habe sie auch wegen der komplikationsreichen Schwangerschaft nicht finden können.

Zur Begründung ihres am 10.07.2012 gestellten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben die Antragsteller vorgetragen, sie bestritten ihren Lebensunterhalt durch das für den Antragsteller zu 3) gezahlte Kindergeld und, so die Antragstellerin zu 1) in einer eidesstaatlichen Versicherung vom 10.07.2012, dadurch, dass sie Geld von Freunden bekomme, Flaschen sammele und Pfandgeld sowie Unterstützung von F e.V. erhalte. Das Mietverhältnis sei wegen erheblicher Mietrückstände gekündigt worden. Lebensmittel erhalte sie von der "N", die Antragstellerin zu 4) könne aber nicht ausreichend mit Windeln versorgt werden. Von Freunden des Antragstellers zu 2) hätten sie zuletzt dreißig Euro bekommen.

Durch Beschluss vom 24.07.2012, der Bevollmächtigten der Antragsteller am selben Tage zugestellt, hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Im Wesentlichen hat es ausgeführt, ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II könne nicht aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) abgeleitet werden, da Bulgarien nicht zu den Unterzeichnerstaaten dieses Abkommens gehöre. Bei glaubhaft gemachten Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. §§ 9 Abs. 1 und 8 Abs. 2 SGB II greife hier der Leistungsausschuss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem europäischen Diskriminierungsverbot sei umstritten. Diese Bedenken teile das Gericht bezogen auf die vollumfänglich freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger, nicht jedoch, wenn es sich - wie hier - um eingeschränkt freizügigkeitsberechtigte Personen handele. Bulgarien sei zum 01.01.2007 der Europäischen Union beigetreten. Nach den Beitrittsbedingungen seien sogenannte Neu-Unionsbürger wie Bulgaren und Rumänen nur vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen freizügigkeitsberechtigt. Von der Übergangsbestimmung habe die Bundesregierung Gebrauch gemacht (vgl. Bekanntmachung vom 07.12.2011, Bundesanzeiger-Nr. 197, vom 30.12.2011, 4654). Habe danach die Antragstellerin zu 1) aufgrund der Gesetzeslage nicht den gleichen Zugang zum inländischen Arbeitsmarkt wie deutsche Arbeitsuchende oder uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, bestehe unter Beachtung des Diskriminierungsverbotes ein objektiver Grund, diese vom Leistungsbezug auszuschließen.

Mit ihrer hiergegen am 27.07.2012 eingelegten Beschwerde haben die Antragsteller die Bewilligung von...

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