Der erkrankte Arbeitnehmer weist seine Arbeitsunfähigkeit durch die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung[1] nach. Diesem gesetzlich vorgeschriebenen Nachweis kommt nach ständiger Rechtsprechung ein hoher Beweiswert zu. Angesichts des hohen Beweiswerts einer ärztlichen AU-Bescheinigung müssen vom Arbeitgeber zumindest begründete Zweifel an der Richtigkeit einer ärztlichen AU-Bescheinigung aufgezeigt werden, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern.[2]

Die seit dem 1.10.2021 eingeführte elektronische AU-Bescheinigung ändert[3] an dieser beweisrechtlichen Würdigung nichts. Die elektronische Meldung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt seit dem 1.10.2021 an die Krankenkasse und seit dem 1.1.2023 an den Arbeitgeber.

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Die aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeführte telefonische Anamnese war bis zum 31.3.2023 möglich.[4] Im Rahmen dieser befristeten Sonderregelung konnte die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei Versicherten mit Erkrankungen der oberen Atemwege, die keine schwere Symptomatik vorweisen, für einen Zeitraum von bis zu 7 Kalendertagen auch nach telefonischer Anamnese, und zwar im Wege der persönlichen ärztlichen Überzeugung vom Zustand des Versicherten durch eingehende telefonische Befragung erfolgen. Auch das Fortdauern der Arbeitsunfähigkeit kann auf diese Art und Weise einmalig für einen weiteren Zeitraum von bis zu 7 Kalendertagen festgestellt werden.[5]

Die telefonische Krankschreibung hat sich während der Corona-Pandemie bewährt. Für bestimmte Erkrankungen wie leichte grippale Infekte soll diese Möglichkeit auch künftig wieder eingeführt werden, sich jedoch auf Patienten, die den Arztpraxen bekannt sind, beschränken. Dadurch werden Arztpraxen entlastet und Patienten vor (weiteren) Infektionen aufgrund voller Wartezimmer geschützt.

Seit dem 7.10.2020[6] besteht[7] die Möglichkeit einer Videosprechstunde als Basis einer Krankschreibung ohne unmittelbare persönliche Untersuchung des Versicherten. Aktuell[8] ist dies unter den nachfolgenden Voraussetzungen möglich:

  • Es handelt sich um die Erstfeststellung der Arbeitsunfähigkeit.
  • Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist begrenzt auf 7 Tage.
  • Im Fall der Fortsetzung der Erkrankung muss der Arbeitnehmer für den anfänglichen Arbeitsunfähigkeitszeitraum bereits einmal unmittelbar und persönlich ärztlich untersucht worden sein.
  • Neu: Der Versicherte muss dem Vertragsarzt oder einem anderen Arzt derselben Berufsausübungsgemeinschaft nicht aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt sein.

    Einschränkung dazu: Ist der Versicherte dem Arzt nicht bekannt, darf die erstmalige Krankschreibung nur bis maximal 3 Kalendertage erfolgen.

  • Die Art der Erkrankung darf einer Videountersuchung nicht entgegenstehen; ist eine sichere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit im Wege der Videosprechstunde nicht möglich, kann die AU-Bescheinigung nicht erteilt werden.

Als typische, per Videosprechstunde diagnostizierbare Erkrankungen nennt die Begründung des G-BA der Krankenkassen Erkältungen, Menstruationsbeschwerden, Blasenentzündung, Magen-Darm-Infekt, Migräne, Krankheitsschübe z. B. bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sowie krankhafte Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen z. B. bei Verlust von nahestehenden Angehörigen. Eine Folgekrankschreibung per Videosprechstunde ist in allen Fällen nur möglich, wenn die vorangegangene Krankschreibung auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung erfolgte. Ein Rechtsanspruch auf eine AU-Bescheinigung auf Basis einer Videosprechstunde besteht nicht. Der Versicherte ist vor der Videosprechstunde auf diese besonderen Umstände hinzuweisen. Technische Unzulänglichkeiten aufseiten des Versicherten (schlechte Beleuchtung, Übertragungsunterbrechungen etc.) gehen zulasten des Versicherten.

Bezweifelt der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit, kündigt er daraufhin oder verweigert er die Entgeltfortzahlung, so entscheidet das Arbeitsgericht auf Klage des Arbeitnehmers, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Erhebt der Arbeitgeber trotz vorgelegter ärztlicher AU-Bescheinigung den Vorwurf, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht, muss er einerseits vortragen, dass der Arbeitnehmer ihn vorsätzlich über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat und darüber hinaus ausreichende Tatsachen darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben. Der Arbeitgeber muss im Rechtsstreit Umstände darlegen und ggf. beweisen, die zu ernsthaften und begründeten Zweifeln an der behaupteten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben und die so den Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttern.[9]

Der Arbeitnehmer ist in diesem Zusammenhang verpflichtet, seinen Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Der Arbeitgeber hat auch die Möglichkeit, der Krankenkasse die Tatsachen mitzuteilen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen. Die Krankenkasse ist dann verpflichtet, eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ...

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