Rz. 118

Der Versicherungsschutz für Unfälle auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit wurde erstmals durch das Gesetz v. 14.7.1925 (RGBl. I S. 97) normiert. Damit ist der Gesetzgeber aus sozialpolitischen Gründen von dem Grundsatz der Haftungsersetzung abgewichen. Ursprünglich sollte die durch Beiträge der Unternehmer finanzierte Unfallversicherung dazu dienen, bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die ansonsten bestehende Haftung der Unternehmer zu ersetzen und zur Erhaltung des Betriebsfriedens Schadensersatzprozesse unter Betriebsangehörigen zu vermeiden. Bei Einführung des Versicherungsschutzes für Wegeunfälle steht nun die sozialpolitische Zielsetzung im Vordergrund, die betroffenen Arbeitnehmer abzusichern. Ein weiterer Anlass für die Einführung des Versicherungsschutzes war die infolge des dichteren Straßenverkehrs zunehmende Unfallgefahr. Außerdem ist der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit bei dem Grundtatbestand des Wegeunfalls nach Abs. 2 Nr. 1 augenfällig gegeben. Bei den weiteren Wegeunfalltatbeständen nach Nr. 2 bis 4 wird dies freilich nicht so deutlich.

2.3.1 Grundtatbestand (Abs. 2 Nr. 1)

2.3.1.1 Überblick

 

Rz. 119

Versichert ist der Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (Rz. 126). Es muss sich dabei nicht zwingend um den Weg von und nach dem häuslichen Bereich handeln (BSG, Urteil v. 27.4.2010, B 2 U 23/09 R). Der Weg muss mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängen, mithin muss der innere Zusammenhang gegeben sein (Rz. 120). Grundsätzlich ist nur der unmittelbare Weg versichert (vgl. Rz. 131 bis 135). Sind alle Voraussetzungen gegeben, so ist der Weg selbst versicherte Tätigkeit. Die Nr. 2 bis 4 dehnen den Versicherungsschutz aus sozialpolitischen Gründen weiter aus. Nr. 5 regelt den sog. Arbeitsgeräteunfall, der mit dem Wegeunfall nur in eingeschränktem Maße vergleichbar ist.

2.3.1.2 Innerer Zusammenhang

 

Rz. 120

Nur der mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängende Weg ist versichert. Somit muss ein innerer Zusammenhang zwischen dem Zurücklegen dieses Weges und der versicherten Tätigkeit bestehen. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten betrieblichen Tätigkeit – hier zum Weg zur oder von der Arbeitsstätte – gehört (BSG, Urteil v. 30.4.1985, 2 RU 24/84; Urteil v. 2.7.1996, 2 RU 16/95).

Der zeitliche und räumliche Zusammenhang ist dabei zwar Indiz, reicht jedoch allein nicht aus. Entscheidend ist die finale Handlungstendenz des Betreffenden (BSG, Urteil v. 17.12.2015, B 2 U 8/14 R; Urteil v. 20.3.2007, B 2 U 19/06 R; Urteil v. 28.4.2004, B 2 U 20/03 R). Fehlt es an der Handlungstendenz und damit am inneren Zusammenhang, so besteht selbst dann kein Versicherungsschutz, wenn sich der Unfall auf der Wegstrecke ereignet, die der Betreffende gewöhnlich auf dem Weg zur Arbeit geht oder fährt (BSG, Urteil v. 26.1.1978, 2 RU 39/77; Urteil v. 19.10.1982, 2 RU 24/81).

 

Rz. 120a

Diese Grundsätze gelten auch für die Fälle, in denen ein Streit, ein tätlicher Angriff, ein Überfall, eine Vergewaltigung oder ein sonstiger sexueller Übergriff auf einem nach Abs. 2 versicherten Weg sich ereignet hat (vgl. dazu Rz. 104 bis 106 und 113a).

2.3.1.3 Schutzzweck der Norm

 

Rz. 120b

Der Versicherungstatbestand des Abs. 2 Nr. 1 trägt wie die die Wegeunfallversicherung einführende Regelung des § 545a RVO i. d. F. v. 14.7.1925 (RGBl. 1925 S. 97) allein den Gefahren Rechnung, die sich während der gezielten Fortbewegung im Verkehr aus eigenem, gegebenenfalls auch verbotswidrigem Verhalten, dem Verkehrshandeln anderer Verkehrsteilnehmer oder Einflüssen auf das versicherte Zurücklegen des Weges ergeben, die aus dem benutzten Verkehrsraum oder Verkehrsmittel auf die Fortbewegung wirken (BSG, Urteil v. 13.11.2012, B 2 U 19/11 R). Nur für Schäden, die innerhalb dieses Schutzzweckes der Wegeunfallversicherung liegen, hat die gesetzliche Unfallversicherung einzustehen.

 
Praxis-Beispiel

1. Fall:

Ein Arbeitnehmer kommt mit seinem PKW auf dem Nachhauseweg von der versicherten Tätigkeit von der Straße ab und erleidet erhebliche Verletzungen. Ein technisches Versagen des Pkw, widrige Wetter- oder Straßenverhältnisse oder andere äußere Einflüsse auf die Fahrt konnten nicht festgestellt werden. Eine anschließend durchgeführte Alkoholkontrolle ergab zwar einen Blutalkoholgehalt von 2,2 ‰. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des nicht alkoholkranken Versicherten war jedoch nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen vor Antritt seiner Fahrt nicht aufgehoben.

Das BSG (a. a. O.) hat nicht auf den Blutalkoholgehalt und eine ggf. daraus resultierende Fahruntüchtigkeit, sondern auf den Schutzzweck der Wegeunfallversicherung abgestellt. Da keine Tatsachen festgestellt werden konnten, wonach das Abkommen des Versicherten von der Straße als Realisierung einer Verkehrsgefahr zu qualifizieren sei, lasse sich der Eintritt eines vom Schutzzweck der Wegeunfallv...

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