Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines türkischen Passes. seit 1.1.2011 Bestandteil des Regelbedarfs. kein atypischer Bedarf iS des § 73 SGB 12. einmaliger Bedarf. keine abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs nach § 27a Abs 4 S 1 SGB 12. Gewährung eines ergänzenden Darlehens

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelentscheidung zu SG Aachen, Urteil vom 16. Juli 2013, S 20 SO 75/13.

 

Orientierungssatz

1. Anders als nach dem bis zum 31.12.2010 geltenden Sozialhilferecht sind durch das zum 1.1.2011 in Kraft getretene RBEG nunmehr die Kosten für die Beschaffung von Ausweispapieren im Regelbedarf abgebildet (vgl § 5 Abs 1 RBEG). Daraus folgt, dass § 73 SGB 12 nicht mehr als Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Ausweispapieren herangezogen werden kann.

2. § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 scheidet als Anspruchsgrundlage aus, da sich diese Vorschrift nur auf laufende besondere, aber vom Regelbedarf grundsätzlich erfasste Bedarfe bezieht.

3. Die Kosten können aber vom Sozialhilfeträger in Form eines ergänzenden Darlehens gem § 37 Abs 1 SGB 2 übernommen werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.12.2022; Aktenzeichen B 8 SO 11/20 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Kosten für die Beschaffung eines türkischen Passes in Höhe von 211,00 EUR aus Sozialhilfemitteln als Zuschuss statt - wie in Höhe von 208,00 EUR bewilligt - als Darlehen zu übernehmen hat.

Der 0000 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er ist psychisch schwer krank und steht unter amtsgerichtlich angeordneter Betreuung. Er lebt in einem Wohnheim für psychisch Behinderte und erhält von der Beklagten Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vorläufig bis 31.05.2014 (Bewilligungsbescheid vom 25.07.2012). Neben der in der Einrichtung zur Verfügung gestellten Hilfe zum Lebensunterhalt erhält der u.a. einen monatlichen Barbetrag von 100,98 EUR.

Am 16.10.2012 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für die Verlängerung seines türkischen Reisepasses in Höhe von 162,00 EUR als Zuschuss. Zur Begründung wies er daraufhin, die Gültigkeit des Passes laufe im Januar 2013 aus; es bestehe für ihn eine Passpflicht; da er nur Taschengeld besitze, könne er sich das Passgeld nicht ansparen.

Durch Bescheid vom 06.12.2012 bewilligte der Beklagte ein Darlehen in Höhe von 162,00 EUR für die Beschaffung des Reisepasses unter Hinweis auf die Vorschrift des § 37 Abs. 1 SGB XII. Sie sprach die Erwartung aus, dass das Darlehen in monatlichen Raten von 10,00 EUR zurückgezahlt werde.

Gegen die nur darlehensweise gewährte Hilfe erhob der Kläger am 11.12.2012 Widerspruch und begehrte die Umwandlung des Darlehens in einmalige Beihilfe. Er wies daraufhin, dass ihm nach Abzug der Rückzahlungsbeträge nur noch wenig Geld im Monat übrig bleibe. Deutsche Staatsbürger hätten nicht die gleichen Kosten zu tragen; darin liege eine Ungleichbehandlung. Anlässlich einer Terminabsprache habe er vom türkischen Konsulat erfahren, dass sich die Kosten inzwischen auf 208,00 EUR zuzüglich 5,00 EUR für ein Passfoto, insgesamt 213,00 EUR beliefen.

Der Beklagte wies des Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 25.03.2013, zugestellt am 05.04.2013, zurück mit der Maßgabe, dass der Darlehensbetrag auf 208,00 EUR angehoben und der erwartete Rückzahlungsbetrag auf monatlich 5,00 EUR gesenkt wurde. Dagegen hat der Kläger am 06.05.2013 Klage erhoben. Er hat mitgeteilt, dass die endgültigen Gebühren für die Passbeschaffung bei 211,00 EUR gelegen hätten; der Pass sei zwischenzeitlich beantragt, ausgestellt und aufgrund des Darlehens auch bezahlt worden. Der Kläger ist unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG NRW vom 23.05.2011 (L 20 AY 19/08) der Auffassung, es liege eine so genannte unbenannte Bedarfslage im Sinne von § 73 SGB XII vor, die die Übernahme der Passbeschaffungskosten ermögliche. Im Regelbedarf seien allenfalls die Kosten für einen deutschen Personalausweis (28,80 EUR) enthalten. Die Kosten für den türkischen Pass seien aber wesentlich höher. Weiche - wie hier - der individuelle Bedarf vom typischen Bedarf ab, begründe dies einen Anspruch auf zusätzliche Leistungen. Da für ihn Passpflicht bestehe und die Passbeschaffung auch nicht durch Ersatzausweispapiere umgangen werden könne, sei bei solchen Kosten das menschenwürdige Existenzminimum eines türkischen Leistungsempfängers nicht mehr gedeckt. § 73 Satz 2 SGB XII ermögliche die Gewährung der Hilfe in sonstigen Lebenslagen als Beihilfe oder als Darlehen. Dies setze eine Ermessensausübung voraus. Der Kläger hat auf sein psychiatrisches Krankheitsbild und ein im Betreuungsverfahren eingeholtes Fachgutachten hingewiesen. Daraus ergebe sich, dass er sich aufgrund von Vergiftungsideen nicht ausreichend ernähre. Neben der Rückzahlungsverpflichtung wegen des Passbeschaffungsdarlehens habe e...

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