Rz. 61

Grundsätzlich können auch Verwaltungsakte, die auf nichtsteuerlichen Gesetzen beruhen, Grundlagenbescheide für steuerliche Verwaltungsakte sein. Das ist nicht ganz unproblematisch, da hierdurch die Wirkungen zweier Verwaltungsverfahren miteinander vermischt werden, die nach unterschiedlichen Prinzipien ablaufen und unterschiedliche Zwecke verfolgen. So rechtfertigt sich die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 AO daraus, dass die steuerrechtlichen Grundlagenbescheide (Feststellungsbescheide, Steuerbescheide) einer eigenständigen Festsetzungsverjährung unterliegen. Der Ablauf der Festsetzungsfrist des Folgebescheids kann also gehemmt werden, weil der Grundlagenbescheid einer eigenständigen Festsetzungsfrist unterliegt und damit die Festsetzungsfrist durch die Hemmung nicht "ausgehebelt" wird. Im allgemeinen Verwaltungsrecht ist demgegenüber keine generelle Verjährungsvorschrift enthalten. Die steuerliche Festsetzungfrist des Folgebescheids kann also gehemmt sein, obwohl der nichtsteuerliche Grundlagenbescheid keiner Verjährung unterliegt. Die Ablaufhemmung der steuerlichen Festsetzungsfrist des Folgebescheids wäre dann letztlich unbegrenzt. Dieses Problem ist dadurch entstanden, dass die Rechtsprechung entschieden hat, dass dann, wenn ein Verwaltungsakt, auch ein nichtsteuerlicher, als Grundlagenbescheid eingeordnet wird, auch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO eintreten muss.[1]

 

Rz. 62

Die Einordnung eines nichtsteuerlichen Verwaltungsakts als Grundlagenbescheid muss auch deshalb kritisch gesehen werden, weil eine systemgerechtere Lösung zur Verfügung steht. So könnte der Erlass eines Verwaltungsakts (z. B. einer Anerkennung ab einem bestimmten Zeitpunkt) als rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO auf diesen Zeitpunkt angesehen werden.

 

Rz. 63

Der BFH hat diesen Bedenken dadurch Rechnung getragen, dass Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden, die selbst weder einer Verjährungs- noch einer Antragsfrist unterliegen, nur dann die verjährungshemmende Wirkung des § 171 Abs. 10 AO zuerkannt wird, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist des betroffenen Grundlagenbescheids ergehen.[2] In der Rechtsprechung der Instanzgerichte ist die Entscheidung des BFH jedoch auf Widerspruch gestoßen.[3] Da insoweit eine Lücke im Gesetz vorlag, die aus rechtsstaatlicher Sicht und nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit schwer erträglich ist, ist § 171 Abs. 10 AO um einen S. 2 (jetzt S. 3) erweitert worden.[4] Die Vorschrift hat in zweifacher Hinsicht Bedeutung. Einerseits bestimmt sie, dass die Ablaufhemmung auch für Verwaltungsakte, für die § 181 AO nicht gilt, also im Wesentlichen für nichtsteuerliche Verwaltungsakte, eingreift. Andererseits begrenzt sie die Ablaufhemmung des Abs. 10 für Grundlagenbescheide, auf die § 181 AO nicht anzuwenden ist. Die Ablaufhemmung greift danach nur ein, sofern der nichtsteuerliche Grundlagenbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid beantragt worden ist.

 

Rz. 64

Ein Grundlagenbescheid liegt nach § 171 Abs. 10 AO vor, wenn ein Verwaltungsakt für einen (steuerlichen) Verwaltungsakt bindend ist. Es muss sich um eine rechtliche Bindung der Finanzbehörde an die Entscheidung einer anderen Behörde handeln, die es der Finanzbehörde verbietet, eine abweichende Entscheidung zu treffen. Regelmäßig besteht eine solche Bindung nicht, da die Finanzbehörde in eigener Zuständigkeit über alle für die steuerliche Entscheidung maßgebenden Vorfragen, auch Vorfragen nichtsteuerlicher Art, zu entscheiden hat. Sind demnach nichtsteuerliche Rechtsverhältnisse oder Tatsachen für die steuerliche Entscheidung präjudiziell, ist die Finanzbehörde an die Entscheidung einer anderen Behörde grundsätzlich nicht gebunden. Die Entscheidung der anderen Verwaltungsbehörde wird regelmäßig lediglich ein Indiz oder Beweismittel für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der steuerlich erheblichen, außersteuerlichen Tatsachen oder des Rechtsverhältnisses sein. Soll die Entscheidung dieser anderen Verwaltungsbehörde für die Finanzbehörde bindend sein, soll also ein Grundlagenbescheid vorliegen, so muss sich diese Bindung der Finanzbehörde aus dem Gesetz ergeben.[5] Soweit dagegen der Verwaltungsakt nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften für die Finanzverwaltung nicht bindend ist, handelt es sich nicht um einen Grundlagenbescheid, sondern um ein Beweismittel; die Finanzbehörde kann dann selbstständig ermitteln und entscheiden.[6] Allerdings sind die Entscheidungen anderer Behörden von der Finanzverwaltung regelmäßig zu respektieren, wenn sie nicht offenkundig rechtswidrig sind, sog. Tatbestandswirkung.[7] Sie werden dadurch aber nicht zu Grundlagenbescheiden. Danach ist etwa die Festlegung der Laufzeit einer Rente und des Rentenbeginns nicht Grundlagenbescheid für die Ermittlung des einkommensteuerlichen Ertragsanteils.[8] Gleiches gilt für Entscheidungen des Sozialversicherungsträgers über die Sozialversicherungspflicht eines Arbeitnehmers[9] und über den Bezug und die...

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