Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Eilverfahren. Kostenübernahme der Dendritischen Zelltherapie bei Prostatakrebs. Verweis auf Standardtherapie. verfassungsrechtlicher Maßstab

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Versicherter, der bei der Gesetzlichen Krankenkasse die Kostenübernahme für eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht anerkannte neue Behandlungsmethode beantragt, kann auf eine dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nur dann verwiesen werden, wenn diese ihm nach demselben verfassungsrechtlichen Maßstab zumutbar ist, die das BVerfG seinem Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = Breith 2007, 373 - zu Grunde gelegt hat.

2. Ist die Standardtherapie mit die Lebensqualität erheblich beeinträchtigenden - weiteren - Gesundheitsstörungen verbunden, kann der Versicherte auf diese Therapie nicht zumutbar verwiesen werden.

3. Im Eilverfahren kann aus zeitlichen Gründen nicht festgestellt werden, ob es einem an einem metastasierenden Prostatakarzinom erkrankten Versicherten zumutbar ist, sich an Stelle der in Aussicht genommenen Dendritischen Zelltherapie auf eine Taxan-basierte Chemotherapie als Standardtherapie verweisen zu lassen. - Ebenso wenig kann im Eilverfahren festgestellt oder ausgeschlossen werden, dass mit der Dendritischen Telltherapie die nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbare Einwirkung auf die Krebserkrankung verbunden ist.

4. In einem solchen Fall kann eine unter verfassungsrechtlichen Aspekten vorzunehmende Folgenabwägung dazu führen, dass die Gesetzliche Krankenkasse im Eilverfahren vorläufig zur Übernahme der Kosten einer Dendritischen Zelltherapie verpflichtet wird (Anschluss LSG Berlin-Potsdam vom 1.12.2005 - L 1 B 1039/05 KR ER).

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass es das Sozialgericht abgelehnt hat, die Beschwerdegegnerin im Eilverfahren zur Übernahme der Kosten für eine Dendritische Zelltherapie zu verpflichten.

Bei dem 1949 geborenen Beschwerdeführer wurde im März 2006 ein fortgeschrittenes, metastasierendes Adenokarzinom der Prostata diagnostiziert. Unter der standardmäßig durchgeführten Androgenentzugstherapie kam es zunächst zu einem Rückgang des PSA-Wertes (prostataspezifisches Antigen). In den ersten Monaten des Jahres 2007 stieg der PSA-Wert wieder an.

Am 12. April 2007 beantragte der Beschwerdeführer bei der Beschwerdegegnerin, bei der er gesetzlich krankenversichert ist, die Kostenübernahme für eine Dendritische Zelltherapie, durchgeführt von Dr. in D. Diese Therapieform kam in den 90er Jahren aus den USA nach Deutschland. Sie verfolgt das Ziel, die Immunabwehr gegen den Krebs zu stimulieren und so einer Metastasierung entgegenzuwirken. Von dem Versicherten entnommene gesunde Zellen werden mit abgetöteten Tumorzellen in einer Zellkultur zusammengebracht, und später werden die Zellen in die Haut zurück injiziert. Über die Blut- und Lymphbahnen gelangen die Dendritischen Zellen zum einen in die Lymphknoten. Dort sollen sie eine Immunabwehr in Gang setzen. Zum anderen sollen sie Tumorzellen zerstören.

In seinem Antrag führte der Beschwerdeführer aus, die derzeitige Standardtherapie mit Taxan-basierter Chemotherapie komme für ihn wegen der zahlreichen Nebenwirkungen, die bis zur Pflegebedürftigkeit führen könnten, nicht in Betracht. Die Behandlung mit den Dendritischen Zellen habe nicht nur, wie die Chemotherapie, eine palliative Ausrichtung. Sie könne auch kurativ wirken. Er beabsichtige, diese Therapie am 24. April 2007 zu beginnen. Dem Antrag beigefügt war eine Stellungnahme des Dr. N vom 27. März 2007. Ferner lagen dem Antrag zahlreiche Unterlagen über die genannte Therapie sowie über Veröffentlichungen bei. Außerdem reichte der Beschwerdeführer ein an ihn gerichtetes Schreiben des Interdisziplinären Prostatakrebszentrums Berlin der Charité vom 15. Februar 2007 ein.

Mit Bescheid vom 20. April 2007 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die genannte Therapie ab. Zur Begründung bezog sie sich auf ein Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung von März 2006. Darin werde zur Vakzinationstherapie ausgeführt, sie habe bisher nur experimentellen Charakter. Die Datenlage sei unzureichend. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine nicht anerkannte Behandlungstherapie seien nicht erfüllt. Maßgebend sei, dass die Chemotherapie als vertraglich etablierte und anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung stehe.

Der Beschwerdeführer begann wie beabsichtigt bei Dr. N die Behandlung am 24. April 2007 bzw. 2. Mai 2007. Er legte gegen den Bescheid der Beschwerdegegnerin Widerspruch ein, den diese mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2007 zurückwies.

Zwischenzeitlich hatte der Beschwerdeführer am 26. April 2007 beim Sozialgericht Itzehoe beantragt, die Beschwerdegegnerin im Rahmen einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Dendritische Zelltherapie in der Praxis des Dr. N zu übernehmen. Zur Begründung hat er u. a. ausgef...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge