Leitsatz

1. Der unentgeltliche Verzicht auf einen lebenslangen Nießbrauch ist eine Schenkung, die nach § 528 Abs. 1 S. 1 BGB auch von einem Sozialhilfeträger widerrufen werden kann.

2. Der Wert des Nießbrauchs kann durch Kapitalisierung des jährlichen Nutzungswerts mithilfe der Vervielfältiger des § 14 BewG berechnet werden.

OLG Köln, Urteil vom 9. März 2017 – 7 U 119/16

Sachverhalt

Der Kläger ist der für die Mutter des Beklagten zuständige Sozialhilfeträger. Er nimmt den Beklagten aus übergeleitetem Anspruch in Höhe von 52.120,66 EUR nebst Zinsen aus Schenkungsrückforderung auf Ersatz von Kosten für die Heimunterbringung der Mutter in Anspruch. Die Mutter hatte dem Beklagten im Jahr 1995 schenkungsweise das Eigentum an dem von ihr bewohnten Hausgrundstück übertragen, sich aber ein lebenslanges Nießbrauchrecht vorbehalten. Am 22.6.2008 veräußerte der Beklagte das Hausgrundstück unter Löschung des Nießbrauchs zu einem Kaufpreis von 100.000 EUR, wovon 95.000 EUR auf das Grundstück und 5.000 EUR auf das Inventar entfielen. Die Mutter befindet sich nach einer im Frühjahr 2007 erlittenen Hirnblutung in vollstationärer Pflege und ist seit dem 1.12.2008 in einem Pflegeheim in L. untergebracht. Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des weiteren Sach- und Streitstandes verwiesen wird, hat der Klage stattgegeben.

Aus den Gründen

1. Zutreffend nimmt das Landgericht an, dass die Mutter des Beklagten durch den unentgeltlichen Verzicht auf den Nießbrauch eine Schenkung an den Beklagten erbracht hat (vgl. BGH NJW 2000, 728, 730 = ZEV 2000, 111; OLG Nürnberg ZEV 2014, 37 = MittBayNot 2015, 30; MüKo/Koch, BGB, 7. Aufl., § 516 Rn 8 mwN). Durch die Zuwendung muss zwar eine Verminderung der Vermögenssubstanz bei dem Zuwendenden und eine Bereicherung bei dem Zuwendungsempfänger eintreten (etwa MüKo/Koch, BGB, 7. Aufl., § 516 Rn 6 ff; Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 516 Rn 5/6). Auch das ist entgegen den Rügen der Berufung hier der Fall. Unabhängig von den mit dem Nießbrauch verbundenen Belastungen hatte dieser – anders als möglicherweise ein bloßes Wohnungsrecht (vgl. dazu BGH NJW 2012, 1956 zu §§ 1804, 1821 Abs. 1 BGB; Zimmer, NJW 2012, 1919 f; Everts, MittBayNot 2015, 14; andererseits aber OLG Nürnberg, aaO) – schon im Hinblick auf das Recht der Nutzungsziehung und Vermietung einen objektiven Vermögenswert. Der Verzicht führte auch zu einer Vermögensmehrung des Beklagten. Der Einwand der Berufung, der Erwerber der Immobilie habe diese mit der Belastung durch den Nießbrauch der Mutter erworben, der erst im Anschluss gelöscht worden sei, daher sei der Verzicht nicht ihm, sondern den Erwerbern gegenüber erfolgt, verfängt nicht. Unabhängig davon, dass der Verzicht bereits in § 3 Abs. 1 des Notarvertrages bewilligt und beantragt worden ist, hat die Mutter den Verzicht nur zu dem Zweck erklärt, dem Beklagten die Veräußerung der Immobilie überhaupt zu ermöglichen. Darin lag eine Schenkung an den Beklagten.

2. Die Voraussetzungen des Notbedarfs nach § 528 Abs. 1 BGB liegen unstreitig ebenfalls vor. Der Anspruch ist auch nicht durch § 534 BGB ausgeschlossen. Der Verzicht auf den Nießbrauch war weder eine Pflicht-, noch eine Anstandsschenkung. Dagegen erhebt die Berufung keine erheblichen Einwendungen, sodass zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts zu verweisen ist. Auf die vom Landgericht richtig zurückgewiesene Einrede der Verjährung kommt die Berufung nicht mehr zurück.

3. Der nach § 818 Abs. 2 BGB herauszugebende Wertersatz besteht in der durch den Wegfall des Nießbrauchs eingetretenen Erhöhung des Verkehrswerts des Immobilie (BGH NJW 2000, 728, 730 = ZEV 2000, 111; OLG Nürnberg ZEV 2014, 38, 40; MüKo/Koch, § 528 Rn 5 Fn 26). Es steht außer Zweifel, dass der Verkehrswert der Immobilie erhöht wurde, zumal – wie der Beklagte selbst einräumt – das Haus erst durch den Verzicht veräußerbar wurde. Ob der Wertzuwachs – wie das Landgericht annimmt – der Höhe des Kaufpreises von 95.000 EUR entspricht, mag mit der Berufung bezweifelt werden. Jedenfalls entspricht der Wertzuwachs zumindest dem Wert des Nießbrauchs. Diesen hat der Gutachterausschuss des Amts für Bodenmanagement Marburg zum maßgebenden Stichtag des Nießbrauchverzichts am 22.8.2008 auf der Grundlage des Bewertungsgesetzes (BewG) mit 41.075 EUR bewertet (Bewertung vom 18.2.2011 Anl. K 6, Bl 71 dA). Die mit seinem Einverständnis erfolgte Schätzung (Bl 72 dA) hat der Beklagte nicht konkret angegriffen. Er hat sich auf den Einwand beschränkt, die mit der Einräumung des Nießbrauchs verbundenen erheblichen Belastungen seien unberücksichtigt geblieben; der Nießbrauch habe für die Mutter keinen Wert mehr gehabt (Klageerwiderung S. 9, Bl 141 dA). Dieser Einwand geht schon deshalb fehl, weil die Bewirtschaftungskosten mit 25 % in die Bewertung Eingang gefunden haben. Im Rahmen des bei der Bewertung eingreifenden richterlichen Schätzungsermessens nach § 287 ZPO (BGH aaO) ergeben sich keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Verkehrswert der Immobilie durch den Verzicht auf den...

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