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BFH Urteil vom 10.10.1951 - IV 144/51 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung Handelsrecht Gesellschaftsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung Insolvenzrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Konkursverwalter ist nach Maßgabe der §§ 103, 104 AO zur Abgabe von Steuererklärungen auch für Steuerabschnitte verpflichtet, die vor der Konkurseröffnung liegen. Der Bundesfinanzhof bestätigt die frühere Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (Urteil V A 941/26 vom 11. Februar 1927, Slg. Bd. 20 S. 237).

 

Normenkette

AO §§ 202, 167 Abs. 2, §§ 103-104, 109; KO § 1 Abs. 3, §§ 3, 6, 82, 133; InsO 35; InsO 36; InsO 38; InsO 40; InsO 60; InsO 79; InsO 158; InsO 160

 

Tatbestand

Streitig ist die Frage, wer nach Eröffnung des Konkurses zur Abgabe von Steuererklärungen für Steuern, die sich auf einen vor der Konkurseröffnung liegenden Zeitraum beziehen, verpflichtet ist.

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Konkursverwalter der seit dem 8. April 1949 im Konkurs befindlichen OHG. Mit Rücksicht auf die Konkurseröffnung lehnte diese die Abgabe der Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärungen für I/1948 ab und verwies das Finanzamt an den Konkursverwalter. Als auch dieser sich zur Abgabe der Erklärungen, weil es sich um solche für vor der Konkurseröffnung liegende Steuerabschnitte handele, nicht für zuständig hielt, forderte das Finanzamt den Bf. durch Verfügung vom 10. Oktober 1950 unter Androhung einer Geldstrafe von 50 DM nach § 202 der Reichsabgabenordnung (AO) nochmals auf, die geforderten Erklärungen abzugeben.

 

Entscheidungsgründe

Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde blieb erfolglos.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) begehrt der Bf., nachdem er in der mündlichen Verhandlung auf die Geltendmachung von Verfahrensmängeln verzichtet hat, die Aufhebung der Vorentscheidung nur noch aus sachlichen Gründen.

Das Finanzgericht hat die Forderung auf Abgabe der Steuererklärungen - wobei aus den Akten nicht eindeutig feststellbar ist, ob die Steuerabschnitte I/1948 oder II/1948 und 1949 in Betracht kommen - unter Berufung auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs V A 941/26 vom 11. Februar 1927, Slg. Bd. 20 S. 237 (Steuer und Wirtschaft - StuW 1927 Nr. 187; Kartei AO § 85 Rechtsspruch 8) auf die §§ 103, 104 AO gestützt; danach haben diejenigen, die eine Vermögensverwaltung nach Gesetz, behördlicher Anordnung oder letztwilliger Verfügung für andere zu führen haben, alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen vertretenen Personen obliegen, soweit ihre Verwaltung reicht. Der Bf. bestreitet nicht, zu dem Personenkreise zu gehören, der die in § 103 AO aufgeführten Pflichten, zu denen auch die Abgabe von Steuererklärungen gehört, hat; er glaubt aber, daß der Umfang der Verpflichtung durch die Worte "soweit ihre Verwaltung reicht", auch zeitlich beschränkt sei. Die Verpflichtung des Konkursverwalters zur Abgabe von Steuererklärungen beziehe sich danach nur auf die Steuern, deren Entstehung in der Zeit nach der Konkurseröffnung falle. Diese Auslegung ist nicht zutreffend. Die Worte "soweit ihre Verwaltung reicht", bezeichnen nur den Umfang der Verpflichtung und bedeuten, daß die in § 104 AO aufgeführten Verwalter, die Pflichten zu erfüllen haben, die die verwaltete Vermögensmasse, wenn sie geschäftsfähig wäre, zu erfüllen hätte, soweit sie - die Verwalter - auf Grund ihrer rechtlichen und tatsächlichen Lage zur Erfüllung dieser Pflichten imstande sind. Der Konkursverwalter hat danach die steuerlichen Pflichten zu erfüllen, die dem Inhaber des von ihm verwalteten Vermögens nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung und der sonstigen Steuergesetze auf dem Gebiete des gesamten Besteuerungsverfahrens auferlegt sind. Daß die Erfüllung der steuerlichen Pflichten vom Konkursverwalter von dem Zeitpunkt seiner Bestellung ab vorzunehmen ist, bedarf keiner besonderen Ausführung. Gerade mit Rücksicht darauf aber, daß der Gemeinschuldner mit der Konkurseröffnung die Befugnis verliert, das zur Konkursmasse gehörige Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen (§ 6 der Konkursordnung), obliegen dem Konkursverwalter auch die Pflichten, die der Gemeinschuldner vor der Konkurseröffnung hätte erfüllen müssen oder für die vor der Konkurseröffnung liegende Zeit erfüllen müßte, wenn kein Konkurs eröffnet worden wäre. Gerade in diesen Fällen greift § 104 AO ein. Wollte man den Konkursverwalter für die vor der Konkurseröffnung entstandenen Steueransprüche von seiner Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärungen entbinden, so bestände die Gefahr, daß diese Ansprüche entweder überhaupt nicht oder im Falle einer etwa vorgenommenen Schätzung in nicht zutreffender Höhe angemeldet und berücksichtigt würden. Wie weit die Verwaltungsbefugnis reicht, ergibt sich aus den Vorschriften, die die Verwalterstellung begründen, daß heißt also hier aus der Reichsabgabenordnung. Nach dieser bezieht sich die Verwaltung auf alle Forderungen, die zur Zeit der Konkurseröffnung begründet sind. Mit der Konkurseröffnung wird der Steuergläubiger Konkursgläubiger (§ 3 der Konkursordnung), die Steuerschuld Konkursforderung mit der Maßgabe, daß der Steuergläubiger während des Konkursverfahrens nur Anspruch darauf hat, aus dem der Zwangsvollstreckung unterliegenden Vermögen, das dem Gemeinschuldner zur Zeit der Konkurseröffnung gehört (§ 1 der Konkursordnung, Konkursmasse), wegen der Steuerschulden nach Maßgabe der Konkursordnung wie alle sonstigen persönlichen Konkursgläubiger befriedigt zu werden. Hierzu gehören auch die vor der Konkurseröffnung entstandenen Steuerforderungen. Zur Ermittlung der zutreffenden Steuerschuld ist aber die Abgabe der Steuererklärung erforderlich. Zwar wird die Steuerpflicht nicht durch die Steuererklärung begründet, sie bildet aber eine wesentliche Grundlage für die Feststellung der Höhe der Steuerschuld. Diese beeinflußt aber wiederum den Bestand der Konkursmasse. Zu Handlungen, die diese berühren, ist aber der Gemeinschuldner nicht berechtigt. Die Darlegungen des Bf., der Schuldenbestand der Konkursmasse stehe von vornherein fest und könne nicht durch eine auf Grund einer abzugebenden Steuererklärung ermittelte Steuerschuld beeinflußt werden, sind irrtümlich. Der Umfang der Konkursmasse steht erst fest, wenn sämtliche Konkursforderungen in fällige Geldforderungen umgewandelt, die schwebenden Geschäfte und die der Vermehrung der Masse dienenden Anfechtungen abgewickelt sind. Ebenso unzutreffend ist es auch, wenn der Bf. das Amt eines Konkursverwalters allein darin sich erschöpfen läßt, die zur Zeit der Konkurseröffnung vorhandene Masse nach Berichtigung aller Verbindlichkeiten entsprechend dem Schlußverteilungsverzeichnis an die Gläubiger zu verteilen. Das ist zwar auch eine Tätigkeit des Konkursverwalters; er hat aber, bevor er die Verteilung vornehmen kann, alle die Maßnahmen zu veranlassen und durchzuführen, die notwendig sind, alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zu erfassen, um so die der Befriedigung der Gläubiger dienende Teilungsmasse zu ermitteln. Die gegen die Entscheidung des Reichsfinanzhofs vom 11. Februar 1927 gerichteten Angriffe gehen deshalb ebenso fehl, wie die Auffassung, der Konkursverwalter könne, wenn er die Steuererklärungen abgebe, in dem Prüfungstermin die unter Berücksichtigung der Angaben in der Steuererklärung angemeldete Steuerschuld nicht mehr bestreiten. Zunächst hat der Konkursverwalter die Steuererklärungen nur nach seinem besten Wissen und Gewissen abzugeben. Enthält daher die Erklärung Mängel, die auf den mangelhaften Unterlagen des Gemeinschuldners beruhen, so hat der Konkursverwalter das nur zu vertreten, wenn er die Mängel erkennen konnte. Gerade in diesen Fällen ist der Konkursverwalter nicht gehindert, im Prüfungstermin die angemeldete Forderung zu bestreiten, da ihm bekannt ist, daß die Berechnungen auf unzulänglichem Material beruhen; er kann dann die endgültige Feststellung der Steuerschuld dem Rechtsmittelverfahren überlassen.

Im übrigen ist es sodann durchaus nicht so, daß das Finanzamt die Steuerschuld nur nach den Angabe der Erklärung ermittelt und anmeldet. Das Finanzamt kann auf Grund der ihm obliegenden Ermittlungsfrist die Steuer abweichend von den Angaben der Steuererklärung anderweit festsetzen, gegebenenfalls schätzen. In diesen Fällen ist der Konkursverwalter noch weniger gehindert, die Forderung im Prüfungstermine zu bestreiten. Trotz der Abgabe der Steuererklärung ist daher der Konkursverwalter durchaus in der Lage und kraft seines Amtes sogar verpflichtet, selbständig und unabhängig zu prüfen und zu entscheiden, ob er die Steuerforderung anerkennt oder nicht. Damit entfallen zugleich die mit Rücksicht auf § 133 der Konkursordnung vorgetragenen Bedenken.

Auch der Hinweis, dem Konkursverwalter könne nicht zugemutet werden, eine Steuererklärung lediglich auf Grund einer Buchführung, deren Richtigkeit er nicht übersehen könne, abzugeben, ist nicht stichhaltig. Einmal muß sich der Konkursverwalter sowieso eingehend mit dem Vermögensstand des Gemeinschuldners befassen, wobei er oder ein von ihm zugezogener Sachverständiger die Buchführung einer Prüfung unterziehen müssen, wenn die Konkursmasse richtig festgestellt werden soll. Hinzu kommt, daß nach § 1 Absatz 3 der Konkursordnung die Geschäftsbücher zur Konkursmasse gehören und dem Gemeinschuldner nicht mehr zur Verfügung stehen und ihm auch nicht zur Verfügung gestellt werden dürfen. Bereits hieran scheitert die von Lewin (Deutsche Steuerzeitung 1926 S. 214) vertretene andere Auffassung. Von einer unbilligen Zumutung kann hiernach nicht die Rede sein. Ebenso kann sich der Bf. seiner Pflicht zur Abgabe der Steuererklärungen nicht mit der Begründung entziehen, er könne den Steuerpflichtigen nicht über das Konkursverfahren hinaus verpflichten, und sich selbst einer unbegrenzten Regreßpflicht aussetzen; der Konkursverwalter würde deshalb nur eine vom Gemeinschuldner gebilligte Erklärung abgeben. Wenn der Bf. etwa damit sagen will, der Konkursverwalter hafte nur während der Dauer des Konkursverfahrens, so beruht das auf einem Irrtum. Der Konkursverwalter ist allen Beteiligten, nicht nur dem Gemeinschuldner, für die Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten verantwortlich (§ 82 der Konkursordnung). Er haftet allen Beteiligten für eine sorgfältige Amtsführung. Die während des Konkurses vorgenommenen Handlungen haben naturgemäß in vielen Fällen Wirkung über das Konkursverfahren hinaus. Ebenso wie hierfür, aber auch in keinem größeren Umfange, der Konkursverwalter nach § 82 der Konkursordnung haftet, so haftet er auch dem Gemeinschuldner in Bezug auf die Angaben in der Steuererklärung. Die Haftung des Konkursverwalters ist deshalb in diesem Falle keine größere als sie ihn auch sonst bereits trifft. Es sei jedoch noch darauf hingewiesen, daß der Bf. durch die Billigung der Erklärung durch den Gemeinschuldner unter Umständen diesem gegenüber seine Haftung einschränken kann, daß das aber nicht gegenüber der Finanzverwaltung möglich ist. Hier haftet er (§ 109 AO) persönlich neben dem Steuerpflichtigen, wenn er die ihm obliegenden Pflichten bei der Abgabe seiner Erklärung schuldhaft verletzt.

Hat hiernach der Konkursverwalter Steuererklärungen auch für die vor der Konkurseröffnung liegenden Steuerabschnitte abzugeben, so kann dieses Ergebnis nicht etwa aus dem in dem Urteil des Großen Senats S 1/26 vom 25. Oktober 1926, Slg. Bd. 19 S. 355, ausgesprochenen Grundgedanken, der Verwalter habe erst im Prüfungstermine zu den durch Anmeldung geltend zu machenden Steueransprüche Stellung zu nehmen (s. Jäger, Kommentar zur Konkursordnung, 6. und 7. Auflage, Anmerkung 37 a zu § 6), in Zweifel gezogen werden. Das Urteil befaßt sich nur mit der Frage, wie eine vor Konkurseröffnung entstandene Steuerforderung im Konkursverfahren zu befriedigen ist und mit der Rechtsnatur der Anmeldung. Soweit seine Ausführungen die Aufgaben des Konkursverwalters berühren, beziehen sie sich auch nur auf dieses Stadium des Verfahrens. Zu der hier streitigen Frage hat der Große Senat nicht Stellung genommen und brauchte es auch nicht. Ganz abgesehen davon, daß der Bundesfinanzhof an eine etwaige andere Auffassung des Reichsfinanzhofs nicht gebunden ist, läßt die später ergangene Entscheidung des Reichsfinanzhofs vom 11. Februar 1927 darauf schließen, daß er mit seinen Ausführungen in dem Urteil vom 25. Oktober 1926 keine abschließende Würdigung der Aufgaben des Konkursverwalters hat vornehmen wollen.

Hiernach war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407290

BStBl III 1951, 212

BFHE 1952, 522

BFHE 55, 522

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