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BFH Urteil vom 24.06.1976 - IV R 101/75

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Leitsatz (amtlich)

Grundsätzlich trägt der Steuerpflichtige die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, daß Minderungen des Betriebsvermögens, die der Steuerpflichtige in seiner Buchführung als betrieblich veranlaßt ausgewiesen hat, tatsächlich betrieblich veranlaßt waren und deshalb Betriebsausgaben sind.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 1, 4, § 4 Abs. 1; FGO § 96

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1968 und der Gewerbesteuerveranlagung 1968, ob Zahlungen in Höhe von 455 002 DM Ausgaben für Wareneinkäufe und damit Betriebsausgaben waren.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb im Streitjahr 1968 eine Fleischwarenfabrik und einen Großhandel mit Fleischwaren.

Der Kläger leistete im Jahre 1968 aufgrund von acht Rechnungen über Fleischlieferungen, die unter der Firmenbezeichnung "X" ausgestellt waren, durch Hingabe von Schecks zum Ausgleich der Rechnungsbeträge Zahlungen in Höhe von insgesamt 455 002,03 DM (432 995,23 DM + Mehrwertsteuer 22 005,92 DM). Diese Zahlungen waren in der Buchführung des Klägers als Ausgaben für Fleischeinkäufe (und damit unter Berücksichtigung des Vorsteuerabzugs und des § 9 b EStG) als Betriebsausgaben ausgewiesen. Nach der Darstellung des Klägers betrafen die Zahlungen Fleischlieferungen, die ein Ausländer namens D an den Kaufmann J und dieser an den Kläger weiterverkauft habe. J sei an den Kläger herangetreten, um Ware eines ausländischen Geschäftsfreundes anzubieten. Dieser habe die Ware ohne Rechnung verkaufen wollen. Das habe er, der Kläger, abgelehnt. Er habe zum Ausdruck gebracht, daß eine Rechnung ausgestellt werden müsse, gleichgültig von wem. Demgemäß habe J die Ware selbst erworben und an den Kläger weiterverkauft. Die Ware sei dann von dem Ausländer im Auftrag des J unmittelbar an den Kläger geliefert worden. Die Rechnung sei im Büro des Klägers ausgefertigt worden.

In den Jahren 1970 und 1971 fand beim Kläger im Zusammenhang mit Zollfahndungsmaßnahmen auch eine Betriebsprüfung statt. Der Prüfer stellte u. a. fest, daß sich in den Buchführungsunterlagen des Klägers über die oben erwähnten in Rechnung gestellten Warenlieferungen weder Lieferscheine noch Partieakten befanden, daß das Lagerjournal keine Eintragungen über den Wareneingang und den Warenausgang enthielt und daß auf den Rechnungen lediglich Rechnungseingangsnummern, hingegen nicht, wie sonst im Betrieb des Klägers üblich, sogenannte Positionsnummern vermerkt worden waren. Der Prüfer vertrat die Auffassung, daß bezüglich der acht Rechnungen, die die Firma J ausgestellt habe, ungewiß sei, ob der Kläger die berechnete Ware erworben habe; er habe den Verbleib der Ware nicht nachweisen können. Selbst wenn jedoch Waren geliefert worden wäre, müßte der Betriebsausgabenabzug und der Vorsteuerabzug gemäß § 205 a Abs. 3 AO versagt werden, weil bei wirtschaftlicher Betrachtung nich J, sondern der Ausländer D Lieferant gewesen sei, dieser aber nicht identifiziert werden könne.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) schloß sich dieser Auffassung an und erließ auf ihrer Grundlage am 6. Dezember 1972 einen endgültigen Einkommensteuerbescheid für 1968 und einen endgültigen Gewerbesteuermeßbetrags- und Gewerbesteuerbescheid für 1968. Darin war der Gewinn aus Gewerbebetrieb mit ... DM angesetzt. Bei der Ermittlung dieses Betrags waren die Zahlungen zum Ausgleich der unter der Firma J ausgestellten acht Rechnungen in Höhe von 455 002 DM nicht als Betriebsausgaben berücksichtigt.

Den Einspruch des Klägers wies das FA zurück.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, die Zahlungen an J in Höhe von 455 002 DM seien (abgesehen von der darin enthaltenen und als Vorsteuer anzuerkennenden Mehrwertsteuer von 22 006 DM) Betriebsausgaben, weil sie Aufwendungen für Wareneinkäufe seien. Der Kläger beantragte, die Einkommensteuer 1968 demgemäß auf ... DM und die Gewerbesteuer 1968 auf ... DM festzusetzen. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Das FG führte aus (Urteil vom 17. Februar 1975 III 43/73, EFG 1975, 297), es habe nicht feststellen können, daß die Ausgaben betrieblich veranlaßt gewesen seien. Diese müßten deshalb bei der Gewinnermittlung wie eine Entnahme dem Betriebsvermögen am Ende des Wirtschaftsjahres wieder hinzugerechnet werden, auch wenn nicht feststellbar sei, daß es sich um eine Entnahme gehandelt habe.

Mit der Revision beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung der angefochtenen Steuerbescheide die Einkommensteuer 1968 auf ... DM und die Gewerbesteuer 1968 auf ... DM festzusetzen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.

Der Kläger rügt Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 205 a Abs. 2 und 3 AO und des § 4 EStG.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Senat pflichtet der Vorentscheidung darin bei, daß bei der Ermittlung des Gewinns die Zahlungen in Höhe von 455 002 DM nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden können, weil nicht feststellbar war, daß die Zahlungen betrieblich veranlaßt waren.

1. Gewinn ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG). Entnahmen sind alle Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige für betriebsfremde Zwecke entnimmt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG). Bei buchführenden Gewerbetreibenden ist das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§ 5 Abs. 1 EStG). Dabei sind u. a. die Vorschriften über die Entnahmen und Einlagen und über die Betriebsausgaben zu befolgen (§ 5 Abs. 4 EStG). Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs. 4 EStG).

2. Eine Rechtsnorm kann nur angewendet werden, wenn feststeht, daß die tatsächlichen Voraussetzungen, an die die Rechtsnorm bestimmte Rechtsfolgen knüpft, vorliegen. Die notwendige Folge ist, daß es für jeden Rechtsstreit, so auch für Steuerprozeß, eine objektive Beweislast (Feststellungslast) geben muß. Das bedeutet, daß der Richter den Rechtsstreit nach bestimmten Regeln zugunsten einer der Parteien entscheiden muß, wenn nicht festzustellen ist, ob bestimmte rechtserhebliche Tatsachen gegeben sind.

Grundsätzlich läßt sich die Frage, welche der Parteien des Rechtsstreits die objektive Beweislast (Feststellungslast) trifft, d. h. welcher der Parteien es zum Nachteil gereicht, wenn nicht festzustellen ist, ob bestimmte rechtserhebliche Tatsachen gegeben sind, nur von Fall zu Fall unter Würdigung der einschlägigen Rechtsnormen und ihrer Zweckbestimmung beantworten (Urteile des BFH vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156/164-165, BStBl II 1971, 220; vom 20. Mai 1969 II 25/61, BFHE 96, 129/134, BStBl II 1969, 550). Im allgemeinen gilt für den Steuerprozeß allerdings daß

a) der Steuergläubiger die objektive Beweislast für diejenigen Tatsachen trägt, die den Steueranspruch begründen und

b) der Steuerpflichtige mit der objektiven Beweislast für diejenigen Tatsachen belastet ist, die eine Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung begründen oder den Steueranspruch aufheben oder einschränken (BFH-Urteil V R 71/67; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., FGO § 96 Tz. 15).

3. Für den Streitfall folgt hieraus, daß zu klären ist, ob die Anwendung steuerbegründender oder steuereinschränkender Normen in Frage steht.

a) Die Vorentscheidung beruht auf der Erwägung, der Steuerpflichtige trage die objektive Beweislast dafür, daß bestimmte Aufwendungen (Minderungen des Betriebsvermögens) betrieblich veranlaßt waren; es gehe demnach zu Lasten des Steuerpflichtigen, wenn nicht festzustellen sei, ob die Aufwendungen betrieblich veranlaßt gewesen seien oder außerbetrieblichen Zwecken gedient hätten; derartige Aufwendungen seien "wie Entnahmen" zu beurteilen, d. h. dem Betriebsvermögensunterschied wieder hinzuzurechnen.

Demgegenüber geht die Revision offensichtlich davon aus, das FA trage die objektive Beweislast dafür, daß bestimmte Aufwendungen außerbetrieblichen Zwecken dienten; es gehe demnach zu Lasten des FA, wenn nicht festzustellen sei, ob die Aufwendungen betrieblich veranlaßt gewesen seien oder außerbetrieblichen Zwecken gedient hätten; derartige Aufwendungen seien - so ist die Revision zu verstehen - "wie Betriebsausgaben" zu beurteilen; sie seien deshalb bei der Gewinnermittlung nicht wieder hinzuzurechnen.

Die Problemstellung läßt sich auch dahin formulieren, daß zu entscheiden ist, wie bei der Gewinnermittlung nach § 5 i. V. m. § 4 Abs. 1 EStG Aufwendungen zu beurteilen sind, die der Steuerpflichtige in der Buchführung als betrieblich veranlaßte Minderungen des Betriebsvermögens behandelt hat, für die aber nach den im Steuerprozeß bestehenden Erkenntnismöglichkeiten weder eine bestimmte betriebliche Veranlassung noch eine bestimmte außerbetriebliche Zwecksetzung festzustellen ist.

b) Der Senat tritt der Vorentscheidung darin bei, daß der Steuerpflichtige die objektive Beweislast für die betriebliche Veranlassung geltend gemachter und in der Buchführung als solcher behandelter Minderungen des Betriebsvermögens trägt.

Dies ergibt sich in erster Linie aus dem systematischen Zusammenhang, in dem die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 5 i. V. m. § 4 Abs. 1 EStG einerseits und die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG und die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für nichtbetriebliche Einkünfte als Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten andererseits stehen. § 4 Abs. 3 EStG sagt, daß Gewinn der Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ist. Mit dem Wortlaut dieser Vorschrift ist es unvereinbar, Aufwendungen, für die nicht feststellbar ist, daß sie betrieblich veranlaßt sind, als abzugsfähig anzusehen. Entsprechendes gilt für § 2 Abs. 4 Nr. 2 EStG, wonach bei nichtbetrieblichen Einkünften der Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten der Besteuerung unterliegt. Für die Gewinnermittlung nach § 5 i. V. m. § 4 Abs. 1 EStG müssen dann die gleichen Grundsätze gelten (vgl. Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 4 Anm. 27 Buchst. a). Hinzu kommt, daß naturgemäß nur der Steuerpflichtige an einer erschöpfenden Berücksichtigung aller betrieblich veranlaßten Aufwendungen interessiert ist und daß der Steuerpflichtige bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt regelmäßig auch ohne Schwierigkeiten in der Lage sein wird, die tatsächlichen Voraussetzungen, aus denen sich die betriebliche Veranlassung seiner Aufwendungen ergibt, nachzuweisen. Der Steuerpflichtige muß deshalb Nachteile in Kauf nehmen, wenn nicht mehr feststellbar ist, ob bestimmte Aufwendungen betrieblich veranlaßt waren oder außerbetrieblichen Zwecken dienten.

Danach hat die Vorschrift, daß nur betrieblich veranlaßte Betriebsvermögensminderungen den steuerpflichtigen Gewinn mindern (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 4 EStG) für die Frage der Beweislastverteilung Vorrang gegenüber der Vorschrift, daß dem (tatsächlichen) Betriebsvermögensunterschied außerbetrieblich veranlaßte Vermögensminderungen hinzuzurechnen sind.

Soweit die Gewinnermittlung buchführender Gewerbetreibender in Frage steht, greifen zusätzlich die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein. Danach dürfen nur Wertabgaben, die betrieblich veranlaßt waren, buchmäßig als "Aufwendungen" (i. S. der Gewinn- und Verlustrechnung) behandelt werden. Wenn dem buchmäßig ausgewiesenen Gewinn Wertabgaben wieder hinzugerechnet werden, die buchmäßig als "Aufwendungen" behandelt sind, für die eine betriebliche Veranlassung aber nicht feststellbar ist, so stellt dies sachlich eine Korrektur des Buchführungsergebnisses, insbesondere des nach § 5 Abs. 1 EStG ausgewiesenen Betriebsvermögens dar, nicht aber eine Hinzurechnung einer "Entnahme" nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG.

c) Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß der Einwand der Revision nicht durchgreifen kann, das FG hätte die Zahlungen als Betriebsausgaben zum Abzug zulassen müssen, weil es nicht habe feststellen können, daß die Zahlungen bestimmten außerbetrieblichen Zwekken gedient hätten, d. h. entnommen worden seien. Entsprechendes gilt für den Einwand, das FG habe die Beweislast verkannt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71907

BStBl II 1976, 562

BFHE 1977, 164

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