Rz. 112

[Autor/Stand] Ist wegen unrichtiger oder fehlender Umsatzsteuervoranmeldungen ein Strafverfahren anhängig, entfällt während der Dauer des Strafverfahrens die Strafbarkeit hinsichtlich der Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung.

 

Beispiel

nach BGH[2]: S hatte für Januar bis Oktober 07 falsche monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Im Dezember 07 wurde ihm die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben, das anschließend auch auf die Umsatzsteuervoranmeldung für November erweitert wurde. Das LG verurteilte S wegen Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung für 07.

 

Rz. 113

[Autor/Stand] Der BGH hob die Verurteilung auf. Zwar bestätigte er seine umstrittene Ansicht, bei der Umsatzsteuerjahreserklärung handele es sich um eine gegenüber den Voranmeldungen selbstständige Erklärungspflicht, deren Nichterfüllung selbständiges Unrecht bilde (s. dazu § 370 Rz. 1365 ff. sowie § 376 Rz. 84, 99 f. m.w.N.). Die von den Voranmeldungen und der Jahreserklärung umfassten Zeiträume seien jedoch "teilidentisch" und die Steuerart sei dieselbe. In Anbetracht dessen würde der Stpfl. in eine "unauflösbare Konfliktlage" geraten, wenn bzgl. der Umsatzsteuervoranmeldungen die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist. Diesbezüglich ist die Straflosigkeit wegen § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO ausgeschlossen. Damit komme die richtige Jahressteuererklärung einem Geständnis gleich.

 

Rz. 114

[Autor/Stand] Unter diesen Umständen führe der Nemo-tenetur-Grundsatz dazu, dass der Stpfl. nicht wegen unterlassener Abgabe der Jahressteuererklärung bestraft werden könne. Zwar bestünden die steuerlichen Erklärungspflichten fort, wie der BGH unter Hinweis auf § 393 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO betonte, die strafrechtliche Sanktionierung werde aber – ähnlich den steuerlichen Zwangsmitteln – solange suspendiert, wie das Strafverfahren andauere (seitdem st. Rspr.[5]).

 

Rz. 115

[Autor/Stand] Die Begründung betreffend das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldungen zur Umsatzsteuerjahreserklärung ist allerdings inzwischen durch die aktuelle Rspr. des BGH[7] überholt, nach der insoweit eine prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO anzunehmen ist (s. § 370 Rz. 1371), so dass die Suspendierung der Strafbewehrtheit der Nichtabgabe der Jahreserklärung bereits mit der Verfahrenseinleitung bzgl. der Voranmeldungen eintritt[8].

 

Rz. 116

[Autor/Stand] Der BGH hat also die Straflosigkeit nur deshalb angenommen, weil der Stpfl. wegen der eingetretenen Sperrwirkung keine wirksame Selbstanzeige (in Form der Umsatzsteuerjahreserklärung) mehr abgeben kann[10]. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Strafbarkeit nicht aufgehoben ist, wenn noch eine strafbefreiende Selbstanzeige möglich ist. Damit müssen die gleichen Grundsätze gelten, wenn der Ausweg über die Selbstanzeige aus anderen Gründen versperrt ist, wie z.B. durch das Erscheinen des Prüfers oder Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c und Nr. 2 AO) oder weil die finanziellen Mittel für die Nachentrichtung der Steuern gem. § 371 Abs. 3 AO nicht vorhanden sind[11] (s. § 370 Rz. 307, 308 m.w.N.).

 

Rz. 117

[Autor/Stand] Da der BGH[13] die Freiheit vom Selbstbelastungszwang ausdrücklich auch auf die Verfolgung von Steuerordnungswidrigkeiten erstreckt hat, wäre auch eine Sanktionierung etwaiger mit der Steuerstraftat zusammenhängender Steuergefährdungen (z.B. §§ 379382 AO) ausgeschlossen, und dies, obwohl das BVerfG insoweit eine strafbefreiende Selbstanzeigemöglichkeit ausgeschlossen hat[14] (s. dazu eingehend § 379 Rz. 680 ff.).

 

Rz. 118

[Autor/Stand] Auch erneute Falschangaben im Rahmen einer inhaltsgleichen – falschen – Umsatzsteuerjahreserklärung sind – so der BGH[16] – strafbar. In der Wiederholung der falschen Angaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen in der Umsatzsteuerjahreserklärung liege die Begehung neuen Unrechts, wozu weder das Recht auf Selbstschutz[17] noch das Zwangsmittelverbot[18] berechtigten. Dadurch wolle der Täter erreichen, dass die durch die falschen Voranmeldungen eingetretene Steuerverkürzung auf Zeit zu einer endgültigen Steuerverkürzung werde (st. Rspr., s. § 370 Rz. 1365 m.w.N.). Das hinter § 393 Abs. 1 Satz 2 AO stehende Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung erlaube nur ein Recht zur Passivität, nicht jedoch die neuerliche Vornahme verbotener Handlungen.

Dies ist – selbst auf der Grundlage der Rspr. des BGH[19] (s. dazu § 370 Rz. 318, 1365 f. m.w.N.) – nur dann überzeugend, wenn dem Stpfl. nicht schon hinsichtlich der Voranmeldungen ein Dauerverkürzungsvorsatz zur Last gelegt wird.

 

Rz. 119

[Autor/Stand] Nach Beschluss des BGH vom 23.1.2002 (s. nachst. Beispiel) ist auch die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe von Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen für einen bestimmten Veranlagungszeitraum suspendiert, wenn dem Stpfl. für diesen Zeitraum die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben wird.

 

Beispiel

nach BGH[21]: Der Angeklagte, ein selbständiger Gewerbetreibender, hatte für die VZ 07–09 u.a. weder Gewerbesteuer- noch Einkom...

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