Nach welchen Kriterien eine mögliche Doppelbesteuerung zu prüfen ist

[Ohne Titel]

Dipl.-Finw. Karl-Heinz Günther[*]

Am 31.5.2021 hat der X. Senat des BFH zwei grundlegende und richtungsweisende Entscheidungen zur Rentenbesteuerung veröffentlicht, die die derzeitige Gesetzeslage im Hinblick auf eine mögliche Doppelbesteuerung reformbedürftig erscheinen lassen. Der nachfolgende Beitrag gibt einen ersten Überblick über die wesentlichen Eckpunkte der beiden Entscheidungen.

[*] Der Autor war stellvertretender Vorsteher bei einem FA.

1. Problemstellung

Umstrittene Rechtslage: Die nach dem Alterseinkünftegesetz ab 2005 neu geregelte Besteuerung von Leibrenten und anderen Leistungen, die aus

  • den gesetzlichen Rentenversicherungen,
  • der landwirtschaftlichen Alterskasse,
  • den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und
  • Rentenversicherungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG

erbracht werden (§ 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa) EStG), ist schon seit längerem hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit aufgrund einer möglichen Doppelbesteuerung der Rentenbezüge sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung der FG umstritten.

Richtungsweisende BFH-Entscheidungen: Der X. Senat des BFH hat nun mit zwei richtungsweisenden Entscheidungen

erstmals zur möglichen (verfassungswidrigen) Doppelbesteuerung von Renten Stellung genommen und hierzu konkrete Berechnungskriterien aufgestellt, auf die nachfolgend im Einzelnen eingegangen werden soll.

2. Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das Alterseinkünftegesetz: grundsätzlich verfassungsgemäß

Der BFH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu dem mit dem Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) vollzogenen Systemwechsel

  • zum einen die nunmehrige grundsätzlich volle ESt-Pflicht von Leibrenten und anderen Leistungen aus der Basisversorgung – auch im Vergleich zu anderen, weiterhin nicht voll steuerpflichtigen Bezügen (wie etwa Auszahlungen aus Verträgen über Lebens- oder privaten Rentenversicherungen) – als verfassungsgemäß angesehen.
  • Zum anderen hält der BFH auch die Grundsystematik der gesetzlichen Übergangsregelungen – insbesondere das Fehlen einer Differenzierung zwischen früheren Arbeitnehmern und früheren Selbständigen bei der Festlegung der Höhe des Besteuerungsanteils – für verfassungsgemäß.

Übergangsregelungen = Zulässigkeit von gröberen Typisierungen und Generalisierungen: Dabei hat er – in Bezug auf die allgemeine Ausgestaltung der Übergangsregelungen – ausdrücklich auch gröbere Typisierungen und Generalisierungen als zulässig angesehen, da eine auf die individuellen Verhältnisse jedes einzelnen Steuerpflichtigen abstellende Übergangsregelung nicht vollziehbar gewesen wäre. Hieran hält der BFH vor dem Hintergrund mehrerer – seine Rechtsauffassung bestätigender – Entscheidungen des BVerfG fest[1].

3. Mögliche Doppelbesteuerung von Renten der gesetzlichen und privaten Altersversorgung

Die Entscheidung v. 19.5.2021 – X R 33/19[2] beschäftigt sich mit einer möglichen Doppelbesteuerung von Renten der gesetzlichen und privaten Altersversorgung. Eine solche liegt nicht vor, wenn die Summe der voraussichtlichen steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen. Beachten Sie: Dabei sind Beträge, die bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens des Rentners abziehbar sind oder steuerfrei gestellt werden, nicht in die Vergleichsrechnung mit einzubeziehen.

[2] BFH v. 19.5.2021 – X R 33/19, EStB 2021, 241 (Günther) (in dieser Ausgabe).

a) Ermittlung des steuerfrei bleibenden Rentenanteils

Maßgebend ist hier die im Zeitpunkt des Renteneintritts zu erwartende durchschnittliche statistische weitere Lebenserwartung des Steuerpflichtigen, mit der der jährliche steuerfreie Teilbetrag der Rente (§ 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa S. 4 EStG) zu multiplizieren ist. Dabei ist auf die zuletzt verfügbare Sterbetafel im Zeitpunkt des Renteneintritts zurückzugreifen.

Einbeziehung einer möglichen künftigen Hinterbliebenenrente des Ehepartners ...: Hierbei ist auch eine mögliche künftige Hinterbliebenenrente des Ehepartners mit einzubeziehen, da aus einem Versicherungsverhältnis mit zu versorgenden Hinterbliebenen insgesamt voraussichtlich höhere Rentenleistungen zu erwarten sind als bei einem – sonst gleichen – Versicherungsverhältnis ohne Hinterbliebene.

... verletzt nicht den Grundsatz der Individualbesteuerung: Dies stellt keine Verletzung des Grundsatzes der Individualbesteuerung dar. Denn es geht nicht um die konkrete Besteuerung einer vom Steuerpflichtigen zu unterscheidenden dritten Person (= Ehepartner), sondern um die Prüfung, ob beim Steuerpflichtigen selbst eine doppelte Besteuerung eintritt. Im Rahmen der hierfür erforderlichen, aus Sicht des Tages des Renteneintritts vorzunehmenden Prognoserechnung dürfen aber auch Wahrscheinlichkeitserwägungen herangezogen werden.

b) Unberücksichtigt bleibende Abzugsbeträge

Bei Ermittlung des steuerfrei bleibenden Rentenanteils sind weit...

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