Rz. 93

§ 35 Abs. 3 Satz 2 unterscheidet zwischen 3 Varianten, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu senken: einen Wohnungswechsel, Vermieten oder "auf andere Weise". Diese müssen jeweils nicht nur objektiv möglich, sondern auch subjektiv zumutbar sein.

 

Rz. 94

Ein Wohnungswechsel ist (objektiv) nur möglich, wenn eine angemessene Wohnung tatsächlich zur Verfügung steht.

Die tatsächliche (Un-)Zumutbarkeit eines Wohnungswechsels bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei vom Grundsatz her der Umzug von einer unangemessenen in eine angemessene Wohnung innerhalb des örtlichen Vergleichsraums (s. o.) (subjektiv) zugemutet werden kann, insoweit also eher ein strenger Maßstab anzulegen ist (BSG, Urteil v. 19.2.2009, B 4 AS 30/08 R Rz. 32). Ein Umzug in eine Wohnung außerhalb des maßgebenden Vergleichsraumes ist hingegen nicht zumutbar (vgl. BSG, Urteil v. 1.6.2010, B 4 AS 60/09 R Rz. 18 ff., allerdings zu § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II a. F.).

 

Rz. 95

Bei der (subjektiven) Zumutbarkeitsprüfung können verschiedene Aspekte Bedeutung erlangen, die in Relation zueinander zu setzen bzw. gegeneinander abzuwägen sind. Für den hier fraglichen Personenkreis, der vom Dritten und Vierten Kapitel SGB XII erfasst wird, dürfte oftmals insbesondere eine Rolle spielen, wie lange der/die Betroffene voraussichtlich noch im Leistungsbezug stehen wird, wie alt er/sie ist, wie lange er/sie bereits in einer Wohnung gelebt hat, welche Folgekosten durch einen Umzug möglicherweise entstehen, wie sein/ihr Gesundheitszustand ist, ob die Wohnung auf die gesundheitlichen Einschränkungen besonders zugeschnitten ist und wie hoch sein/ihr (berechtigtes) Interesse einzuschätzen ist, in seinem/ihrem sozialen Umfeld zu verbleiben (vgl. z. B. BSG, Urteil v. 13.4.2011, B 14 AS 106/10 R Rz. 38; BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 24/08 R Rz. 19 m. w. N.; BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 27/09 R Rz. 33). Erforderlich ist bei der konkreten Angemessenheit stets eine Betrachtung des Einzelfalls, also ob Umstände vorliegen, die zu einer eingeschränkten Obliegenheit der Kostensenkung führen (vgl. BSG, Urteil v. 2.9.2021, B 8 SO 13/19 R Rz. 26 zu spezifischen Bedarfen älterer Menschen). Zu berücksichtigen sind aber auch die Höhe der Differenz zwischen den tatsächlichen und den angemessenen Kosten sowie der Umstand, dass nicht jeder Umzug ein vollständiges Herauslösen aus dem bisherigen sozialen Kontext bedeuten muss (BSG, Urteil v. 19.2.2009, B 4 AS 30/08 R Rz. 34; zur Güte der Einbindung durch den ÖPNV: BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 27/09 R Rz. 35).

 

Rz. 96

Das BSG (Urteil v. 17.12.2009, B 4 AS 27/09 R Rz. 35) hat als weitere Aspekte genannt: Die Rücksichtnahme auf das soziale und schulische Umfeld minderjähriger schulpflichtiger Kinder, die möglichst nicht durch einen Wohnungswechsel zu einem Schulwechsel gezwungen werden sollten; Rücksicht auf Alleinerziehende, die zur Betreuung ihrer Kinder auf eine besondere Infrastruktur angewiesen sind, die bei einem Wohnungswechsel in entferntere Ortsteile möglicherweise verloren ginge und im neuen Wohnumfeld nicht ersetzt werden könnte; behinderte oder pflegebedürftige Menschen bzw. die sie betreuenden Familienangehörigen, die zur Sicherstellung der Teilhabe behinderter Menschen ebenfalls auf eine besondere wohnungsnahe Infrastruktur angewiesen sind.

 

Rz. 97

Jenseits der Zumutbarkeit eines Umzugs kann auch fraglich sein, ob verbrauchsabhängige Nebenkosten in zumutbarer Weise gesenkt werden können (zur Unangemessenheit des Kaltwasserverbrauchs SG Freiburg, Urteil v. 15.4.2011, S 6 AS 3782/09; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 23.2.2011, L 13 AS 90/08 Rz. 92).

 

Rz. 98

Eine Kostensenkung der Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfe durch Vermieten (vgl. zur Untervermietung u. a. BSG, Urteil v. 6.8.2014, B 4 AS 37/13 Rz. 31), wie in § 35 Abs. 3 Satz 2 ebenfalls vorgesehen, ist tatsächlich nur möglich, wenn zusätzlicher Wohnraum vorhanden ist. Bei einer angemieteten Wohnung muss eine Untervermietung zudem mietvertraglich erlaubt, also rechtlich möglich sein. Zumutbar dürfte die (Unter-)Vermietung von zusätzlichem Wohnraum allerdings nur sein, wenn es sich bei dem zusätzlichen Wohnraum um eine abgeschlossene Wohnung (mit eigener Küche und eigenem Badezimmer) handelt. Denkbar ist aber auch die (Unter-)Vermietung einer Garage oder eines Stellplatzes, sofern dies nach dem Inhalt des Mietvertrags erlaubt ist.

 

Rz. 99

Auf andere Weise können die Aufwendungen beispielsweise durch Kündigung des Mietvertrags über eine zur Unterkunft gehörende Garage oder einen Stellplatz gesenkt werden. Zumutbar dürfte dies allerdings nur sein, wenn die leistungsberechtigte Person behinderungsbedingt nicht auf die Nutzung eines Kfz angewiesen ist, für das die Garage oder der Stellplatz benötigt wird.

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