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BVerfG Beschluss vom 17.03.2005 - 1 BvR 308/05

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Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 22.12.2004; Aktenzeichen XII ZR 107/02)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Anwendung des neuen § 552a der Zivilprozessordnung (im Folgenden: ZPO) auf eine bereits zuvor zugelassene Revision.

I.

1. In einem zum Nachteil der Beschwerdeführerin im Mai 2002 ergangenen Berufungsurteil hatte das Oberlandesgericht die Revision zugelassen. Die Beschwerdeführerin legte Revision zum Bundesgerichtshof ein und begründete sie im November 2002.

Durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24. August 2004 (BGBl I S. 2198) wurde mit Wirkung ab 1. September 2004 unter anderem § 552a in die Zivilprozessordnung eingefügt. Nach dieser Vorschrift weist das Revisionsgericht nach vorherigem Hinweis die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Eine Übergangsvorschrift zu § 552a ZPO wurde nicht erlassen (vgl. § 29 des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung).

Durch Beschluss vom November 2004 wies der Bundesgerichtshof die Beschwerdeführerin darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Revision gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lägen nicht vor. Die Revision habe auch keine Aussicht auf Erfolg; denn gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts sei “revisionsrechtlich nichts zu erinnern”. Entsprechend der Ankündigung wies der Bundesgerichtshof im Dezember 2004 die Revision mit dem angegriffenen Beschluss zurück, wobei er unter anderem ausführte, § 552a ZPO sei mangels entgegenstehender Übergangsregelung im vorliegenden Fall anwendbar.

2. Mit der fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG, jeweils in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, außerdem von Art. 103 Abs. 1 GG. Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folge der Schutz des Vertrauens auf die Beständigkeit von Gesetzen. Bei der Aufhebung geschützter Rechtspositionen müsse der Gesetzgeber daher eine angemessene Übergangsregelung treffen. Sie, die Beschwerdeführerin, habe nicht damit rechnen können, dass der Bundesgerichtshof durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz die Möglichkeit erhalten werde, eine vom Berufungsgericht zugelassene Revision zurückzuweisen. Anderenfalls hätte sie die Zulassungsfrage nach den Maßstäben des späteren 1. Justizmodernisierungsgesetzes überprüft. Sie habe stattdessen darauf vertrauen dürfen, dass ihr Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) nicht durch eine in das laufende Rechtsmittelverfahren eingreifende Gesetzesnovelle beeinträchtigt werde. Der Gesetzgeber habe daher in das Gesetz für § 552a ZPO eine Überleitungsvorschrift des Inhalts aufnehmen müssen, dass die Vorschrift erst für Revisionen gelte, die ab In-Kraft-Treten des Gesetzes eingelegt worden seien. Im Übrigen habe der Bundesgerichtshof auch ohne Übergangsvorschrift bei der Auslegung des § 552a ZPO berücksichtigen müssen, dass er an die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht gebunden gewesen sei. Zudem sei Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil die Möglichkeit zu Rechtsausführungen in der mündlichen Verhandlung weggefallen sei. Da der Bundesgerichtshof das Ausgangsverfahren im Vergleich zu anderen Verfahren verzögert bearbeitet habe, seien schließlich auch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie das Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt.

1. Einer grundsätzlichen Bedeutung steht insbesondere entgegen, dass die Anforderungen, die aus dem Rechtsstaatsprinzip für Änderungen des Prozessrechts während laufender Verfahren auch im Hinblick auf Rechtsmittel folgen, geklärt sind (vgl. BVerfGE 87, 48 ≪62 ff.≫).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

a) Die Vorschrift des § 552 a ZPO selbst greift die Beschwerdeführerin nur insoweit an, als sie rügt, dass hiermit eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ermöglicht wird (vgl. § 553 ZPO).

Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich indessen grundsätzlich kein Anspruch auf mündliche Verhandlung. Vielmehr ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise das rechtliche Gehör gewährt werden soll (vgl. BVerfGE 89, 381 ≪391≫). Insoweit hat der Gesetzgeber für § 552a ZPO die schriftliche Form gewählt (vgl. § 552 a Satz 2 i.V.m. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Diese schriftliche Anhörung hat im Ausgangsverfahren auch stattgefunden. Zwar mag zweifelhaft sein, ob die hinsichtlich der fehlenden Erfolgsaussichten der Revision nur formelhafte Begründung des Hinweisbeschlusses des Bundesgerichtshofs für die Sicherstellung rechtlichen Gehörs ausreichen konnte (offen gelassen hinsichtlich der parallelen Frage bei § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO von BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. November 2002 – 1 BvR 2015/02 –). Dies kann jedoch auf sich beruhen, weil der Verfassungsbeschwerde zu einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG keine ausreichende Begründung zu entnehmen ist.

b) Auch die Rüge, der Gesetzgeber habe keine Übergangsvorschrift für die Einführung von § 552a ZPO geschaffen, geht fehl.

(1) Die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sind als verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstäbe auch dann heranzuziehen, wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der ein Prozessbeteiligter sich befindet, einwirkt. Das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen ist von Verfassungs wegen zwar weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen, im Einzelfall aber können verfahrensrechtliche Regelungen ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig sein wie Positionen des materiellen Rechts (vgl. BVerfGE 87, 48 ≪63 f.≫).

(2) Diesen Grundsätzen entsprechen sowohl der Verzicht des Gesetzgebers auf eine Übergangsregelung als auch die Anwendung des § 552a ZPO durch den Bundesgerichtshof.

(a) Allerdings wird durch die Einlegung eines nach der jeweiligen Verfahrensordnung statthaften und zulässigen Rechtsmittels eine gewichtige verfahrensrechtliche Position begründet. Dem trägt der prozessrechtliche Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit Rechnung, in dem auch die dem Rechtsstaatsprinzip zugehörigen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ihren Niederschlag gefunden haben. Fehlt es daher an einer gesetzlichen Übergangsregelung, so ist es verfassungsrechtlich geboten, dass die Gerichte den Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts beachten, wonach eine nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln nicht zum Fortfall der Statthaftigkeit bereits eingelegter Rechtsmittel führt (vgl. BVerfGE 87, 48 ≪64 f.≫).

Einen solchen Vertrauensschutz kann die Beschwerdeführerin für sich jedoch nicht in Anspruch nehmen; denn entgegen ihrer Auffassung ist ihre zulässig eingelegte Revision durch die Gesetzesänderung nicht nachträglich unzulässig geworden. Auf der Grundlage des § 552a ZPO ergeht keine Entscheidung über die Statthaftigkeit einer Revision. Das Gesetz gibt dem Revisionsgericht vielmehr als Prüfungsmaßstab die Erfolgsaussichten der Revision vor; nur wenn es an diesen fehlt, bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Hiernach ist entscheidend, ob die Revision nach dem Akteninhalt unbegründet ist und weiteres Vorbringen des Revisionsklägers, das ihr zur Begründetheit verhelfen könnte, bei prognostischer Bewertung nicht erwartet werden kann (vgl. Musielak/Ball, Zivilprozessordnung, 4. Aufl. 2005, § 552 a Rn. 2, § 522 Rn. 20; vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 15/3482, S. 19). Dementsprechend geht der Gesetzeswortlaut dahin, dass die Revision nach § 552a ZPO zurückzuweisen und nicht als unzulässig zu verwerfen ist. § 552a ZPO normiert danach eine weniger aufwändige Art der sachlichen Erledigung einer Revision.

(b) Auch in anderer Hinsicht kann die Beschwerdeführerin ein schützenswertes Vertrauen nicht geltend machen. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob die Einführung des Zurückweisungsbeschlusses nach § 552a ZPO lediglich eine ordnungsrechtliche, technische Prozessführungsregel schafft oder ob diese Änderung der Zivilprozessordnung eine Rechtsposition betrifft, die in ihrer Schutzwürdigkeit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbar ist (vgl. BVerfGE 87, 48 ≪63 f.≫).

Nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes setzt die Schutzwürdigkeit des Betroffenen in jedem Fall voraus, dass er eine entsprechende Disposition getätigt hatte, die er in Kenntnis der bevorstehenden Änderung nicht vorgenommen hätte. Die Beschwerdeführerin behauptet jedoch selbst nicht, dass sie, wäre ihr die Anwendbarkeit des § 552a ZPO bekannt gewesen, von der Einlegung der Revision abgesehen hätte. Ihrem Vorbringen zufolge hätte sie das beabsichtigte Rechtsmittel lediglich anhand der Voraussetzungen des § 552a ZPO geprüft. Diese Prüfung hätte aber zu keinem anderen Ergebnis als der Einlegung der Revision führen können. Da sie tatsächlich Revision eingelegt hat, muss die Beschwerdeführerin dieses Rechtsmittel für erfolgversprechend gehalten haben. Eine Revision mit Aussicht auf Erfolg kann aber durch einen Beschluss nach § 552a ZPO selbst dann nicht zurückgewiesen werden, wenn es an einem Zulassungsgrund fehlt. Die mit Blick auf § 552a ZPO zusätzlich erforderliche Prüfung der Zulassungsfrage konnte danach für die Entscheidung der Beschwerdeführerin über die Einlegung der Revision keine Bedeutung erlangen. Anderes könnte nur gelten, wenn die Beschwerdeführerin mit der Revisionseinlegung sachfremde und damit nicht schutzwürdige Ziele verfolgt hätte.

c) Für die Annahme einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund verzögerlicher Bearbeitung des Ausgangsverfahrens gibt es ebenso wenig einen Anhaltspunkt wie für eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren. Insbesondere gibt es keinen Hinweis für eine gezielte Verschleppung des Revisionsverfahrens durch den Bundesgerichtshof mit Blick auf die erwartete Einfügung des späteren § 552a ZPO.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

 

Unterschriften

Papier, Steiner, Gaier

 

Fundstellen

Haufe-Index 1335963

NJW 2005, 1485

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