Rz. 9

Obliegenheiten sind Verhaltensnormen, aus denen sich ergibt, was der Versicherungsnehmer tun oder unterlassen muss, um den Versicherungsschutz zu erhalten. Der Versicherer kann nicht auf Erfüllung von Obliegenheiten klagen, es besteht nur die Sanktion der Leistungsfreiheit.

 

Rz. 10

Die gesetzlichen Obliegenheiten wie die Anzeigepflicht (§ 30 VVG) und die Auskunftspflicht (§ 31 VVG) sowie die Schadenminderungspflicht (§ 82 VVG) und das Aufgabeverbot (§ 86 Abs. 2 VVG) entsprechen der bisherigen Regelung. Auch hier gilt der Grundsatz, dass eine grob fahrlässige Verletzung von gesetzlichen Obliegenheiten nur zu einer Leistungskürzung führt.

 

Rz. 11

In der Kfz-Versicherung stehen die vertraglichen Obliegenheiten (§ 28 VVG) im Vordergrund. § 6 VVG a.F. regelte die Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen unterschiedlich für Obliegenheitsverletzungen vor Eintritt des Versicherungsfalles und nach Eintritt des Versicherungsfalles. Diese Unterscheidung macht das VVG 2008 nicht.

 

Rz. 12

Lediglich für die Auskunfts- und Aufklärungspflicht nach Eintritt des Versicherungsfalles sieht das VVG noch eine weitere Schutzvorschrift dahingehend vor, dass der Versicherer nur dann leistungsfrei werden kann, wenn er den Versicherungsnehmer "durch gesonderte Mitteilung in Textform" auf die Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen hingewiesen hat.

 

Rz. 13

Im Gegensatz zu den früheren gesetzlichen Regelungen ist eine Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer, der leistungsfrei werden will, nicht mehr erforderlich. Allerdings führen Obliegenheitsverletzungen nach § 28 Abs. 3 VVG nur dann zur Leistungsfreiheit, wenn sie "für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles" ursächlich waren. Durch dieses Kausalitätsprinzip wird das frühere Rechtsinstitut der "Relevanz" bei Obliegenheitsverletzungen entbehrlich.

 

Rz. 14

Wenn der Versicherer seine Leistungspflicht verneint hat, sind Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers irrelevant, da dann das Schutzbedürfnis des Versicherers und sein Anspruch auf wahrheitsgemäße Angaben des Versicherungsnehmers entfallen. Die Verwirkung des gesamten Leistungsanspruchs durch falsche Angaben ist dann nicht mehr gerechtfertigt, selbst bei arglistiger Täuschung.[22]

[22] BGH, IV ZR 110/11, zfs 2013, 330 = VersR 2013, 297.

I. Arglist

 

Rz. 15

Das Kausalitätserfordernis entfällt, wenn der Versicherungsnehmer arglistig gehandelt hat (§ 28 Abs. 3 S. 2 VVG).

 

Rz. 16

Arglist liegt nur dann vor, wenn der Versicherungsnehmer mit direktem Vorsatz (dolus directus) handelt.

 

Rz. 17

Nicht jede vorsätzlich falsche Angabe bedeutet eine Arglist. Der Versicherungsnehmer muss vielmehr einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgen. Arglistig handelt der Versicherungsnehmer nur dann, wenn er in der Absicht handelt, das Regulierungsverhalten des Versicherers zu beeinflussen.[23]

 

Rz. 18

Es ist nicht erforderlich, dass ein rechtswidriger Vermögensvorteil angestrebt wird.[24] Arglist liegt daher auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer einen gefälschten Schadenbeleg beibringt,[25] selbst, wenn dieser Beleg den tatsächlichen Wert des zu ersetzenden Gegenstandes wiedergibt.[26]

 

Rz. 19

Ebenso ist von Arglist auszugehen, wenn der Versicherungsnehmer einen nachträglich gefertigten Kaufvertrag vorlegt.[27]

 

Rz. 20

Der Versicherer muss Arglist beweisen.[28] Objektiv falsche Angaben sind jedoch ein Indiz für ein vorsätzliches und arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers; dieser muss daher gegebenenfalls die gegen ihn sprechende Vermutung entkräften.[29]

 

Rz. 21

Bei Arglist besteht auch keine Nachfrageobliegenheit des Versicherers.[30]

[23] BGH, IVa ZR 18/84, zfs 1986, 91 = VersR 1986, 77 = r+s 1985, 302; OLG Düsseldorf, r+s 1996, 319; OLG Koblenz, zfs 2003, 550; KG, VersR 2005, 351; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2006, 1406.
[25] OLG Köln, r+s 2006, 421.
[26] OLG München, VersR 1992, 181.
[27] OLG Hamm, MDR 2007, 1135 = SP 2007, 365.
[30] BGH, IV ZR 26/04, r+s 2008, 234; BGH, IV ZR 170/04, r+s 2008, 234.

II. Vorsatz

 

Rz. 22

Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers führt zur vollständigen Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn diese Obliegenheitsverletzung ursächlich für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles war (§ 28 Abs. 3 S. 1 VVG).

 

Rz. 23

Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles wird im Regelfall folgenlos bleiben, wenn der Versicherer die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung erkennt. Die Diskussion wird sich daher in Zukunft auf die Frage konzentrieren, ob der Versicherungsnehmer arglistig gehandelt hat, da dann der Leistungsanspruch auch dann entfällt, wenn sich die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung nicht ausgewirkt hat.

III. Grobe Fahrlässigkeit

 

Rz. 24

Eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung, die ursächlich für den Eintritt des Schadens oder dessen Umfang war, führt zur partiellen Leistungsfreiheit des Versicherers: Der Versic...

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