Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts wegen zumindest grob fahrlässiger unrichtiger Angaben. Verschweigen von zwei Kapitallebensversicherungen. Nichtvorliegen von Hilfebedürftigkeit

 

Orientierungssatz

1. Zur Rücknahme einer Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB 2 nach § 45 SGB 10 wegen des Verschweigens von zwei Kapitallebensversicherungen bei Antragstellung.

2. Ein die Freibeträge übersteigendes Vermögen ist solange auf den Leistungsanspruch anzurechnen, bis es tatsächlich verbraucht ist. Dies gilt auch dann, wenn es bereits in einem früheren Bewilligungszeitraum berücksichtigt wurde, aber weiterhin vorhanden ist.

 

Tenor

1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 6. April 2022 wird zurückgewiesen.

2. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 10. Juli 2019 sowie um den vom Beklagten insoweit geltend gemachten Erstattungsanspruch i.H.v. 13.956,20 Euro.

Die am I. geborene und seit August 2006 geschiedene Klägerin hatte vom Beklagten seit April 2013 durchgängig Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II bezogen. Bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Beantragung von SGB II-Leistungen im Februar 2013 verfügte die Klägerin über zwei kapitalbildende Lebensversicherungen, nämlich bei der J. -Lebensversicherung AG (ehemals: K. Versicherung) sowie bei der L. -Lebensversicherung AG. Diese Lebensversicherungen gab die Klägerin jedoch weder bei der Erstantragstellung im Februar 2013 noch in den darauffolgenden Weiterbewilligungsanträgen an (bis einschließlich Weiterbewilligungsantrag vom 12. Februar 2019 für die Zeit ab 1. März 2019).

In die bei der L. -Lebensversicherung AG abgeschlossene Kapitallebensversicherung erfolgte die Beitragszahlung i.H.v. insgesamt 5.379,00 Euro bis einschließlich Juni 2002. Der „Zeitwert“ dieser Versicherung betrug zum 1. Mai 2018 10.773,54 Euro (8.459,67 Euro Deckungskapital zuzüglich 2.313,87 Euro Überschussguthaben, vgl. im Einzelnen: Schreiben der L. -Lebensversicherung AG vom 12. Juli 2019) und zum 1. Juli 2019 11.298,17 Euro. In die bei der J. -Lebensversicherung AG geführte Kapitallebensversicherung waren in der Zeit von August 2002 bis Januar 2008 insgesamt 5.400,00 Euro eingezahlt worden. Ab dem 1. Februar 2008 war die Versicherung beitragsfrei gestellt. Ihr Rückkaufswert betrug am 1. Mai 2018 5.047,55 Euro und am 1. August 2019 5.470,13 Euro.

Auf die von der Klägerin am 18. Mai 2018 und am 12. Februar 2019 gestellten Weiterbewilligungsanträge gewährte der Beklagte für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 31. Juli 2019 monatliche SGB II-Leistungen zwischen 844,24 und 956 Euro (vgl. im Einzelnen: Bewilligungsbescheid vom 29./30. Mai 2018, Bescheid über die abschließende Festsetzung des Leistungsanspruchs vom 3. Dezember 2018 sowie Bewilligungsbescheid vom 15. Februar 2019). Im Weiterbewilligungsantrag vom 18. Mai 2018 hatte die Klägerin die Frage nach vorhandenem Vermögen verneint. Im Weiterbewilligungsantrag vom 12. Februar 2019 hatte sie die Frage nach Änderungen (u.a. hinsichtlich vorhandenen Vermögens) verneint.

Durch ein vom geschiedenen Ehemann der Klägerin verfasstes Schreiben vom 22. Juni 2019, mit dem er gegenüber dem Beklagten seinen Anspruch auf die Hälfte der Versicherungsleistungen anmeldete (Eingang beim Beklagten am 24. Juni 2019), erfuhr der Beklagte erstmals von der Existenz der beiden Kapitallebensversicherungen. Nach mehreren bei der Klägerin gehaltenen Rückfragen sowie nach Eingang diverser Unterlagen (u.a. von Kopien der von der Klägerin unterschriebenen Versicherungsanträge für beide Lebensversicherungen) hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 20. September 2019 zu einer für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 31. Juli 2019 beabsichtigten Rücknahme der Leistungsgewährung sowie zur Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs in Höhe von 14.887,30 Euro an. Die Klägerin machte daraufhin geltend, dass beide Versicherungsverträge von ihrem geschiedenen Ehemann für sie abgeschlossen worden seien. Auch die Vertragsunterlagen seien nach der Trennung beim geschiedenen Ehemann verblieben. Als sie (die Klägerin) „positive Kenntnis erlangt“ habe, habe „sie freiwillig über die beiden Lebensversicherungen informiert“. Sie habe während des Leistungsbezugs also stets darauf vertrauen dürfen, dass die ihr gewährten Leistungen rechtmäßig erfolgt seien. Ihr Vertrauen sei „zweifellos schutzwürdig“, zumal sie die erhaltenen Leistungen auch verbraucht habe. Wenn sie zu einem früheren Zeitpunkt „über die Lebensversicherung (..) informiert gewesen wäre“, hätte sie unverzüglich einen Verwertungsausschluss mit den beiden Versicherungsunternehmen vereinbart. Unabhängig davon dürfe der ...

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