Leitsatz

Einem Wohnungseigentümer steht gegenüber einem anderen Wohnungseigentümer oder einem Mieter eines Wohnungseigentümers, der ihn durch Lärm, Gerüche, Ruß oder Tabakrauch wesentlich stört, grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zu.

 

Normenkette

§§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 2 WEG

 

Das Problem

  1. Mieter K wohnt im 1. Stock eines Premnitzer Mehrfamilienhauses, Mieter B1 und B2 im Erdgeschoss. Die Balkone der Wohnungen liegen 3 Meter übereinander. B1 und B2 sind Raucher und gebrauchen den Balkon mehrmals am Tag zum Rauchen. K ist Nichtraucher, fühlt sich durch den von dem Balkon von B1 und B2 aufsteigenden Tabakrauch gestört und verlangt deshalb von diesen, das Rauchen auf dem Balkon während bestimmter Stunden zu unterlassen.
  2. Das AG Rathenow weist die Klage ab, das Landgericht Potsdam K's dagegen gerichtete Berufung zurück. Amts- und Landgericht meinen, ein Rauchverbot sei mit der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Freiheit der Lebensführung nicht vereinbar. B1 und B2 seien daher frei, wann sie und wieviel sie auf dem zur gemieteten Wohnung gehörenden Balkon rauchten.
  3. Dagegen richtet sich K's Revision.
 

Die Entscheidung

  1. Mit Erfolg! Der Bundesgerichtshof hebt das Urteil des Landgerichts Potsdam auf und weist die Sache zurück. Es seien noch keine Feststellungen dazu getroffen worden, ob der Rauch auf K's Balkon als "störend" wahrnehmbar sei oder – wenn das zu verneinen sein sollte – ob vom Tabakrauch gesundheitliche Gefahren ausgingen.
  2. Einem Mieter stehe gegenüber demjenigen, der ihn in seinem Besitz durch Lärm, Gerüche, Ruß oder Tabakrauch störe, grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch zu. Das gelte auch für das Verhältnis von Mietern untereinander. Der Abwehranspruch sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Rauchen eines Mieters im Verhältnis zu seinem Vermieter grundsätzlich zum vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung gehöre. Denn vertragliche Vereinbarungen zwischen einem Mieter und seinem Vermieter rechtfertigten nicht die Störungen Dritter.
  3. Der Abwehranspruch sei allerdings ausgeschlossen, wenn die mit dem Tabakrauch verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich seien. Das sei anzunehmen, wenn diese auf dem Balkon der Wohnung des sich gestört fühlenden Mieters nach dem Empfinden eines verständigen durchschnittlichen Menschen nicht als "wesentliche" Beeinträchtigung empfunden werden würden. Ein Abwehranspruch komme insoweit nur in Betracht, wenn Gefahren für die Gesundheit drohten. Immissionen, die die Gefahr gesundheitlicher Schäden begründeten, seien grundsätzlich als eine wesentliche und damit nicht zu duldende Beeinträchtigung anzusehen. Bei der Einschätzung der Gefährlichkeit der Einwirkungen durch aufsteigenden Tabakrauch sei zu berücksichtigen, dass im Freien geraucht werde. Insoweit käme den Nichtraucherschutzgesetzen des Bundes und der Länder, die das Rauchen im Freien grundsätzlich nicht verbieten, eine "Indizwirkung" dahin gehend zu, dass mit dem Rauchen auf dem Balkon keine konkreten Gefahren für die Gesundheit anderer einhergingen. Nur wenn es dem Mieter gelinge, diese Annahme zu erschüttern, indem er nachweise, dass im konkreten Fall der "fundierte Verdacht einer Gesundheitsbeeinträchtigung bestehe", werde eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegen und deshalb eine Gebrauchsregelung getroffen werden müssen.
  4. Liege eine wesentliche Beeinträchtigung vor, bestehe der Unterlassungsanspruch allerdings nicht uneingeschränkt. Es kollidierten 2 grundrechtlich geschützte Besitzrechte, die in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssten. Einerseits stehe dem Mieter das Recht auf eine von Belästigungen durch Tabakrauch freie Nutzung seiner Wohnung zu, andererseits habe der andere Mieter das Recht, seine Wohnung zur Verwirklichung seiner Lebensbedürfnisse – zu denen auch das Rauchen gehöre – zu nutzen. Das Maß des zulässigen Gebrauchs und der hinzunehmenden Beeinträchtigungen sei nach dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zu bestimmen.
  5. Im Allgemeinen werde diese Rechtslage auf eine Regelung nach Zeitabschnitten hinauslaufen. Dem Mieter seien Zeiträume freizuhalten, in denen er seinen Balkon unbeeinträchtigt von Rauchbelästigungen nutzen kann, während dem anderen Mieter Zeiten einzuräumen seien, in denen er auf dem Balkon rauchen dürfe. Die Bestimmung der konkreten Zeiträume hänge von den Umständen des Einzelfalls ab.
 

Kommentar

Anmerkung
  1. Der Bericht über den Fall beruht auf der Pressemitteilung des Gerichts. Es mag sein und ist sogar wahrscheinlich, dass in den schriftlichen Gründen weitere wichtige "Botschaften" stehen werden. Über diese wird später berichtet werden.
  2. Der Fall spielt im Mietrecht. Die Aussagen sind aber 1:1 auf das Wohnungseigentumsrecht übertragbar, da einerseits nach § 14 Nr. 1 WEG jeder Wohnungseigentümer vermeidbare Nachteile verhindern muss, und andererseits jeder Wohnungseigentümer sich auf seine Grundrechte beim Rauchen berufen darf. Wie im Mietrecht bedarf es also auch im Wohnungseigentumsrecht einer "praktischen Konkordanz" (= einem Ausgleich der betroffenen Grundrechte).
  3. Für d...

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