Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anforderung an die Bestimmtheit des Erstattungsbescheides. grob fahrlässige Falschangaben zum Ehegatteneinkommen durch Vertreter der Bedarfsgemeinschaft. keine Zurechnung des Vertreterverschuldens. keine Duldungsvollmacht bei völliger Unwissenheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid muss den Zeitraum und das Ausmaß der Rücknahme oder Aufhebung nicht bloß durch Benennung eines nach Anfang und Ende bezeichneten Zeitraumes und eines insgesamt zu Unrecht gewährten Geldbetrages bestimmen, sondern auch die jeweils betroffenen Bewilligungsbescheide nach ihrem Datum bezeichnen (Bestimmtheit).

2. Eine Zurechnung des Verschuldens nach allgemeinen Regeln (§§ 166, 278 BGB) unter volljährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft kann jedenfalls nicht über § 38 SGB 2 begründet werden; sie kommt vielmehr nur in den Fällen einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht oder einer gesetzlichen Vertretung in Betracht. Die rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht kann ausdrücklich erteilt werden, aber auch konkludent in Form einer sog Duldungsvollmacht.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2008 sowie der Bescheid vom 11. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2007 sowie der Bescheid vom 14. März 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 24. April 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2008 werden aufgehoben. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und die entsprechende Rückforderung.

Der Ehemann der 1960 geborenen Klägerin beantragte am 4. Oktober 2004 Leistungen nach dem SGB II für sich und die Klägerin. Er gab an, die Klägerin habe Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit, und reichte hierzu eine Verdienstbescheinigung für den Monat September 2004 ein, nach der die Klägerin 525,52 EUR verdiente.

Die Klägerin verdiente im November 2004 tatsächlich 1.140,59 EUR und im Dezember dieses Jahres 986,72 EUR; das Gehalt wurde zum Ende des Monats auf das Konto ihres Ehemannes bei der H. gezahlt. Diesen gegenüber dem ursprünglichen Antrag erheblich höheren Verdienst teilten weder der Ehemann der Klägerin noch diese selbst dem Beklagten mit.

Am 8. Dezember 2004 erging gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann ein Bescheid zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II i.H.v. 610,69 EUR für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2005. Für die Klägerin wurde dabei ein monatliches Erwerbseinkommen in Höhe von 484,52 EUR abzüglich der Freibeträge, damit in Höhe von insgesamt 351,39 EUR angerechnet. Wegen der Berechnung der Leistung im Einzelnen wird auf den Bescheid Bezug genommen.

Die Klägerin verdiente in dieser Zeit tatsächlich 983,61 EUR monatlich.

Bei den späteren Fortzahlungsanträgen vom 3. Mai 2005, 12. Dezember 2005, 29. Juni 2006, 14. November 2006 sowie 12. Dezember 2006 erklärte der Ehemann der Klägerin jeweils, es hätten sich keine Änderungen ergeben. Entsprechend wurde das Einkommen, das in der ursprünglich eingereichten Verdienstbescheinigung ausgewiesen war, weiterhin den Folgebewilligungen zugrunde gelegt. Die Bewilligungsbescheide waren jeweils an den Ehemann der Klägerin als Vertreter der Bedarfsgemeinschaft adressiert, die Auszahlung der Leistungen erfolgte auf sein Konto bei der H ...

Tatsächlich verdiente die Klägerin durchgängig mehr als es die nach wie vor zugrunde gelegte Verdienstabrechnung aus dem Monat September 2004 auswies. Wegen der Verdienste im Einzelnen wird auf die in der Verwaltungs- bzw. Prozessakte enthaltenen Verdienstbescheinigungen Bezug genommen. Das Gehalt wurde seit November 2005 auf ein eigenes Konto der Klägerin bei der S.-Bank ausgezahlt, bis dahin auf das H.-Konto des Ehemannes der Klägerin.

Der höhere Verdienst fiel dem Beklagten erst auf, als er anlässlich des Fortzahlungsantrags vom 14. November 2006 erstmals einen Arbeitsvertrag der Klägerin anforderte und die Klägerin ihren Arbeitsvertrag sowie Verdienstbescheinigungen anlässlich eines persönlichen Gesprächs einreichte.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11. Januar 2007, dessen Absendung sich nicht aus den Akten ergibt, hob der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 gegenüber der Klägerin teilweise auf, da sie einen höheren Verdienst erzielt habe als bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigt worden sei. Die Aufhebung wurde auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestützt, da die Klägerin grob fahrlässig ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen sei, sämtliche Veränderungen mitzuteilen. Gemäß § 50 SGB X wurde ein Erstattungsbetrag i.H.v. 9.252,16 EUR geltend gemacht.

Ausweislich eines Aktenvermerks...

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