Entscheidungsstichwort (Thema)

Angabe einer Kirchenmitgliedschaft in der von einem Steuerberater erstellten Einkommensteuererklärung trotz Kirchenaustritts in einem Vorjahr: keine Änderung des bestandskräftig gewordenen Kirchensteuerbescheids nach §§ 129, 173, 173a, § 175b AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wurde trotz des tatsächlich in einem Vorjahr erfolgten Kirchenaustritts in der von einem Steuerberater erstellten Einkommensteuererklärung eine Kirchenmitgliedschaft des Steuerpflichtigen angegeben und wurde deswegen Kirchensteuer festgesetzt, so kann die bestandskräftig gewordene Kirchensteuerfestsetzung weder nach § 175b Abs. 1 AO oder § 175 Abs. 2 AO noch nach § 129 AO, § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO oder § 173a AO geändert werden.

2. Voraussetzung für die Anwendung von § 175b Abs. 1 AO ist, dass es sich um für die Steuerfestsetzung übermittelte Daten handeln muss. Bei der in § 39e Abs. 2 Satz 2 EStG geregelten Verpflichtung zur Datenübertragung ist § 93c AO nicht in Bezug genommen. Daraus ist zu schließen, dass die Änderungsvorschrift des § 175b AO im Zusammenhang mit der Datenübertragung nach § 39e Abs. 2 Satz 2 EStG nicht anwendbar ist.

3. Die Änderung nach § 175b Abs. 2 AO gilt nur zugunsten des Steuerpflichtigen. Sie ermöglicht eine Änderung oder Aufhebung bereits bestandskräftiger Steuerbescheide, wenn sich nach dem Erlass des Steuerbescheids herausstellt, dass die übermittelten Daten falsch waren und infolge dessen eine höhere Steuer gegen den Steuerpflichtigen festgesetzt wurde.

 

Normenkette

KiStG Baden-Württemberg § 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2; AO §§ 93c, 129 S. 1, § 150 Abs. 7 S. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 2, §§ 173a, 175b Abs. 1-2; EStG § 39e Abs. 2 S. 2, Abs. 10

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob eine bestandskräftige Kirchensteuerfestsetzung gemäß § 175b AO aufgehoben werden kann.

Der Kläger erzielte im Streitjahr 2017 gewerbliche Beteiligungseinkünfte.

Bereits am 22. Dezember 2014 war er aufgrund Erklärung gegenüber dem Standesamt der Gemeinde A aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Die Meldebehörde teilte dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) den Austritt am 23. Dezember 2014 mit Wirkung zum 1. Januar 2015 mit.

Dennoch gab der Kläger – wie auch in den Vorjahren – in der von seinem Steuerberater erstellten und elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung 2017 an, Mitglied der evangelischen Kirche zu sein.

Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 1. August 2019 gegenüber dem Kläger evangelische Kirchensteuer für das Jahr 2017 in Höhe von 9.790,64 EUR fest. Der an den Steuerberater des Klägers bekannt gegebene Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 25. Februar 2020 und 21. April 2020 ergingen geänderte Bescheide. Letztlich verblieb es bei der Festsetzung der Kirchensteuer in der ursprünglichen Höhe.

Den Antrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 16. April 2020, die Kirchensteuerfestsetzung gemäß § 175b AO aufzuheben, lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 20. April 2020 ab.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 8. Juni 2020 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Änderungsvorschrift des § 175b AO greife nicht ein, da es sich bei der Kirchenmitgliedschaft nicht um meldepflichtige Daten i.S. des § 93c AO handele. Die Vorschrift des § 39e EStG regele ausschließlich die Verpflichtung der Datenübermittlung im Verfahren zur Bildung und Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Diese seien vom Arbeitgeber im Bedarfsfall abzurufen. Der Kläger sei im Streitjahr kein Arbeitnehmer gewesen. Daher habe auch keine Verpflichtung zur Datenübermittlung für Zwecke der Lohnsteuerabzugsmerkmale bestanden.

Der Kläger reichte am 3. Juli 2020 durch seine Prozessbevollmächtigte Klage ein. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Kirchensteuerfestsetzung sei nach § 175b Abs. 1 AO aufzuheben. Bei dem von der Gemeinde A an das BZSt übermittelten Kirchenaustritt des Klägers handele es sich um Daten i.S. von § 93c AO. Die Vorschrift enthalte einheitliche Verfahrensvorschriften für alle elektronischen Datenübermittlungspflichten Dritter. Es sei zwar zuzugeben, dass bei Verabschiedung des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18. Juli 2016, BGBI I 2016, 1679 die redaktionelle Anpassung des § 39e Abs. 2 EStG an den neuen § 93c AO unterblieben sei. Den Gesetzesmaterialen ließen sich hierfür jedoch keine Gründe entnehmen. Vielmehr habe der Gesetzgeber eine allgemeine und möglichst weitreichende Geltung des § 93c AO gewollt. Die Nichtanwendung der in § 93c AO festgelegten einheitlichen Rahmenregelungen bedürfe daher einer abweichenden gesetzlichen Regelung, die § 39e Abs. 2 EStG nicht entnommen werden könne. Schließlich dienten die von der Meldebehörde übermittelten Daten auch der Steuerfestsetzung. Der Beklagte habe das Kirchensteuermerkmal abfragen und der Einkommensteuerveranlagung zugrunde legen können.

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