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BGH Beschluss vom 12.02.2004 - V ZR 125/03

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteilsberichtigung. Ingangsetzen der Nichtzulassungsbeschwerde. Beschwerdevorbringen. Bindung Revisionsgericht. Berufungsurteil. Inhaltliche Mängel kein Revisionszulassungsgrund

 

Leitsatz (amtlich)

a) Die Berichtigung des Berufungsurteils hat auf den Beginn und Lauf der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich keinen Einfluss.

b) Grundlage der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch in tatsächlicher Hinsicht das Beschwerdevorbringen. Dieses muss allerdings die Bindung des Revisionsgerichts durch § 559 ZPO beachten.

c) Inhaltliche, die Wiedergabe des Streitstoffs betreffende Mängel des Berufungsurteils, die im Revisionsverfahren zur Aufhebung von Amts wegen führen, rechtfertigen für sich genommen noch nicht die Zulassung der Revision (Fortführung des BGH, Beschl. v. 26.6.2003 - V ZR 441/02, BGHReport 2003, 1160 = MDR 2003, 1370 = NJW 2003, 3208).

 

Normenkette

ZPO §§ 319-320, 544 Abs. 2 S. 1, § 559 Abs. 1

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 11.04.2002; Aktenzeichen 8 U 86/01)

LG Berlin

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers v. 25.4.2003 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 27. Zivilsenats des KG in Berlin v. 11.4.2002 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 6.364.970,34 EUR.

 

Gründe

I.

Das KG hat durch Urteil v. 11.4.2002 zum Nachteil des Klägers entschieden. Die Revision hat es nicht zugelassen. Das Urteil ist dem Kläger am 18.4.2002 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz v. 2.5.2002 hat der Kläger beantragt, den Rechtsstreit in entsprechender Anwendung von § 321a ZPO vor dem KG fortzuführen. Gleichzeitig hat er die erkennenden Richter des Senats des KG wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und den Antrag gestellt, den Tatbestand des Urteils v. 11.4.2002 zu berichtigen. Am 17.5.2002 hat er gegen die Nichtzulassung der Revision unter Hinweis auf die Vorgänge Beschwerde bei dem BGH eingelegt. Der Senat hat die Beschwerde durch Beschluss v. 26.11.2002 zurückgewiesen.

Durch Beschluss v. 11.3.2003 hat das KG das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt. Am 25.4.2003 hat der Kläger erneut Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urt. v. 11.4.2002 eingelegt. Mit Beschluss v. 16.9.2003 hat das KG dem Tatbestandsberichtigungsantrag teilweise stattgegeben und durch Beschluss v. 18.9.2003 den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens verworfen.

Der Kläger beantragt, die Revision gegen das Urteil des KG v. 11.4.2002 zuzulassen. Er meint, die Frist zur Einlegung der Beschwerde habe mit der Bekanntgabe des Beschlusses v. 16.9.2003 erneut begonnen. Sie sei durch die Beschwerde v. 25.4.2003 gewahrt. Der Beschluss des Senats v. 26.11.2002 stehe einer erneuten Entscheidung nicht entgegen.

II.

Die Beschwerde v. 25.4.2003 ist unzulässig. Ihr steht die mit dem Senatsbeschluss v. 26.11.2002 gem. § 544 Abs. 5 S. 3 ZPO eingetretene Rechtskraft des Berufungsurteils entgegen.

1. Es kann offen bleiben, ob nach Eintritt der Rechtskraft eine Tatbestandsberichtigung noch zu einer Überprüfung des Urteils führen kann. Denn die Voraussetzungen, unter denen eine Tatbestandsberichtigung nach der Rechtsprechung überhaupt geeignet ist, die Rechtsmittelfrist erneut in Lauf zu setzen, liegen hier nicht vor.

a) Für die Berichtigung eines Urteils gem. § 319 ZPO ist anerkannt, dass sie auf den Beginn und den Lauf von Rechtsmittelfristen keinen Einfluss hat (st. Rspr., vgl. nur BGH v. 9.12.1983 - V ZR 21/83, BGHZ 89, 184 = MDR 1984, 387; v. 17.1.1991 - VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228 = MDR 1991, 523; Urt. v. 9.11.1994 - XII ZR 184/93, MDR 1995, 196 = NJW 1995, 1033; Beschl. v. 24.6.2003 - VI ZB 10/03, MDR 2003, 1128 = BGHReport 2003, 1104 = NJW 2003, 2991). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn das Urteil als Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Parteien und für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nicht geeignet ist (BGH v. 17.1.1991 - VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228 [231] = MDR 1991, 523; v. 14.7.1994 - IX ZR 193/93, BGHZ 127, 74 = MDR 1994, 1142; Urt. v. 9.11.1994 - XII ZR 184/93, MDR 1995, 196 = NJW 1995, 1033; Beschl. v. 24.6.2003 - VI ZB 10/03, MDR 2003, 1128 = BGHReport 2003, 1104 = NJW 2003, 2991). Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Partei durch die Berichtigung erstmals bzw. höher beschwert wird (BGH BGHZ 67, 284 [287]; Urt. v. 9.11.1994 - XII ZR 184/93, MDR 1995, 196 = NJW 1995, 1033; v. 5.11.1998 - VII ZB 24/98, MDR 1999, 312 = NJW 1999, 646 [647]) oder den richtigen Rechtsmittelgegner erfährt (BGH v. 17.1.1991 - VII ZB 13/90, BGHZ 113, 228 [231] = MDR 1991, 523); ferner, wenn sie erst durch die Berichtigung davon Kenntnis erlangt, dass das Rechtsmittel ausdrücklich zugelassen ist (BGH, Urt. v. 7.11.2003 - V ZR 65/03, BGHReport 2004, 286, Umdr. S. 10 f.). Entsprechendes gilt für die Tatbestandsberichtigung.

b) Die Grundsätze finden nicht nur auf die Revisionseinlegungs- und Revisionsbegründungsfrist Anwendung, sondern auch auf die Nichtzulassungsbeschwerde. Wird also z. B. die Entscheidung über die Zulassung der Revision nachträglich in eine Nichtzulassung berichtigt, läuft die Beschwerdefrist erst ab Zustellung des Berichtigungsbeschlusses. Eine solche Fallgestaltung, dass erst die Berichtigung des Urteils eine geeignete Grundlage für die Entschließung und das weitere Handeln des Klägers hätte schaffen können, schied hier schon nach dem Vorbringen des Klägers in der ersten Nichtzulassungsbeschwerde von vorneherein aus. Die Beschwerdefrist konnte daher schon aus diesem Grund mit der Tatbestandsberichtigung nicht neu in Gang gesetzt worden sein.

c) Aus § 559 Abs. 1 ZPO ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde nichts anderes.

aa) Das aus dem berichtigten Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtliche Parteivorbringen bildet gem. § 559 Abs. 1 S. 1 ZPO zwar den Prozess-Stoff für die Entscheidung des Revisionsgerichts über die Revision, nicht aber auch die Beurteilungsgrundlage für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde. § 559 Abs. 1 ZPO ist in § 544 ZPO nicht in Bezug genommen und kommt bei der Zulassungsprüfung nicht zur Anwendung. Grundlage der Entscheidung über die Zulassung ist vielmehr das Beschwerdevorbringen (BGH v. 26.6.2003 - V ZR 441/02, BGHReport 2003, 1160 = MDR 2003, 1370 = NJW 2003, 3208). Dies gilt sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht. Die Beschwerde kann ihren Ausführungen in tatsächlicher Hinsicht zwar das in dem Berufungsurteil wiedergegebene Parteivorbringen zu Grunde legen, muss es aber nicht. Sie kann, soweit zum Verständnis und zur Beurteilung erforderlich, den Streitstoff selbst vortragen und die zulassungsbegründenden Fehler darlegen. Sie muss dabei allerdings die Bindung des Revisionsgerichts durch § 559 ZPO beachten. Ein Vorbringen, das im Revisionsverfahren nicht der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt, ist auch für das Zulassungsverfahren unbeachtlich. Gibt das Berufungsurteil oder das Sitzungsprotokoll das Parteivorbringen nicht wieder, muss die Beschwerde den Tatsachenstoff darlegen. Denn allein das Fehlen tatbestandlicher Darstellungen stellt noch keinen Zulassungsgrund dar (BGH v. 26.6.2003 - V ZR 441/02, BGHReport 2003, 1160 = MDR 2003, 1370 = NJW 2003, 3208).

bb) Dem steht nicht entgegen, dass in dem einmal eröffneten Revisionsverfahren ein Berufungsurteil, das keine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen, keine Anträge oder tatsächliche Widersprüche enthält, nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BGH zum neuen Revisionsrecht - wie früher - von Amts wegen der Aufhebung und Zurückverweisung unterfällt (BGH, Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = WM 2003, 2424 [2425]; Urt. v. 24.10.2003 - V ZR 424/02, BGHReport 2004, 85 = MDR 2004, 326 = ZfIR 2003, 1049; Urt. v. 7.11.2003 - V ZR 141/01, z.V.b.; Urt. v. 6.2.2004 - V ZR 249/03, z.V.b.; Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 1743; v. 7.5.2003 - VIII ZR 219/02, BGHReport 2003, 896 [897]; v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289 = WM 2004, 50 [51]; v. 22.12.2003 - VIII ZR 122/03, BGHReport 2004, 474; v. 13.1.2004 - XI ZR 5/03, z.V.b.). Denn diese Rechtsprechung folgt aus der das - eröffnete - Revisionsverfahren betreffenden Vorschrift des § 559 Abs. 1 ZPO. Auch der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats lässt sich nichts anderes entnehmen. Soweit er in seinem Urteil v. 30.9.2003 (BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289) ausgeführt hat, dem Revisionsgericht könne nicht angesonnen werden, den Sachverhalt selbst zu ermitteln, um die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde prüfen zu können, ist damit nicht zugleich auch die Frage beantwortet, ob die Missachtung des § 540 Abs. 1 ZPO für sich genommen schon zur Zulassung führt (Schultz, BGHReport 2004, 273 [274]). Dies ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls und hängt davon ab, wie der Verfahrensfehler des Berufungsgerichts nach den allgemein hierfür geltenden Kriterien zu beurteilen ist, ob also das Berufungsgericht dadurch typischerweise zu erkennen gibt, dass es künftig ebenso verfahren werde (vgl. Schultz, BGHReport 2004, 273 [274]).

cc) Nicht anders verhält es sich, wenn der Streitstoff in dem Urteil oder in dem Sitzungsprotokoll nur unvollständig oder fehlerhaft wiedergegeben ist. Auch hier handelt es sich um einen Verfahrensfehler, den die Beschwerde unter Darlegung eines Zulassungsgrundes tatsächlich ausführen muss. Das Beschwerdegericht kann dann prüfen, ob die behauptete Unrichtigkeit oder Widersprüchlichkeit für das Revisionsverfahren überhaupt zu beachten wäre und für die Zulassung erheblich ist. Ist das zu verneinen, kann das Beschwerdegericht über die Zulassungsfrage entscheiden, ohne den Ausgang eines Berichtigungsverfahrens nach § 320 Abs. 1 ZPO abzuwarten. So liegt der Fall hier. Auf die beantragte und auch zum Inhalt der ersten Nichtzulassungsbeschwerde v. 17.5.2002 gemachte Tatbestandsberichtigung kam es für die Zulassungsfrage nicht an. Deswegen konnte der Senat über diese Beschwerde entscheiden, ohne den Ausgang des Berichtigungsverfahrens abzuwarten.

2. Die Beschwerdefrist hat schließlich nicht mit der Zustellung des das Richterablehnungsgesuch zurückweisenden Beschlusses des KG v. 11.3.2003 oder mit der Zustellung des Beschlusses v. 18.9.2003 neu zu laufen begonnen. Die Richterablehnung war nur für das Verfahren über die Tatbestandsberichtigung und über die Gehörsrüge entsprechend § 321a ZPO, nicht dagegen für die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil von Bedeutung. Das Verfahren analog § 321a ZPO blieb auf den Beginn der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls ohne Auswirkung. Dabei kann offen bleiben, ob für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Berufungsurteile überhaupt ein Regelungsbedürfnis besteht, weil die Verletzung rechtlichen Gehörs auch zur Zulassung der Revision führt (vgl. nur BGH, Beschl. v. 4.7.2002 - V ZR 75/02, BGHReport 2002, 947 = MDR 2002, 1206 = NJW 2002, 2957; v. 27.3.2000 - V ZR 291/02, BGHReport 2003, 686 = MDR 2003, 822 = NJW 2003, 1943). Denn selbst wenn § 321a ZPO entsprechend anwendbar wäre, hätte dies nur zur Folge, dass der Eintritt der Rechtskraft des Urteils durch rechtzeitige Erhebung der Rüge gehemmt wäre (§ 705 S. 2 ZPO). Auf den Lauf der Beschwerdefrist hat dies dagegen keinen Einfluss.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1128768

NJW 2004, 2224

BGHR 2004, 681

EBE/BGH 2004, 3

FamRZ 2004, 1021

NJW-RR 2004, 712

JurBüro 2004, 565

MDR 2004, 899

PA 2004, 101

ProzRB 2004, 218

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