Rz. 89

Allein die Tatsache des Eintritts eines Betriebsübergangs führt nicht zum Entstehen von Urlaubsabgeltungsansprüchen gegenüber dem Veräußerer.[1] Unerheblich ist dabei, ob der Veräußerer das Arbeitsverhältnis wirksam gekündigt hatte oder nicht.

 

Rz. 90

 
Praxis-Beispiel

Eine Arbeitnehmerin war bei der Firma A seit Juni 2017 als Reinigungskraft beschäftigt. Sie wurde ständig im Objekt des Kunden X eingesetzt. Die Firma A kündigte das Arbeitsverhältnis im August 2020 ordentlich zum 31.8.2020, da sie den Reinigungsauftrag zu diesem Termin verloren hatte. Seit dem 1.9.2020 werden die Reinigungsarbeiten beim Kunden X durch die Firma P erledigt. Diese beschäftigt die bisher für die Firma A dort tätigen ca. 75 Arbeitnehmer, einschließlich der Arbeitnehmerin und einschließlich der Objektleiterin ohne Unterbrechung unverändert weiter. Die Arbeitnehmerin meint, dass die Firma A Urlaubsabgeltung für die Zeit bis 31.8.2020 zahlen müsse.

Lösung

Nach der Rechtsprechung des BAG liegt ein Betriebsübergang von der Firma A auf die Firma P vor. Die wirtschaftliche Einheit "Reinigung im Objekt Kunde X" ist von der Firma A auf die Firma P übergegangen. Die Identität dieser Einheit blieb gewahrt, als die Firma P die Ausführung des Reinigungsauftrags übernahm und die Reinigungstätigkeit mit denselben Arbeitnehmern ohne Unterbrechung im Wesentlichen unverändert fortführte. Das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitnehmerin wurde zudem mit der Firma P fortgesetzt.[2] Es kommt nicht darauf an, ob die Kündigung vom August 2020 wirksam war. Auch wenn die Firma A aus dringenden betrieblichen Erfordernissen wirksam zum 31.8.2020 gekündigt hätte, führte die Einstellung der Arbeitnehmerin bei der Firma P nicht zur Begründung eines neuen, sondern zur Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses mit unverändertem Inhalt.[3] Die Beendigung der Vertragsbeziehung zwischen der Arbeitnehmerin und der Firma A, sei es aufgrund einer wirksamen Kündigung, sei es aufgrund des Betriebsübergangs, stellt angesichts der gesetzlich vorgesehenen Fortsetzung desselben Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber keine "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" i. S. d. § 7 Abs. 4 BUrlG dar, die zur Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung führt. Der Urlaub kann und muss vielmehr im fortgesetzten Arbeitsverhältnis gewährt und genommen werden; dies führt dann auch zur Fälligkeit des Anspruchs auf Urlaubsentgelt. Die Rechtslage entspricht der im Fall des Betriebsübergangs ohne Ausspruch einer Kündigung.[4] Der Arbeitnehmerin steht deshalb kein Urlaubsabgeltungsanspruch gegenüber dem Veräußerer, der Firma A, zu. Etwas anderes wurde nur dann gelten, wenn die Arbeitnehmerin dem Betriebsübergang widersprechen würde.[5]

 

Rz. 91

Endet das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber nach erfolgtem Betriebsübergang und entsteht deshalb ein Urlaubsabgeltungsanspruch, so richtet dieser sich allein gegen den Erwerber.[6]

Denn der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht weiterhin erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses[7] und damit nach dem Betriebsübergang.

 
Hinweis

Auch hier stellt sich die Frage, wie Erwerber und Veräußerer im Innenverhältnis zueinander haften. Insofern gilt nichts anderes als beim Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaubsentgelt.[8] Der Veräußerer ist deshalb m. E. dem Erwerber zum zeitanteiligen Ausgleich verpflichtet.[9] Geht das Arbeitsverhältnis zum 1.7. eines Jahres über und scheidet der Arbeitnehmer zum 31.12. aus, müsste der Veräußerer dem Erwerber 6/12 der gezahlten Urlaubsabgeltung erstatten.

 

Rz. 92

War das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Betriebsübergang beendet und deshalb der Urlaubsabgeltungsanspruch noch gegenüber dem Veräußerer entstanden, tritt der Erwerber in diese Verpflichtung nicht ein: Gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Erwerber nur in die Rechte und Pflichten der im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Dazu gehören bereits vor dem Betriebsübergang beendete Arbeitsverhältnisse nicht. Geht das Arbeitsverhältnis in gekündigtem Zustand auf den Erwerber über und endet wegen des Ablaufs der Kündigungsfrist erst beim Erwerber, ist letzterer aber wiederum im Außenverhältnis der allein Verpflichtete. Insofern gilt nichts anderes, als wenn das Arbeitsverhältnis ungekündigt auf ihn übergeht.

[4] BAG, Urteil v. 2.12.1999, 8 AZR 774/98, NZA 2000, 48; ErfK/Preis, 23. Aufl. 2023, § 613a BGB, Rz. 136; NK-ArbR/Düwell, 1. Aufl. 2016, § 7 BUrlG, Rz. 135; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, § 1 BUrlG, Rz. 153; Leinemann/Lipke, DB 1988, 1218.
[6] BAG, Urteil v. 19.6.2012, 9 AZR 652/10, NZA 2012, 1087; S. Rz. 65; MünchKommBGB/Müller-Glöge, 9. Aufl. 2023, § 613a BGB, Rz. 166; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, § 1 BUrlG, Rz. 154; für eine...

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