§ 3 Abs. 1 BetrAVG erfasst nur gesetzlich unverfallbare Anwartschaften, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufrechtzuerhalten sind. Dies ermöglicht zunächst einmal die Abfindung noch verfallbarer Versorgungsanwartschaften. Darüber hinaus können Anwartschaften, deren Unverfallbarkeit auf einer vertraglichen Vereinbarung beruhen, solange abgefunden werden, wie die gesetzliche Unverfallbarkeitsfrist noch nicht erfüllt ist.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Versorgungsanwartschaften im laufenden Arbeitsverhältnis abzufinden oder auf sie ganz oder teilweise zu verzichten, wenn die Abfindung bzw. der Verzicht "nicht im zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang mit dessen Beendigung" erfolgt (so ausdrücklich die amtliche Begründung des Gesetzgebers, vgl. BT-Drucks. 15/2150, S. 52 zu Nr. 4; vgl. ferner BAG, Urt. v. 14.8.1990 – 3 AZR 301/89, NZA 1991, 174; BAG, Urt. v. 21.1.2003 – 3 AZR 30/02, DB 2003, 2130; Förster/Cisch/Karst, BetrAVG, § 3 Anm. 7; Blumenstein BetrAV 2004, 237).

 

Hinweis:

Ein solch zeitlicher oder sachlicher Zusammenhang ist immer dann zu bejahen, wenn die Abfindung nach Ausspruch der Kündigung des Arbeitsvertrags (so schon BAG, Urt. v. 22.9.1987 – 3 AZR 194/86, BAGE 56, 148; vgl. auch BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 3 AZR 334/00, DB 2002, 2335; Blomeyer/Rolfs/Otto, BetrAVG, § 3 Rn. 23) oder nach Beantragung der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vereinbart wird.

Das Verbot, unverfallbare Versorgungsanwartschaften abzufinden, gilt auch dann, wenn ein wegen einer Erkrankung des Arbeitnehmers von unabsehbarer Dauer nur noch formal bestehendes Arbeitsverhältnis ruht, sofern keine konkrete Aussicht darauf besteht, dass es noch einmal aktiviert wird. Die dauerhafte Einstellung des Austauschs der wechselseitigen Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis steht dessen rechtlicher Beendigung i.S.v. § 3 Abs. 1 BetrAVG gleich (so LArbG Hamm, Urt. v. 19.2.2014 – 4 Sa 1384/13, zit. nach juris; Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 35/2014 Anm. 6).

Das LArbG Bremen (Urt. v. 22.6.2011 – 2 Sa 76/10, BB 2013, 635) hat eine Zustimmungspflicht des Arbeitgebers zur Kündigung einer durch Entgeltumwandlung finanzierten Pensionskassenversicherung bei finanzieller Notlage des Arbeitnehmers im Hinblick auf die zwingend erforderliche Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners (§ 241 Abs. 2 BGB) sowie die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (§ 242 BGB) bejaht und in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass kein rechtliches Verbot besteht, das die Rückabwicklung des Versicherungsvertrags und die Auszahlung des Rückkaufswertes an den Arbeitnehmer verhindert. Der wesentliche Unterschied zu der Entscheidung des LArbG Hamm besteht darin, dass im Fall des LArbG Bremen ein nach wie vor aktives Arbeitsverhältnis bestand, in dem auch nach Ansicht des LArbG Hamm eine Abfindung jederzeit – nach Ansicht des LArbG Bremen auch gegen den Willen des Arbeitgebers – möglich ist.

 

Hinweis:

Liegt ein zeitlicher oder sachlicher Zusammenhang zwischen der beabsichtigten Abfindung und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vor, ist insoweit ferner ein ggf. nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG bestehendes Zustimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten, wenn die Versorgungszusage auf einer Betriebsvereinbarung beruht (vgl. auch BAG, Urt. v. 21.1.2003 – 3 AZR 30/02, DB 2003, 2130).

Ferner kann eine Abfindung auf Verlangen des Versorgungsberechtigten erfolgen, wenn dem Arbeitnehmer die Beiträge zur Sozialversicherung erstattet worden sind (§ 3 Abs. 3 BetrAVG). Der Arbeitgeber ist insoweit allein aufgrund des Verlangens des Mitarbeiters zur Abfindung verpflichtet. Insoweit sieht das Gesetz keinen Überforderungsschutz für den Arbeitgeber vor, d.h. der Arbeitgeber ist unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage gesetzlich zwingend verpflichtet, den entsprechenden Abfindungsanspruch des Versorgungsberechtigten zu erfüllen, und zwar auch dann, wenn z.B. infolge von Massenentlassungen oder eines Sozialplans eine Vielzahl ausländischer Mitarbeiter diesen Anspruch geltend macht und durch die Erfüllung dieser Ansprüche eine Insolvenzgefahr entstehen oder verstärkt werden kann.

Darüber hinaus kann gem. § 3 Abs. 4 BetrAVG der Teil der Anwartschaft, der während eines Insolvenzverfahrens erdient worden ist, ohne Zustimmung des Arbeitnehmers durch den Insolvenzverwalter abgefunden werden, wenn die Betriebstätigkeit vollständig eingestellt und das Unternehmen liquidiert wird.

 

Hinweis:

Diese Abfindungsmöglichkeit ist nicht auf die sog. Bagatellanwartschaften i.S.v. § 3 Abs. 2 BetrAVG beschränkt, so dass dem Insolvenzverwalter ein der Höhe nach unbegrenztes einseitiges Abfindungsrecht zusteht (vgl. BAG, Urt. v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, DB 2010, 1018).

Die Ausübung des Abfindungsrechts durch den Insolvenzverwalter verstößt auch nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Insbesondere kann der Insolvenzverwalter nicht gezwungen werden, rechtlich zulässige Abfindungen zu unterlassen und die Versorgung durch Übertragung auf eine sog. L...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge