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Eine Person wird dann zum Beschuldigten, wenn ein Verfolgungswille der ermittelnden Behörde gegeben ist. Der dem § 136 StPO zugrundeliegende Beschuldigtenbegriff vereint sowohl objektive als auch subjektive Elemente.

Unproblematisch ist ein subjektiver Verfolgungswille in der Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens oder in sonstigen nur gegenüber einem Beschuldigten zulässigen prozessualen Handlungen zu erkennen.

Ergibt sich die Beschuldigteneigenschaft jedoch nicht aus einem nach außen dokumentierten Willensakt der Ermittler, kann unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Beschuldigtenrechte gleichwohl ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht vorliegen.

Zwar obliegt die Beurteilung dem pflichtgemäßen Ermessen des Ermittelnden, wenn der Tatverdacht jedoch so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde andernfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraumes überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, ohne vorausgegangene Belehrung eine Vernehmung durchzuführen (BGH NJW 2007, 2706).

Oft muss ein Beamter zunächst erst einen relevanten Sachverhalt erkennen bzw. die Beteiligung ermitteln, so lange er sich in dieser "Orientierungsphase" befindet, ist eine Belehrung noch gar nicht möglich. Diese Orientierungsphase kann er aber nicht ausdehnen, bis sich ein evtl. gehegter Verdacht bestätigt. Er muss vielmehr, sobald er gegen seinen Gesprächspartner bereits einen konkreten - wenn auch noch so leichten - Verdacht hat, ihn sofort belehren, sonst sind die von dem Beschuldigten gemachten Angaben nicht - auch nicht über den Umweg der Vernehmung des Beamten - verwertbar (BGH NJW 1997, 1591; NJW 2007, 2706).

Nicht nachzuvollziehen sind deshalb Entscheidungen wie die des BayObLG (zfs 2003, 518) oder des KG (NZV 2010, 422), die einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht selbst dann noch verneinen, wenn ein Polizeibeamter anlässlich einer verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle Alkoholgeruch im Fahrzeug feststellt, den Fahrer aber vor der Befragung immer noch nicht belehrt.

 

Tipp: Belehrung des Halters bei Kennzeichenanzeigen

Wird aufgrund einer Halteranzeige ermittelt, so muss der Halter frühestmöglich belehrt werden. Der Beamte kann sich in diesen Fällen nicht mit einer sog. "informatorischen Befragung" begnügen (OLG Karlsruhe NZV 1994, 122; OLG Oldenburg StV 1995, 178; BVerfG DAR 1999, 65; AG Bayreuth NZV 2003, 202). Das gilt auch dann, wenn gegen den Halter konkret noch kein Verdacht besteht (LG Saarbrücken zfs 2013, 590).

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