ZPO § 91 Abs. 1 § 103 ff.

Leitsatz

Verzichtet ein vom Prozessgericht geladener Zeuge dem Gericht gegenüber auf Zahlung der ihm sonst nach dem JVEG zustehenden Entschädigung, so steht der erstattungsberechtigten Partei, die dem Zeugen seine Entschädigung direkt gezahlt hat, ein Kostenerstattungsanspruch nur dann zu, wenn sich die Partei verpflichtet hat, dem Zeugen seine Auslagen zu erstatten.

(Leitsatz der Schriftleitung)

OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.7.2016 – 15 W 43/16

Sachverhalt

Das LG Kassel hatte durch Beweisbeschluss unter anderem die Ladung des Zeugen Z – des Sohnes der Bekl. – angeordnet und die Ladung dieses Zeugen davon abhängig gemacht, dass die Bekl. einen Auslagenvorschuss i.H.v. 150 EUR einzahlt. Der Zeuge Z unterzeichnete eine Gebührenverzichtserklärung, die dem LG vorgelegt wurde, das hieraufhin die Ladung des Zeugen ohne Vorschusszahlung anordnete. Nach seiner Vernehmung im Termin zur mündlichen Verhandlung ließ sich der Zeuge gleichwohl am selben Tage von der Staatskasse für Auslagen und Verdienstausfall i.H.v. 246 EUR entschädigen. Durch rechtskräftiges Urt. hat das LG Kassel der Bekl. (richtig: der Kl.) die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Das Gericht forderte den Zeugen zur Rückzahlung des erhaltenen Betrags von 246 EUR auf. Der Zeuge zahlte schließlich den Betrag an die Landeskasse zurück.

Hieraufhin beantragte die Bekl. die Festsetzung gegen die Kl. in Höhe eines weiteren Betrags von 246 EUR mit der Begründung, sie habe diesen Betrag für den von ihr benannten Zeugen Z aufbringen müssen. Dessen Gebührenverzichtserklärung sei nicht als endgültiger Verzicht zu verstehen. Vielmehr habe der Zeuge auf die Zahlung der Entschädigung bestanden. Außerdem sei es zunächst natürlich auch ein Akt der Großzügigkeit gegenüber seiner Mutter, nicht aber gegenüber der Kl., die ja letztlich die Prozesskosten zu tragen habe. Die Rechtspflegerin des LG Kassel hat dem Kostenfestsetzungsantrag der Bekl. entsprochen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Kl. hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen:

" … II. Die sofortige Beschwerde der Kl. ist auch begründet. Die von der Bekl. geltend gemachten Kosten für die Entschädigung ihres Sohnes zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem LG sind nicht erstattungsfähig. Nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insb. die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor."

In Rspr. und Literatur ist allerdings umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen die durch die Partei einem Zeugen geleistete Zahlung erstattungsfähig ist (vgl. zum Streitstand Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 72. Aufl., § 91 Rn 297 ff.; aus neuerer Zeit auch OLG Nürnberg RVGreport 2011, 434 (Hansens) = AGS 2011,515). Der Senat neigt dazu, Aufwendungen für Zeugen, die gegenüber dem Gericht auf Zeugengebühren verzichtet haben, als nach § 91 ZPO erstattungsfähig anzusehen, wenn die Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, was bei den Auslagen eines vom Gericht vernommenen Zeugen nicht zweifelhaft sein kann, und wenn die Aufwendungen der Partei “erwachsen‘, d.h. entstanden sind. Die Gebührenverzichtserklärung ist dafür ohne Bedeutung, weil sie nur Auswirkungen gegenüber dem Gericht hat, das Verhältnis des Zeugen zu der Partei, die ihn benannt hat, dagegen unberührt lässt. Die Gebührenverzichtserklärung hat lediglich zur Folge, dass das Gericht für die Ladung des Zeugen auf die Einzahlung des Auslagenvorschusses verzichtet und der Zeuge seinen Anspruch auf Entschädigung nach dem JVEG gegenüber der Staatskasse verliert. Das bedeutet indes nicht, dass seine Auslagen und sein Verdienstausfall nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der ihn benennenden Partei notwendig waren. Anderenfalls hätte das Gericht den Zeugen nämlich nicht vernehmen brauchen. Warum der Zeuge gegenüber dem Gericht auf Erstattung seiner Auslagen verzichtet, ist für die Notwendigkeit seines Erscheinens vor Gericht und die damit verbundenen Aufwendungen unerheblich. Ob es eine nachvollziehbare Veranlassung für die Partei gibt, für die Staatskasse “auslagenerstattend einzuspringen‘ und eine eigene – einen Anspruch erst begründende – Erstattungszusage an den Zeugen abzugeben (vgl. hierzu OLG Koblenz AGS 1998,76), berührt die Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung ebenfalls nicht. Nur bei Aufwendungen, die die Entschädigung nach dem JVEG übersteigen, fehlt diese Notwendigkeit, weil der Zeuge verpflichtet ist, zu den Entschädigungsregelungen des JVEG vor Gericht zu erscheinen.

In jedem Fall ist aber zusätzlich erforderlich, dass die Kosten der Partei “erwachsen‘ sind, d.h. dass die Partei diese Kosten aufwenden musste. Denn nur dann waren diese Kosten zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig. Das folgt nicht zuletzt aus dem auch das Prozessrechtsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben, nach dem die Parte...

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