Rz. 104

Anordnungsanspruch ist das "Recht", d. h. der materielle Anspruch, das bzw. den der Antragsteller im Hauptsacheverfahren durchsetzen will und für das bzw. für den er eine einstweilige Anordnung begehrt. Durch die Sicherungsanordnung soll dieses Recht in seinem Bestand einstweilen gesichert, durch die Regelungsanordnung soll einstweilen die Vereitelung des noch nicht durchgesetzten Rechts und das Eintreten wesentlicher Nachteile verhindert werden. Diese bereits im Zusammenhang mit dem Anordnungsgrund dargestellten Gesichtspunkte spielen auch bei der Frage eine Rolle, welchen Inhalt der Anordnungsanspruch haben kann. Insbesondere bei der Regelungsanordnung ist der Anordnungsanspruch grundsätzlich nicht identisch mit dem materiellen Anspruch in der Hauptsache.

 

Rz. 105

Da es beim vorläufigen Rechtsschutz darum geht, möglichst rasch eine Entscheidung zu treffen, kann i. d. R. nur eine summarische Prüfung des Anordnungsanspruchs erfolgen. Art. 19 Abs. 4 GG fordert für die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes ein in jeder Weise beschleunigtes Verfahren, in dem grundsätzlich umgehend und ohne vertiefende Behandlung von Rechtsfragen zu entscheiden ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 4.7.2001, 1 BvR 165/01, NVwZ-RR 2001 S. 694). Eine stets eingehende Prüfung würde zulasten der Effektivität des einstweiligen Rechtsschutzes gehen (Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 24). Allerdings sind alle anstehenden Rechtsfragen zu überprüfen. Eine Überprüfung etwa unter Außerachtlassung von Gemeinschaftsrecht (so LSG NRW, Beschluss v. 28.1.2003, L 16 B 92/02 KR ER, KrV 2003 S. 150), verletzt das Verfahrensgrundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Anforderungen an die Prüfungsintensität und -dichte werden umso höher sein, je schwerer und nachteiliger die Folgen eines Verwaltungsakts sind (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.10.1988, 2 BvR 745/88, NJW 1989 S. 827). Die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache muss auch Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Beschluss v. 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003 S. 1236, für den Fall der Versorgung eines gesetzlich Krankenversicherten mit zulassungsfremd eingesetzten Arzneimitteln). Von Amts wegen durchzuführende Ermittlungen "ins Blaue hinein" sind nicht angezeigt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss v. 18.10.2011, L 8 B 526/10 ER).

 

Rz. 106

Das BVerfG (Beschluss v. 12.5.2005, 1 BvR 569/05, NVwZ 2005 S. 927) hat in einer Entscheidung über die Gewährung von existenzsichernden Leistungen die Anforderungen weiter konkretisiert und verschärft. Das besondere Gewicht der Menschenwürde erfordere es, dass das Sozialgericht in Angelegenheiten der Grundsicherung, insbesondere dann, wenn das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernehme, die Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend überprüfe, falls die Entscheidung sich an der Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren orientiere. Wenn angesichts der Eilbedürftigkeit die für die Beurteilung der Erfolgsaussicht erforderliche Sachaufklärung nicht durchgeführt werden könne, so müsse die Anordnung auf eine Folgenabwägung gestützt werden, wobei die grundrechtlichen Belange des Hilfesuchenden umfassend eingestellt werden müssen (vgl. Rz. 80). Auch für das Krankenversicherungsrecht gilt: Über den Anordnungsanspruch darf nicht allein anhand der Erfolgsaussichten der Hauptsache entschieden werden, wenn es um den Krankenversicherungsschutz als Teil des Existenzminimums und einer dringenden medizinische Leistung zur Heilung einer akut lebensbedrohlich Erkrankung geht. In diesen Fällen darf der vorläufige Rechtsschutz nur nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage versagt werden (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.2.2009, 1 BvR 120/09, NZS 2009 S. 674). Ist dies wegen der Eilbedürftigkeit nicht möglich, muss nach einer Folgenabwägung für die beeinträchtigten Rechtsgüter entschieden werden (LSG Bayern, Beschluss v. 19.12.2011, L 5 KR 431/11 B ER).

 

Rz. 107

Steht der geltend gemachte Anspruch im Ermessen des Sozialleistungsträgers, so ist zu prüfen, ob eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Nur dann besteht der Anordnungsanspruch (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 13.10.2011, L 15 AS 317/11 B ER). Soweit im Rahmen der Eilentscheidung die Erfolgsaussicht in der Hauptsache oder die für die Beurteilung einer Ermessensreduzierung maßgeblichen Tatsachen nicht geklärt werden können, ist eine Interessen- und Folgenabwägung vorzunehmen. Dabei sind die öffentlichen Interessen einerseits und die rechtlich, insbesondere die grundrechtlich geschützten Interessen des Antragstellers andererseits in die Abwägung miteinzubeziehen.

 

Rz. 108

Beispiel:

  • An der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs zur Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz fehlt es, wenn der Partner einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft deren Bestehen bisher dem Grundsicherungsträger gegenüber eingeräumt hat und überzeugende Gründe für eine Änderung der ...

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