Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßkostenhilfe bei Schätzungen; Verwertung strafgerichtlicher Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren

 

Leitsatz (NV)

1. Von Verfassungs wegen darf im Verfahren der Gewährung von Prozeßkostenhilfe bei Abwägung der Erfolgsaussichten noch keine abschließende Prüfung vorgenommen werden.

2. Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für Klageverfahren gegen Schätzungsbescheide kommt grundsätzlich in Betracht, wenn nach den wesentlichen Tatsachenbehauptungen und Beweisantritten des Antragstellers der angestrebte Erfolg möglich erscheint.

3. Das Gericht kann jedoch dann eine Beweisführung für völlig unwahrscheinlich ansehen, wenn der Antragsteller der Schätzung lediglich pauschal entgegentritt oder an der Aufklärung des Sachverhalts in keiner Weise mitwirkt.

 

Normenkette

ZPO § 114; FGO § 96 Abs. 1 S. 1 2. HS, § 142 Abs. 1-2; AO § 162 Abs. 1, 2 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) wendet sich im Hauptverfahren gegen im Anschluß an eine Prüfung der Steuerfahndungsstelle (vgl. Bericht vom 8. November 1988) erlassene einheitliche Gewinnfeststellungen bzw. Steuerfestsetzungen für die Gewerbe-, Umsatz- und Einkommensteuer der Streitjahre 1981 bis 1987.

Die Steuerfahndung hatte festgestellt, daß der Kläger und seine Ehefrau in diesen Jahren unter verschiedenen Geschäftsbezeichnungen einen . . .betrieb und eine . . .firma unterhalten haben und dabei Strohmänner einschalteten. Ihren steuerlichen Pflichten sind sie im wesentlichen nicht nachgekommen. Insbesondere haben sie keine Steuererklärungen eingereicht. Wegen fehlender ordnungsmäßiger Buchführung ermittelte die Steuerfahndung die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege.

Das Landgericht verurteilte den Kläger und seine Ehefrau wegen Steuerhinterziehung in den Jahren 1981 bis 1986 unter Übernahme der von der Steuerfahndung ermittelten Besteuerungsgrundlagen. Hinsichtlich der Umsatzsteuer des Kalenderjahres 1986 hat die Kammer das Strafverfahren gemäß § 154 Abs. 2 des Strafgesetzbuches (StGB) vorläufig eingestellt. Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bzw. die ermittelten Rohgewinne seien fehlerhaft und weit überhöht. Entgegen seiner Zusage reichte der Kläger jedoch weder die noch fehlenden Unterlagen ein noch erstellte er Gewinnermittlungen bzw. Steuererklärungen. Die Rechtsbehelfe blieben deshalb erfolglos.

Mit der Klage machte der Kläger erneut geltend, der Bericht der Steuerfahndung sei inhaltlich fehlerhaft, und reichte zur Begründung nach richterlicher Aufforderung vom 5. August 1991 lediglich die seinerzeit zu dem Bericht der Steuerfahndung gefertigte Stellungnahme ein.

Den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) für das Klageverfahren wies das Finanzgericht (FG) wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussichten zurück.

Mit der von einem Prozeßbevollmächtigten eingereichten Beschwerde, welcher das FG nicht abgeholfen hat, legte der Kläger eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 30. Juli 1992 vor. Zur Begründung nimmt der Prozeßbevollmächtigte auf eine bereits im Einspruchsverfahren eingereichte Stellungnahme zur Schätzung des Wirtschaftsprüfers W vom 16. März 1990 Bezug, mit welcher sich weder der Beklagte noch das FG erkennbar auseinandergesetzt hätten. Danach seien erhebliche Betriebsausgaben im Rahmen der Schätzung nicht berücksichtigt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Gewährung von PKH setzt in tatsächlicher Hinsicht voraus, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i.V.m. § 142 Abs. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, wenn bei summarischer Prüfung die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als aussichtslos erscheint, also eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein vollständiges oder zumindest teilweises Obsiegen des Antragstellers besteht. Davon ist auszugehen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Februar 1990 VIII B 39/85, BFH/NV 1990, 785, m.w.N.; vom 17. Juli 1989 X B 39/89, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung 1977, § 162, Rechtsspruch 38).

Bei der Entscheidung, ob hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Die Erfolgsaussichten sind in der Regel dann hinreichend anzusehen, wenn die für und gegen einen Erfolg sprechenden Gründe als gleichwertig einzustufen sind. Bei der Abwägung dieser Umstände darf noch keine abschließende Prüfung vorgenommen werden (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 30. Oktober 1991 1 BvR 1386/91, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1992, 889; vom 13. März 1990 2 BvR 94/88, NJW 1991, 413; Beschluß des BFH vom 6. Februar 1987 III B 169 und 170/86, BFH/NV 1987, 322). Dies bedeutet insbesondere bei der Gewährung von PKH für Klageverfahren, die sich gegen Schätzungen richten, daß es genügt, wenn nach den wichtigsten Tatsachen der vom Antragsteller angestrebte Erfolg möglich erscheint. Dies schließt indessen nicht aus, daß das Gericht die Möglichkeit einer Beweisführung dann für völlig unwahrscheinlich hält, wenn der Steuerpflichtige den der Schätzung zugrunde- liegenden konkreten Tatsachen und Schlußfolgerungen lediglich pauschal entgegentritt oder er keinen Versuch unternimmt, in Erfüllung der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Februar 1991 X B 184/90, BFH/NV 1991, 405, und vom 7. August 1990 X B 48, 49/90, BFH/NV 1991, 184).

2. Das FG hat diesen Maßstäben im Ergebnis zutreffend Rechnung getragen.

Der Kläger hat keinerlei konkrete Umstände vorgetragen, die die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide und der Einspruchsentscheidung in Zweifel ziehen könnten.

Auch mit der nachgereichten Stellungnahme des Wirtschaftsprüfers W vom 16. März 1990 tritt der Kläger der Schätzung lediglich pauschal entgegen und kommt der ihm beim Abzug von Betriebsausgaben obliegenden Mitwirkungspflicht in keiner Weise nach, insbesondere fehlen für die Nachprüfung geeignete Belege bzw. andere Beweismittel.

a) Der Kläger bestreitet selber nicht die Befugnis des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -), im Streitfall wegen mangelhafter Buchführung und fehlender Steuererklärungen für die Streitjahre die Besteuerungsgrundlagen dem Grunde nach durch Schätzungen zu ermitteln (vgl. §§ 162 Abs. 1, Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) und 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO für die eigene Schätzungsbefugnis des FG; ferner BFH-Beschluß vom 17. Juli 1989 X B 39/89, a.a.O.).

b) Der Kläger wendet sich mit pauschalen, allgemeinen Überlegungen ohne nähere Substantiierung allein gegen die Höhe der dem Grunde nach gerechtfertigten Schätzung der Besteuerungsgrundlagen.

aa) Soweit das FG die allein auf die zum Fahndungsbericht abgegebene Stellungnahme gestützten Einwendungen nicht als hinreichend ansieht, weil der Kläger auf der Grundlage dieser strafrechtlichen Ermittlungen, die in gleicher Weise den angefochtenen Schätzungsbescheiden zugrunde liegen, rechtskräftig verurteilt worden und das Urteil durch Verzicht des Klägers auf Einlegung von Rechtsmitteln rechtskräftig geworden sei, ist diese rechtliche Würdigung nicht zu beanstanden.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Dezember 1991 VII B 163/91, BFH/NV 1992, 612, m.umf.N.), kann sich das FG in tatsächlicher Hinsicht die Feststellungen eines in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteils zu eigen machen, es sei denn, die Beteiligten trügen gegen diese Feststellungen substantiierte Einwendungen vor und stellten entsprechende Beweisanträge, die das FG nach den allgemein für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann.

Der Kläger hat indessen diese Feststellungen in keiner Weise substantiiert bestritten, insbesondere offensichtlich nicht dadurch, daß er lediglich die Einwendungen wiederholt, die bereits Gegenstand der strafgerichtlichen Feststellungen gewesen sind und die der Kläger im Strafverfahren offenbar akzeptiert hat. Überdies enthalten die Einwendungen nur allgemeine Überlegungen, ohne konkret verwertbare Tatsachen und Unterlagen oder sonstige Beweismittel einzuführen.

bb) Die strafgerichtlichen Feststellungen decken indessen das Streitjahr 1987 und zusätzlich für die Umsatzsteuer das Kalenderjahr 1986 nicht unmittelbar ab.

Der anwaltlich vertretene Kläger hat jedoch in keiner Weise dargetan, warum die strafgerichtlich gebilligte Schätzungsmethode gerade für diesen Zeitraum versagen sollte oder jedenfalls welche besonderen Umstände insoweit eine abweichende Betragsfestsetzung rechtfertigen könnten. Da jede Schätzung gewisse Unsicherheiten enthält (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226, 228), muß der Steuerpflichtige, will er eine abweichende Schätzung herbeiführen, erweisbare Tatsachen oder Erfahrungssätze vortragen, die geeignet sind, zu dem Schluß zu gelangen, daß ein anderer als der von der Finanzbehörde geschätzte Betrag wahrscheinlicher sei (vgl. BFH-Urteile vom 10. Mai 1961 IV 101/60 U, BFHE 73, 146, BStBl III 1961, 321; vom 18. August 1960 IV 299/58 U, BFHE 71, 545, BStBl III 1960, 451; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 162 AO 1977 Tz.10).

Zwar dürfen, wie bereits ausgeführt, im PKH-Verfahren Schätzungen, deren Ergebnis von der Gesamtwürdigung vieler Tatumstände abhängt, nicht die endgültige Würdigung, wie sie der Entscheidung zugrunde liegt, maßgebend sein. Vielmehr kommt es im wesentlichen darauf an, ob nach den wichtigsten Tatumständen der vom Antragsteller angestrebte Erfolg möglich erscheint (vgl. BFH-Beschluß vom 6. Februar 1987 VIII B 169 und 170/86, a.a.O.). Für die Angabe über rechtlich bedeutsame Tatsachen genügt zur Darlegung der hinreichenden Erfolgsaussichten ein schlüssiges Vorbringen mit Beweisantritt, demzufolge im Hauptverfahren eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1990 V B 127/89, BFH/NV 1992, 848, und vom 13. Juni 1988 IV B 114/86, BFH/NV 1988, 804).

Selbst diesen im PKH-Verfahren geringeren Anforderungen entspricht der Antrag des Klägers jedoch nicht.

Soweit der Kläger unter Hinweis auf ein Schreiben der . . . vom 9. Oktober 1989, mit welchem für die Jahre 1981 bis 1986 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 658583,12 DM nachgefordert sein sollen, unter Hochrechnung auf eine Bruttolohnsumme von 1829397 DM gegenüber dem von der Steuerfahndung angenommenen Überschuß in Höhe von 1624830 DM nur noch einen solchen von 1435646,88 DM gerechtfertigt ansieht, fehlt es an jeglichem nachprüfbaren Tatsachenvortrag.

Der Kläger trägt weder vor, auf welcher Grundlage diese Sozialversicherungsbeiträge ermittelt worden sind und inwieweit es letztlich überhaupt zu einer entsprechenden Festsetzung der . . . gekommen ist noch vermag die bloße Anforderung den für den steuerlichen Abzug als Betriebsausgaben notwendigen Nachweis zu ersetzen.

Laut Fahndungsbericht vom 8. November 1988 (S. 13) fehlen nicht nur für die Zeit vom November 1983 bis einschließlich Dezember 1985 sämtliche Ausgabenbelege, sondern auch die für 1986 und 1987 aufgefundenen Belege erfüllen nur zu einem geringen Teil die Mindestanforderungen an einen betrieblichen Nachweis. U.a. sind Zahlungen für tatsächlich nicht erbrachte Spezialistenleistungen (z.B. zweimal je 34200 DM brutto, vgl. .S. 13/14) als Betriebsausgaben verbucht worden. In den auf der Grundlage der genaueren Prüfung der Jahre 1986 und 1987 zugunsten des Klägers auf lediglich 40 v.H. geschätzten Rohgewinn, bezogen auf die Netto-Betriebseinnahmen (S. 18 des Berichts), sind insbesondere auch Aufwendungen für die Bezahlung von Spezialisten in z.T. erheblichem Umfang enthalten.

Hinreichende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung könnten allenfalls dann bejaht werden, wenn der Kläger den die Gesamtsumme der geschätzten Betriebsausgaben übersteigenden Lohnaufwand nachprüfbar dargetan hätte und die Möglichkeit einer entsprechenden Beweisführung jedenfalls möglich erschiene.

Nicht anders sind die Einwendungen hinsichtlich der angesetzten PKW-Kosten zu beurteilen. Der Fahndungsbericht geht - da lediglich für die Jahre 1986 und 1987 eine detailliertere Prüfung möglich war - davon aus, daß die Anschaffungskosten für diverse PKWs jedenfalls im Jahre 1987 ausschließlich privat veranlaßt waren. Soweit in der Stellungnahme des Wirtschaftsprüfers W für die Jahre 1981 bis 1984 die Anschaffung von elf betrieblich genutzten PKWs und entsprechende Abschreibungen sowie Betriebskosten geltend gemacht werden, ist weder nachprüfbar dargetan, daß die Annahme des FA für 1987 unzutreffend ist noch inwieweit die laufenden Aufwendungen in den für die Streitjahre 1981 bis 1987 pauschal geschätzten Betriebsausgaben nicht enthalten

sind bzw. sein können (vgl. auch die Feststellungen des Landgerichts im Strafurteil vom . . . auf S. . . . zur Ermittlung des Rohgewinns).

 

Fundstellen

Haufe-Index 64577

BFH/NV 1993, 351

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