Ob einen Antragsteller zum Zeitpunkt der Beantragung einer Versicherung die Pflicht trifft, bereits vorhandene Ergebnisse einer genetischen Untersuchung zu offenbaren, hängt von mehreren Umständen ab. Klar ist die Rechtslage, wenn der Antragsteller unabhängig von dem Ergebnis des Tests an gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet, die von den gestellten Antragsfragen erfasst werden. Werden abgefragte Krankheiten, Störungen oder Beschwerden verheimlicht, kommt es auf das Ergebnis eines früheren prädiktiven oder aktuell diagnostischen Gentests nicht an, da sich die Anzeigepflichtverletzung bereits aus dem Verschweigen des früheren oder aktuellen Gesundheitszustands ergibt, sofern diese Umstände gefahrerheblich im Sinne von § 19 VVG bzw. §§ 16 ff. VVG a.F. sind. Weder die Selbstverpflichtungserklärung noch § 18 GenDG sind daher einschlägig, da es nicht um das Verheimlichen eines prädiktiven Tests geht.[8] Die Täuschung als Spiegelbild der Offenbarungsobliegenheit bezieht sich nicht auf das Verheimlichen des Ergebnisses eines Gentests, sondern darauf, dass sich vor Antragstellung manifestiert habende Krankheitszeichen und dadurch veranlasste Untersuchungen und Behandlungen wahrheitswidrig nicht angegeben wurden.[9] Die Anzeigepflicht und spiegelbildlich eine Täuschung des Antragstellerss bezieht sich daher auf seinen Gesundheitszustand und/oder auf Arztbesuche/-behandlungen, Krankenhausaufenthalte oder Arbeitsunfähigkeitszeiten (sofern abgefragt). Verheimlicht der Antragsteller anzeigepflichtige Umstände, ist der Versicherer daher – abhängig vom Verschuldensgrad – berechtigt, anzufechten oder die Gestaltungsrechte der §§ 19 VVG/16 ff. VVG a.F. auszuüben. § 18 Abs. 2 GenDG stellt dies ausdrücklich klar; für die Zeit vor Inkrafttreten des GenDG gilt dies ebenfalls, da die Selbstverpflichtungserklärung diese Situation gerade nicht regeln wollte. Es ist deshalb unerheblich, ob vor dem Ausbruch der Beschwerden prädiktive oder nach dem Ausbruch diagnostische Gentests durchgeführt wurden.

Einschränkungen durch die Selbstverpflichtungserklärung oder das GenDG wären überhaupt nur denkbar für Anzeigepflichten, die ab dem jeweiligen Geltungszeitpunkt bzw. Inkrafttreten zu erfüllen waren. Sinn und Zweck der Selbstverpflichtungserklärung war es schon nach dem Wortlaut ausschließlich, Gendefekte, die durch prädiktive Tests festgestellt worden sind, beim Abschluss bestimmter Versicherungen unberücksichtigt zu lassen.[10] Bereits vorhandene Erkrankungen etc. sollten aber davon nicht erfasst werden. Entsprechendes gilt für das GenDG und zwar auch, wenn zur Abklärung von Beschwerden und Symptomen (diagnostische) Gentests durchgeführt worden sind.[11] Weder verstößt dies gegen die Menschenwürde, noch wird der pathologische Gene tragende Versicherungsnehmer diskriminiert, denn es ist nicht sein Genom als solches, das zum Anknüpfungspunkt (vertrags-)rechtlicher Nachteile gemacht wird, sondern eine vorhandene Krankheit, deren Ursache lediglich mit einer bestimmten Untersuchungsmethode geklärt worden ist.[12] Er wird insoweit nicht besser und nicht schlechter gestellt als jeder andere Versicherungsnehmer, der gefahrerhebliche Beschwerden, Gesundheitsstörungen, Untersuchungen und Behandlungen offen zu legen hat.[13] Es bleibt daher – gleichgültig, wann die Anzeigepflicht zu erfüllen war – bei der durch § 19 VVG/§ 16 VVG a.F. festgelegten Auskunftspflicht unabhängig davon, wie Erkrankungen diagnostiziert worden sind.[14]

[8] OLG Hamm, Urt. v. 21.11.2007 – 20 U 64/07, r+s 2008, 116 = VersR 2008, 773 zur privaten Krankenversicherung; a.A. LG Bielefeld, Urt. v. 14.2.2007 – 25 O 105/06 (insofern von OLG Hamm a.a.O. aufgehoben).
[10] Benkel/Hirschberg, ALB-/BUZ-Kommentar, 2. Aufl., § 3 Rn 52 ALB 2008.
[11] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.10.2011 – 5 W 220/11-98 zur Berufsunfähigkeitsversicherung; ebenso bereits OLG Hamm, Urt. v. 21.11.2007 – 20 U 64/07, r+s 2008, 116 = VersR 2008, 773 zur privaten Krankenversicherung.
[14] Neuhaus, r+s 2009, 309, 316.

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